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VwGH vom 19.09.1991, 91/06/0067

VwGH vom 19.09.1991, 91/06/0067

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Leukauf und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des Dr. Eduard L in G, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in G gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. 03-12 La 67-91/1, betreffend Wiedereinsetzung in einer Baustrafsache, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe S 11.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer hat am eine an ihn gerichtete Strafverfügung des Magistrates der Landeshauptstadt Graz vom betreffend eine Übertretung der Steiermärkischen Bauordnung persönlich übernommen. Am 3. Oktober hat ein Arbeitnehmer des Beschwerdeführers eine an diesen gerichtete Mahnung vom übernommen, in der darin erinnert wurde, daß er mit Strafverfügung vom zu einer Geldleistung von insgesamt S 3.000,-- verpflichtet wurde. Mit einem mit datierten und auch an diesem Tag zur Post gegebenen Antrag brachte der Beschwerdeführer vor, die Strafverfügung vom sei von ihm am persönlich übernommen worden. Er habe in der Folge beabsichtigt, dagegen durch seinen Rechtsanwalt einen Einspruch einzubringen und daher seine überaus vertrauenswürdige und zuverlässige Sekretärin Frau K.L. beauftragt, den Schriftsatz an den Anwalt zu übersenden. Frau K.L. habe das Schriftstück übernommen und zusammen mit anderen Schriftstücken zur Aufgabe per Post vorbereitet. Warum das Schriftstück in der Folge nicht weitergeleitet worden sei, lasse sich nur mehr nachvollziehen. Offenbar sei der Brief unbemerkt vom Schreibtisch gefallen und unter den Schreibtisch gerutscht, sodaß, ohne danach zu suchen, keine Möglichkeit bestand, diesen Vorfall zu bemerken, weshalb die Weiterleitung unterblieb. Von diesem Vorfall habe der Beschwerdeführer erstmals am Kenntnis erlangt, als ihm die Mahnung in gegenständlicher Sache zugegangen sei. Diese Mahnung sei am in seiner Praxis zugestellt und in seiner Abwesenheit von seiner Sprechstundenhilfe übernommen worden, weil er bis ortsabwesend gewesen sei. Dieses Schriftstück sei ihm somit erstmals am rechtsgültig zugekommen, da die Zustellung in seiner Ortsabwesenheit rechtsungültig gewesen sei. Da ihm somit durch ein unvorhersehbares und nicht abwendbares Ereignis, welches auf einem Versehen minderen und entschuldbaren Grades beruhe, schuldlos die Möglichkeit genommen worden sei, einen Einspruch zu erheben, stelle er den Antrag, ihm gemäß § 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Gleichzeitig erhob er Einspruch gegen die Strafverfügung. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung war eine eidesstaatliche Erklärung der Frau K.L. vom angeschlossen, in der sie bestätigte, am vom Beschwerdeführer ein Schriftstück der Baupolizei zur Weiterleitung an den Rechtsanwalt übernommen zu haben. Beim Umstellen des Schreibtisches habe sich zwischen den Geräten dieses Schreiben wiedergefunden, welches damals hinunter gefallen sein müsse, und sie habe es somit leider erst heute dem Rechtsanwalt übergeben.

Mit Bescheid vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 4 AVG 1950 idgF" abgelehnt. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, eine Prüfung der behaupteten Verläßlichkeit der Frau K.L. erübrige sich ebenso wie eine Auseinandersetzung mit der dem Wiedereinsetzungsschriftsatz beigelegten eidesstattlichen Erklärung vom , da den Wiedereinsetzungswerber zweifelsfrei ein schwerwiegendes Überwachungsverschulden treffe. Dies deshalb, weil er jedenfalls bis zum keinen Akt der Kontrolle dahingehend gesetzt habe, ob Frau K.L. dem Auftrag, die von ihm am übernommene Strafverfügung samt Kuvert dem Rechtsfreund zu übersenden, auch tatsächlich nachgekommen sei. Das Unterlassen jeglicher Nachprüfung werde im Schriftsatz vielmehr mit der Feststellung dokumentiert, daß der Grund für die Nichtweiterleitung des Schriftstückes offenbar darin bestehen könnte, daß der Brief unbemerkt vom Schreibtisch gefallen und unter denselben gerutscht sein könnte, sodaß, ohne danach zu suchen, keine Möglichkeit bestanden hätte, diesen Vorfall zu bemerken. Bei pflichtgemäßer Vornahme fristgerechter Kontrolle hätte die Möglichkeit bestanden, diesen Vorfall rechtzeitig zu bemerken, was im Gegenstandsfall mangels Überwachung jedoch nicht erfolgt sei. Damit sei erwiesen, daß weder ein unvorhersehbares noch ein unabwendbares Ereignis ohne Verschulden des Antragsteller vorgelegen habe.

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen und führte aus, daß eine allgemein vertrauenswürdige und zuverlässige Beschäftigte einen Fehler minderen Grades begangen habe, wodurch der Beschwerdeführer in der Wahrnehmung seiner Rechte beeinträchtigt worden sei. Hiezu sei unter anderem auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 83/02/0220, zu verweisen, welches aussage, daß selbst ein Rechtsanwalt die näheren Umstände der Postaufgabe von Schriftstücken, das Kuvertieren von zugehörigen Beilagen wie auch das Beschriften des Kuverts verläßlichen Kanzleiangestellten allein überlassen könne.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft habe, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Antragsteller seinen Antrag in Hinsicht auf die Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Pflicht zur Überwachung seiner Mitarbeiter zu substantiieren. Ausführungen in dieser Hinsicht habe der Beschwerdeführer lediglich dahingehend vorgenommen, daß er bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Post tatsächlich die Kanzlei verlassen sollte, eine Überprüfung durchgeführt habe. Gerade diese Ausführungen gingen deshalb ins Leere, weil nicht zu erwarten sei, daß einem Arzt alltäglich Strafverfügungen (RSb-Briefe - richtig wohl: RSa) zugestellt würden, sodaß ihn eine erhöhte Sorgfaltspflicht beim Verlassen des Schriftstückes aus dem Verfügungsbereich treffe. Wäre tatsächlich eine Überprüfung vorgenommen worden, so hätte festgestellt werden können, daß sich das Schriftstück eben nicht unter den Postausgangsstücken befinde. Selbst wenn das Schriftstück kurzfristig in "Verschütt" geraten wäre, hätte es einer vertrauenswürdigen und zuverlässigen Mitarbeiterin vor Übergabe der Versendung von Schriftstücken an die Post auffallen müssen, daß eben das fristenauslösende Schriftstück zurückgeblieben sei. Da die Mitarbeiterin eines Arztes in Fristangelegenheiten nicht mit Angestellten einer Rechtsanwaltskanzlei vergleichbar sei, hätte zumindest der Auftrag zur Führung eines Postbuches erteilt werden müssen, sodaß unmittelbar vor Postaufgabe stets die Kontrolle durchgeführt werden könne, ob die erforderlichen Schriftstücke auch tatsächlich dem Postweg anvertraut worden seien. Da dies nicht geschehen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, daß alles unternommen worden sei, um der Sorgfaltspflicht zu entsprechen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist festzustellen, daß nach der Übergangsbestimmung des Art. IV Abs. 2 des Bundesgesetzes) BGBl. Nr. 357/1990 am anhängige Verfahren nach der bis dahin in Geltung gestandenen Rechtslage zu Ende zu führen sind. Dies bedeutet für den Beschwerdefall, wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, daß § 71 AVG 1950 noch in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 anzuwenden ist. Die Ausführungen in der Beschwerde zum minderen Grad des Versehens gehen daher ins Leere, da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits am beim Magistrat der Landeshauptstadt Graz eingelangt ist und das Wiedereinsetzungsverfahren somit seit diesem Zeitpunkt anhängig war.

Dennoch ist die Beschwerde im Ergebnis berechtigt. Zutreffend weist der Beschwerdeführer auf den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 83/02/0220, wonach ein Rechtsanwalt die näheren Umstände der Postaufgabe von Schriftstücken einer verläßlichen Kanzleiangestellten allein überlassen kann. Diese Rechtsansicht hat der Verwaltungsgerichtshof auch seither vertreten (vgl. den Beschluß vom , Zl. 88/18/0320). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch mehrfach ausgesprochen, daß ein Rechtsanwalt als berufsmäßiger Parteienvertreter verpflichtet ist, die Organisation seiner Kanzlei so einzurichten, daß die fristgerechte Setzung von notwendigen Handlungen gewährleistet ist, wobei durch Kontrollen dafür vorzusorgen ist, daß Unzulänglichkeiten durch menschlichen Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. den bereits zitierten Beschluß vom , Zl. 83/02/0220, und andere). Es würde aber selbst die Überwachungspflicht eines Anwaltes überspannen, die näheren Umstände der Postaufgabe, wie das Kuvertieren, Beschriften des Kuverts und die tatsächliche Übergabe an die Post zu überprüfen. Die Ansicht der belangten Behörde, es sei nicht zu erwarten, daß einem Arzt alltäglich Strafverfügungen zugestellt würden, sodaß ihn eine "erhöhte Sorgfaltspflicht" beim Verlassen des Schriftstückes aus dem Verfügungsbereich treffe, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen. Vielmehr ist bei einem rechtskundigen Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (vgl. Pichler, Zur Wiedereinsetzungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, Anw. 4/1990, Seite 181 und die dort zitierte Literatur).

Da die belangte Behörde somit zu Unrecht davon ausging, es stehe schon allein auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers fest, daß er nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Einspruchsfrist einzuhalten, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im pauschalierten Aufwandersatz die Umsatzsteuer bereits inbegriffen ist.