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VwGH vom 31.03.1998, 94/08/0206

VwGH vom 31.03.1998, 94/08/0206

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde des T U in Wien, vertreten durch Dr. Hermann Sperk, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-U 6/93, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom lehnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Beschwerdeführers auf begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung gemäß §§ 500 ff ASVG ab. Nach der Begründung müßten Personen, die Begünstigungen nach der genannten Gesetzesstelle beantragten, gemäß § 506 Abs. 3 ASVG durch Vorlage einer Bescheinigung den Nachweis erbringen, daß die ihnen in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen erwachsenen Nachteile durch einen der im § 500 ASVG bezeichneten Gründe veranlaßt worden seien. Das Amt der Wiener Landesregierung habe sich nicht in der Lage gesehen, dem Beschwerdeführer eine Bescheinigung darüber auszustellen, daß er Österreich aus einem der im § 500 leg. cit. angeführten Gründe verlassen habe. Andere Hinweise, aus denen dies glaubhaft hervorgegangen wäre, seien gleichfalls nicht vorgelegt worden.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er brachte im wesentlichen vor, Anfang des Jahres 1941 wegen politischer Unzuverlässigkeit und als "Ausländer anderer Nationalität" von der Firma Julius Meinl und später von der Eisen- und Stahl AG nach drei Tagen aus demselben Grund entlassen worden zu sein. Später habe er keine Arbeit bekommen können und sei von der Gestapo unter Dauerbewachung gestellt worden. Am sei er schließlich mit einem Visum über Spanien und Portugal in die Vereinigten Staaten ausgewandert.

In ihrem Vorlagebericht verwies die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt auf den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom , wonach der Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung als Opfer nach dem Opferfürsorgegesetz und auf Ausstellung eines Opferausweises abgewiesen worden sei.

Nach Einsichtnahme in den Versicherungsakt des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, daß Maria R. in einer schriftlichen Erklärung vom bestätigt habe, sie habe dem Beschwerdeführer zu Beginn des Jahres 1941 keine Unterkunft geben können und ihn an eine Frau K. im 3. Wiener Gemeindebezirk verwiesen. Von dieser sei dem Beschwerdeführer dann bis zu seiner Abreise im Juni 1941 Unterkunft gewährt worden. Nach Auffassung der belangten Behörde könne der Beschwerdeführer aufgrund der Unterlagen der Wiener Gebietskrankenkasse in der Zeit vom bis einen nahezu lückenlosen Beschäftigungsverlauf aufweisen, weshalb er in diesem Zeitraum keinen sozialversicherungsrechtlichen Nachteil habe erleiden können. Der Beschwerdeführer habe auch im gesamten Verfahren niemals behauptet, für eine politische Partei öffentlich politische Aktivitäten gesetzt oder einer Widerstandsgruppe angehört zu haben. Nach seinen Angaben sei er unter anderem wegen nichtkonformen Verhaltens bei einer Führeransprache im Radio mehrmals von der Gestapo verhört, dann aber wieder freigelassen worden. Er habe jedoch für seine behauptete kurzfristige Verhaftung keinerlei Beweismittel vorlegen können. Es fehle somit der Nachweis dafür, daß er im Juni 1941 aus politischen Gründen gezwungen gewesen sei, Österreich zu verlassen. Der Grund für die Ausreise möge wohl eine subjektiv begründete Furcht vor der damaligen politischen Situation in Österreich gewesen sein, die jedoch begünstigungsrechtlich irrelevant sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die begünstigte Anrechnung der Zeit der Emigration des Beschwerdeführers vom Juni 1941 bis zu seiner Rückkehr nach Österreich im Jahre 1958 mangels politischer Gründe abgelehnt. Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer für seine behauptete Verfolgung keinerlei Beweismittel habe vorlegen können.

Nach § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom bis aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506, begünstigt.

Gemäß § 502 Abs. 4 ASVG können Personen, die in der im § 500 angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß § 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz zurückgelegt haben, für die Zeit der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis , Beiträge nachentrichten.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Begünstigungswerber, der seinen Anspruch im Sinne des § 502 Abs. 4 ASVG nur aus einer aus Gründen des § 500 leg. cit. bedingten Auswanderung ableitet, nicht verhalten, eine Bescheinigung im Sinne des § 506 Abs. 3 ASVG beizubringen. Die Verwaltungsbehörde hat vielmehr in einem derartigen Fall die Tatsache der eine Begünstigung bewirkenden Auswanderung aus Gründen des § 500 ASVG von Amts wegen zu ermitteln (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 1928/78,

SV-Slg. XVI/Nr. 26.583).

Der Verfahrensgrundsatz, daß die Verwaltungsbehörde von Amts wegen vorzugehen hat, befreit die Partei allerdings nicht von der Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen und Verzögerungen des Verfahrens hintanzuhalten. Die Mitwirkungspflicht der Partei besteht somit dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden, was insbesondere bei jenen in der Person des Antragstellers gelegenen Voraussetzungen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann; diesfalls ist die Partei selbst zu entsprechendem Vorbringen und Beweisanbot verpflichtet (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 zu § 39 AVG, E 117 ff, wiedergegebene Rechtsprechung).

Nach den dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Verfahrensakten ergibt sich im wesentlichen, daß der Beschwerdeführer behauptet hat, wegen "politischer Unzuverlässigkeit" im Jahre 1941 seine Arbeit verloren zu haben. Da er aus diesen Gründen keine neuerliche Arbeit bekommen habe, sei er seitens der Gestapo "unter Dauerbewachung" gestellt worden (vgl. die Begründung seines Einspruches gegen den Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt). In seiner Stellungnahme zum Vorlagebericht der Pensionsversicherungsanstalt gab der Beschwerdeführer ferner an, von der Gestapo verhaftet worden zu sein. Daß die belangte Behörde diesbezüglich amtswegige Ermittlungen angestellt oder den Beschwerdeführer zur Erstattung eines entsprechend konkretisierten Vorbringens veranlaßt, allenfalls, ihn dazu vernommen hätte, ist den Verwaltungsakten allerdings nicht zu entnehmen. Die Auffassung der belangten Behörde, es fehle ein Nachweis dafür, daß der Beschwerdeführer im Juni 1941 aus politischen Gründen gezwungen gewesen sei, Österreich zu verlassen, wurde dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage auch nicht zur Kenntnis gebracht. Die in der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge erweist sich somit als berechtigt.

Wegen des Unterbleibens der Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt blieb das Verfahren ergänzungsbedürftig. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Für eine Äußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde besteht kein Anspruch auf Schriftsatzaufwand (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, zu § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG wiedergegebene Rechtsprechung).