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VwGH vom 13.11.1996, 96/21/0750

VwGH vom 13.11.1996, 96/21/0750

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des M in D, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom , Zl. Frb-4250a-75/96, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 i. V.m. § 21 Abs. 1 und 2 FrG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen.

Die belangte Behörde ging davon aus, daß der Beschwerdeführer wie folgt rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei,


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1.
Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , Vergehen bzw. Verbrechen nach dem § 127,§ 128 Abs. 1 Z. 2 und 4,§ 129 Z. 1 und 2,§ 15 StGB, Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe;
2.
Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom , Vergehen nach § 88 Abs. 1 StGB, bedingte Geldstrafe;
3.
Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , Vergehen bzw. Verbrechen nach § 15,§ 127,§ 128 Abs. 1 Z. 2 und 4,§ 129 Z. 1,§ 125136 Abs. 1 und Abs. 3 StGB, § 16 Abs. 1 SGG, Freiheitsstrafe von 10 Monaten;
4.
Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , Vergehen bzw. Verbrechen nach § 127,§ 129 Z. 1,§ 15 sowie § 136 Abs. 1 StGB, bedingte Geldstrafe;
5.
Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , Vergehen nach § 229 Abs. 1 StGB, § 16 Abs. 1 SGG, bedingte Geldstrafe;
6.
Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bregenz vom , Vergehen nach § 16 SGG, bedingte Geldstrafe.

Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer insgesamt 21 mal wegen Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden.

Darunter am wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG sowie des § 52 lit. a Z. 10a i.V.m. § 99 Abs. 3 lit. a StVO.

Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 erster und vierter Fall sei erfüllt; die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer lebe seit seinem dritten Lebensjahr in Österreich und wohne seit dem Jahre 1993 mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt. Zu seinen Brüdern und deren Familienangehörigen halte er regelmäßig Kontakt. Der Beschwerdeführer habe nach Abschluß der Schulpflicht gearbeitet. Auch nach seiner Inhaftierung habe er bei verschiedenen Firmen gearbeitet. Der Beschwerdeführer sei somit sowohl familiär als auch beruflich als integriert zu betrachten. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei dringend geboten. Der Beschwerdeführer sei wiederholt wegen des Vergehens nach § 16 SGG verurteilt worden. Weder Verwaltungsstrafen noch gerichtliche Verurteilungen oder die Androhung des Aufenthaltsverbotes hätten den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalten können.

Die nachteiligen Folgen von der Abstandnahme der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes seien höher zu bewerten als die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers.

Der für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG gegeben seien, entscheidende Zeitpunkt (vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG) sei der der Rechtskraft der vorletzten der zutreffend dem § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG subsumierten Bestrafungen des Beschwerdeführers. Entscheidend für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei die Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG vom gewesen. Es komme daher auf die zehn Jahre an, die vor der Rechtskraft der "vorletzten Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bregenz" vom liegen. In diesem Zeitraum sei unter anderem die Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch vom zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe erfolgt. Diese Verurteilung stehe der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 lit. a StbG entgegen. Abgesehen von dieser Verurteilung ließe jedoch auch sein sonstiges Verhalten, nämlich die in den entscheidungsrelevanten Zeitraum fallenden insgesamt fünf gerichtlichen Verurteilungen sowie 20 Verwaltungsübertretungen nicht den Schluß zu, daß sich der Beschwerdeführer an die österreichische Rechtsordnung halten wolle. Es sei somit auch der Hinderungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 StGB gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde bleiben die im angefochtenen Bescheid festgestellten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen und verwaltungsbehördlichen Bestrafungen des Beschwerdeführers unbestritten. Die Beschwerde läßt weiters den aus diesen Feststellungen gezogenen rechtlichen Schluß auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG und in der Folge jenes des § 18 Abs. 1 und § 19 leg. cit. unbekämpft. Beim Verwaltungsgerichtshof sind insoweit keine Bedenken gegen die Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aufgetaucht.

Die Beschwerde hält den bekämpften Bescheid (unter anderem) deshalb für rechtswidrig, weil die belangte Behörde den § 20 Abs. 2 FrG im Fall des Beschwerdeführers unrichtig angewendet habe.

Damit ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht:

Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß der für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG gegeben sind, entscheidende Zeitpunkt (vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes) im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG, jener der Rechtskraft der vorletzten Bestrafung des Beschwerdeführers sei. Entscheidend für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei die Bestrafung nach § 64 Abs. 1 KFG vom gewesen. Entscheidend sei daher der zehnjährige Zeitraum vor der Rechtskraft der "vorletzten Strafverfügung des Bezirksgerichtes Bregenz vom ".

Damit hat die belangte Behörde alle dem Beschwerdeführer zur Last liegenden gerichtlichen Verurteilungen und verwaltungsbehördlichen Bestrafungen als bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG angerechnet und alle diese mit Ausnahme der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen nach § 64 Abs. 1 KFG und der gerichtlichen Verurteilung wegen des Vergehens nach § 16 SGG (durch das Bezirksgericht Bregenz mit Strafverfügung vom ) als Verleihungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 StBG angesehen. Diese doppelte Berücksichtigung der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden gerichtlichen Verurteilungen und verwaltungsbehördlichen Bestrafungen geht auf ein Mißverständnis der belangten Behörde über den entscheidenden Zeitpunkt zurück. Die belangte Behörde verkannte damit den Regelungsgehalt des § 20 Abs. 2 FrG: Keine der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden strafbaren Handlungen ist mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Die belangte Behörde hatte daher zu prüfen, ob im Beschwerdefall die Voraussetzung des § 20 Abs. 2 erster Teil FrG erfüllt ist. Hiebei hatte sie zu berücksichtigen, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 95/21/0372, und vom , Zl. 95/21/0717) als für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes "maßgeblicher Sachverhalt" im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG nur solche Umstände herangezogen werden dürfen, die zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, in welchem der Fremde die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG nicht (mehr) erfüllt hat. Bei Fremden, die die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllt haben, ist gemäß § 20 Abs. 2 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes daher nur dann zulässig, wenn es bei Anwendung der §§ 18 bis 20 Abs. 1 FrG auch unter Außerachtlassung jener Umstände verhängt werden dürfte, die zum Wegfall der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 geführt haben (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/21/0144). Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Infolge der vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung unterblieb nicht nur die exakte Trennung und Zuordnung des Sachverhaltes in bezug auf das Vorliegen eines Hinderungsgrundes für die Verleihung der Staatsbürgerschaft i. S.d. § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG und der bestimmten Tatsache i. S.d. § 18 Abs. 1 FrG, sondern unterließ es die belangte Behörde auch, die für die Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG erforderlichen Sachverhaltselemente festzustellen. Für das Gewicht der öffentlichen Interessen kommt es - angesichts der massiven privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Weiterverbleib in Österreich - nicht nur auf die Art und Anzahl der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen und/oder rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Bestrafungen an, sondern auf die zugrunde liegenden Straftaten. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren solche Feststellungen zu treffen und zu prüfen haben, welche der zuletzt erfolgten gerichtlichen Verurteilungen und/oder verwaltungsbehördlichen Bestrafungen als bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG die dort umschriebene Annahme rechtfertigen und ob vor Verwirklichung des diesfalls maßgeblichen Sachverhaltes der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer die vor diesem Sachverhalt allenfalls noch zu liegen kommenden gerichtlichen Verurteilungen und/oder verwaltungsbehördlichen Bestrafungen bzw. die diesen zugrundeliegenden Straftaten (in bezug auf § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG) entgegenstehen.

Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit leidet, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Stempelgebührenaufwandes erfolgte deswegen, weil Eingabengebühr (Beschwerde dreifach) S 360,-- und Beilagengebühr (Bescheid einfach) S 120,-- erforderlich waren.