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VwGH vom 08.11.2000, 96/21/1060

VwGH vom 08.11.2000, 96/21/1060

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des FB (B) in Gablitz, (geboren am ), vertreten durch Dr. Manfred Berger, Rechtsanwalt in 3021 Pressbaum, Ludwig Kaiser Straße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr 2955/96, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei am (nach der Aktenlage richtig: ) aus Jugoslawien kommend, unter Umgehung der Grenzkontrolle, in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag sei er von Beamten des Gendarmeriepostens Spielfeld festgenommen und von der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz über ihn mit Bescheid vom die Schubhaft verhängt worden. Am sei von dieser Behörde ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen worden. Am sei er aus der Schubhaft entlassen und ihm in der Folge von der Bundespolizeidirektion Steyr ein Vollstreckungsaufschub bis gewährt worden. In weiterer Folge sei dem Beschwerdeführer von der Bundespolizeidirektion Steyr ein Fremdenpass ausgestellt worden und habe der Beschwerdeführer auf Grund seines ständigen Wohnsitzwechsels von verschiedenen Behörden immer wieder einen Durchsetzungsaufschub erhalten. Letztendlich sei auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot von der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz mit Bescheid vom aufgehoben worden. Der wiederholte Durchsetzungsaufschub bzw. die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes begründe allerdings nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes keine Aufenthaltsberechtigung. Auch sei der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz "am mit Rechtskraft vom vom Bundesministerium für Inneres" negativ entschieden worden. Somit halte sich der Beschwerdeführer unberechtigterweise im Bundesgebiet auf. Die Rechtsordnung messe der Beachtung der fremdengesetzlichen Vorschriften ein solches Gewicht bei, dass selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwer wiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliege. Werde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so sei dies nur zulässig, wenn es zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Abgesehen davon, dass zwei der Brüder des Beschwerdeführers im Bundesgebiet lebten, seien aus dem Akteninhalt keine näheren Bindungen zu im Inland lebenden Personen ersichtlich. Die Behörde sei daher zu der Ansicht gelangt, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes (gemeint wohl: der Ausweisung) zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) dringend geboten erscheine.

Weiters führte die belangte Behörde an, dass bei der Erlassung des Ausweisungsbescheides nicht zu prüfen sei, in welches Land der Beschwerdeführer allenfalls abgeschoben werde. Mit der Ausweisung sei nicht zwangsläufig seine Abschiebung in sein Heimatland verbunden. Eine neuerliche Einreise in das Bundesgebiet sei dem Beschwerdeführer durch die Ausweisung ebenfalls nicht verwehrt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 FrG Bedacht zu nehmen. Nach letzterer Bestimmung ist eine Ausweisung, durch die in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil sich die belangte Behörde über die Tatsache seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich und sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens hinweggesetzt habe. Er verfüge über eine gesicherte ortsübliche Unterkunft und alle anderen notwendigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und eines Sichtvermerkes. Drei seiner Brüder seien österreichische Staatsbürger. Von seiner engeren Familie hielten sich sieben Personen - darunter auch seine Mutter - in Österreich auf. Er habe somit starke familiäre Bindungen in Österreich. Die Behörde habe seinen nunmehr mehr als zehn Jahre dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet immer wieder in Anerkennung seiner humanitären Vorbringen legalisiert. Er sei in Österreich wohl integriert, hier befinde sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen. Eine Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus dem Ausland sei dem Beschwerdeführer nicht möglich, weil er ohne Visum nirgendwohin reisen könne und ihm eine Reise nach Syrien wegen seiner dortigen Gefährdung nicht zumutbar sei.

Die Beschwerde ist begründet. Zwar ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung hinsichtlich der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften darstellt. Gegenüber diesem öffentlichen Interesse haben verschiedentlich private und familiäre Interessen von Fremden mit rechtswidrigem Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 19 FrG zurückzutreten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei Anwendung des § 19 FrG das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes stets höher zu bewerten wäre als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Eine derartige Auslegung würde dem § 19 FrG jeden Anwendungsbereich entziehen, was dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden kann. Wenn gemäß § 19 FrG die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 EMRK genannten Ziele "dringend geboten ist", so bedeutet dies, dass die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen muss (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/21/0526 m.w.N.).

Die belangte Behörde hat bei Anwendung des § 19 FrG in Verkennung der Rechtslage den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers, der sich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa zehn Jahre in Österreich aufgehalten hat, zu unrecht geringeres Gewicht beigemessen als dem öffentlichen Interesse daran, dass er sich nicht ohne Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet aufhalte. Zwar war gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a, e und g (wegen unerlaubten Grenzübertritts, fehlenden Nachweises der Mittel zu seinem Unterhalt und unrichtiger Angaben über seine Person) und § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/195 i.d.F. BGBl. Nr. 555/1986, ein - im Jahr 1994 aufgehobenes - unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dem Beschwerdeführer wurden jedoch am ein bis zum gültiger Fremdenpass ausgestellt und ein vom bis zum gültiger Sichtvermerk erteilt. Für Zeiträume in den Jahren 1987, 1988, 1989, 1991 und 1992 wurden dem Beschwerdeführer Vollstreckungsaufschübe gemäß § 6 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes erteilt. Soweit dem Beschwerdeführer ein Sichtvermerk erteilt worden war, war sein Aufenthalt jedenfalls als rechtmäßig und soweit ihm Vollstreckungsaufschübe erteilt worden waren, sein Aufenthalt im Bundesgebiet trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes als erlaubt anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/11/0037). Wenn die belangte Behörde zur Beurteilung seiner privaten und familiären Beziehungen im Bundesgebiet bloß darauf abstellt, dass zwei Brüder des Beschwerdeführers im Bundesgebiet lebten, und meint, "nähere Bindungen zu im Inland lebenden Personen" seien nicht ersichtlich - und seine Ausweisung deswegen gemäß § 19 FrG dringend geboten erachtet -, so hat sie dabei den fast zehn-jährigen, teilweise rechtmäßigen und zum Großteil geduldeten Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und die von ihm im Verwaltungsverfahren ins Treffen geführte Tatsache nicht ausreichend in Betracht gezogen, dass er in dieser Zeit offensichtlich teilweise rechtmäßig beschäftigt und - einem Notariatsakt vom zufolge - Hälfteeigentümer einer Pizzeria war und von daher ein nicht unbeträchtliches Ausmaß an Integration aufzuweisen hat.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am