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VwGH vom 29.06.2005, 2003/08/0060

VwGH vom 29.06.2005, 2003/08/0060

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Dr. C in W, vertreten durch Dr. Harald Fahrner, Rechtsanwalt in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 22, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-A 43/2002, betreffend Überweisungsbetrag gemäß § 308 ASVG (mitbeteiligte Partei: 1. Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 17/18, 2. Bund, vertreten durch den Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Die Beschwerdeführerin wurde mit Wirkung vom (als Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates) in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis im Sinne des § 308 Abs. 1 ASVG aufgenommen. Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundeskanzlers vom wurden ihr nach den Bestimmungen des Pensionsgesetzes 1965 Ruhegenussvordienstzeiten im Ausmaß von 10 Jahren, 6 Monaten und 18 Tagen angerechnet. Unter Zugrundelegung dieser Zeiten sprach die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten mit Bescheid vom aus, dass sich auf Grund der gemäß § 308 Abs. 6 ASVG ermittelten Berechnungsgrundlage von S 16.800,-- gemäß § 308 Abs. 1 ASVG für 126 Beitragsmonate ein Überweisungsbetrag von insgesamt S 148.176,-- ergebe, der an das Bundespensionsamt überwiesen werde.

In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch brachte die Beschwerdeführerin vor, dass ihr Versicherungszeiten vom 24. Juli bis zum und vom 1. April bis zum nicht angerechnet worden seien. Die belangte Behörde hat diesen Einspruch mit rechtskräftigem Bescheid vom als unbegründet abgewiesen, weil die beanspruchten weiteren Zeiten im Bescheid des Bundeskanzlers vom nicht als Ruhegenussvordienstzeiten angerechnet worden seien.

2. Mit rechtskräftigem Bescheid vom berichtigte der Bundeskanzler im Spruchpunkt 1. seinen Bescheid vom dahin, dass nicht 10 Jahre, 6 Monate und 18 Tage, sondern richtigerweise 10 Jahre, 4 Monate und 18 Tage als Ruhegenussvordienstzeiten angerechnet werden. Im Spruchpunkt 2. des genannten Bescheides wurden der Beschwerdeführerin zusätzlich die Zeit vom 24. Juli bis zum bei der Dornbirner Messe sowie die Zeit vom 1. April bis zum bei Amnesty International im Gesamtausmaß von 6 Monaten und 13 Tagen als Ruhegenussvordienstzeiten angerechnet.

Am selben Tag richtete der Bundeskanzler an die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten folgendes Schreiben:

"Entsprechend der in der Beilage übermittelten Bescheidabschrift wurde noch eine weitere Zeit für die Bemessung des Ruhegenusses angerechnet und eine Berichtigung des ebenfalls zur Kenntnisnahme angeschlossenen Bescheides des Bundeskanzleramtes vom ... gemäß § 1 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 in Verbindung mit § 62 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 durchgeführt.

Es wird beantragt, auch für diese ergänzend angerechneten Zeiten den anfallenden Überweisungsbetrag dem Bundespensionsamt ... zu überweisen."

Mit Bescheid vom sprach die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten aus, dass sich auf Grund der gemäß § 308 Abs. 6 ASVG ermittelten Berechnungsgrundlage von EUR 1.220,90 gemäß § 308 Abs. 1 ASVG für einen Beitragsmonat ein (weiterer) Überweisungsbetrag in Höhe von EUR 85,46 ergebe, welcher an das Bundespensionsamt überwiesen werde. Hiedurch werde ihr Bescheid vom ergänzt.

In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch machte die Beschwerdeführerin geltend, dass bei der ergänzenden Festsetzung des Überweisungsbetrages die von ihrem Dienstgeber für den Ruhegenuss angerechneten Beitragsmonate vom bis zum wiederum nicht berücksichtigt worden seien, obwohl ihr Dienstgeber diese Zeiten nunmehr als Ruhegenussvordienstzeiten anerkannt habe.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom hat die belangte Behörde den bekämpften Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben, weil der Antrag des Bundeskanzlers vom wegen entschiedener Sache hätte zurückgewiesen werden müssen. Die Pensionsversicherungsanstalt habe trotz des rechtskräftigen Bescheides der belangten Behörde vom einen "Ergänzungsbescheid" erlassen und gemäß § 308 ASVG die Leistung des Überweisungsbetrages für einen zusätzlichen Beitragsmonat angekündigt. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die Entscheidung über den Überweisungsbetrag ein zeitraumbezogener Abspruch wäre, der in zeitlicher Hinsicht trennbar und somit auch in mehreren, jeweils auf andere Zeiträume bezogenen Teilen (Bescheiden) getroffen werden könnte. Dies sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht der Fall. Sache des Verwaltungsverfahrens sei der "aus Anlass der Aufnahme in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis zu leistende Überweisungsbetrag". Es handle sich um einen einheitlichen Abspruch, der in zeitlicher Hinsicht nicht teilbar sei. Die Methode der Berechnung des Überweisungsbetrages mache den Abspruch noch nicht zu einem zeitraumbezogenen.

4. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom , B 116/03, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie ausdrücklich Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Auch die mitbeteiligten Parteien haben Gegenschriften erstattet, in denen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 308 ASVG Abs. 1 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 201/1996 lautet:

"(1) Wird ein Versicherter in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis (Abs. 2) aufgenommen und rechnet der Dienstgeber nach den für ihn geltenden dienstrechtlichen Vorschriften

a) Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz, Ersatzmonate nach § 229, § 228 Abs. 1 Z 1 und 4 bis 6, § 227 Abs. 1 Z 1, soweit sie leistungswirksam sind, Z 2, 3 und 7 bis 9 dieses Bundesgesetzes,

b) Beitragsmonate nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, Ersatzmonate nach § 116 Abs. 1 Z 1 und 2 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes,

c) Beitragsmonate nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, Ersatzmonate nach § 107 Abs. 1 Z 1 und 2 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes,

für die Begründung des Anspruches auf einen Ruhe(Versorgungs)genuss bedingt oder unbedingt an, so hat der nach Abs. 5 zuständige Versicherungsträger auf Antrag dem Dienstgeber einen Überweisungsbetrag in der Höhe von je 7 v. H. der Berechnungsgrundlage nach Abs. 6 für jeden in der Pensionsversorgung bedingt oder unbedingt angerechneten Beitragsmonat und von je 1 v. H. dieser Berechnungsgrundlage für jeden in der Pensionsversorgung bedingt oder unbedingt angerechneten Ersatzmonat zu leisten. Zur Stellung des Antrages ist sowohl der Dienstgeber als auch der Dienstnehmer berechtigt."

Stichtag für die Feststellung der nach § 308 Abs. 1 ASVG zu berücksichtigenden Versicherungsmonate sowie der Berechnungsgrundlage ist gemäß § 308 Abs. 7 ASVG der Tag der Aufnahme in das pensionsversicherungsfreie Dienstverhältnis, wenn sie an einem Monatsersten erfolgt, sonst der der Aufnahme folgende Monatserste. Die Höhe des nach diesem Stichtag berechneten Überweisungsbetrages hängt davon ab, wie viele Beitragsmonate der Dienstgeber gemäß § 308 Abs. 1 lit. a ASVG mit (rechtskräftigem) Dienstrechtsbescheid für die Begründung des Anspruches auf einen Ruhegenuss bedingt oder unbedingt angerechnet hat.

2. Die belangte Behörde ist der Auffassung, ihr rechtskräftiger Bescheid vom lege die Höhe des Überweisungsbetrages abschließend fest. Auch die Anerkennung weiterer Ruhegenussvordienstzeiten durch den Dienstgeber schaffe keine neue Sachlage, sodass der Antrag des Bundeskanzlers vom wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen wäre.

Dem kann nicht gefolgt werden. Nach dem auch im Verfahren vor einem Sozialversicherungsträger anwendbaren § 68 Abs. 1 AVG (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0057) sind Anbringen von Beteiligten, welche die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, (außer in den Fällen der §§ 69 bis 71 AVG) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Die objektive (sachliche) Grenze der Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", das heißt durch die Identität der Verwaltungssache, über die mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für den Vorbescheid maßgebenden Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteibegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt. Liegt eine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor oder ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt eine Änderung eingetreten, so stünde die Rechtskraft des ergangenen Bescheides dem neuerlichen Antrag nicht entgegen. Dabei könnte aber nur eine solche Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2001/08/0057, mwN).

Der Anspruch auf einen Überweisungsbetrag nach § 308 Abs. 1 ASVG ist nun in dem Sinne ein "zeitraumbezogener Anspruch", als seine Höhe unter anderem davon abhängt, welche Beitragsmonate im Zeitpunkt der Entscheidung über den Überweisungsbetrag vom Dienstgeber rechtskräftig für die Begründung des Anspruches auf einen Ruhegenuss angerechnet worden sind. Rechnet der Dienstgeber, nachdem bereits eine Entscheidung über den Überweisungsbetrag ergangen ist, weitere Ruhegenussvordienstzeiten an (was - wie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/12/0141, zeigt - zB dann möglich ist, wenn sich der Antrag an den Dienstgeber auf einen anderen Rechtsgrund stützt), so wird durch diese zusätzliche Anrechnung im Hinblick auf den § 308 Abs. 1 ASVG eine vom früher festgesetzten Überweisungsbetrag unabhängige später eingetretene Tatsachengrundlage für die Bemessung eines weiteren Überweisungsbetrages geschaffen. Infolge des - gemessen am Tatbestand des § 308 Abs. 1 ASVG - geänderten Sachverhaltes ist eine Identität der Verwaltungssachen zu verneinen.

Das von der belangten Behörde in der Begründung ihres Bescheides herangezogene hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0141, betraf die Vorschreibung eines Überweisungsbetrages gemäß § 314 Abs. 1 iVm Abs. 4 ASVG. Bei Überweisungsbeträgen für Geistliche und Angehörige von Orden und Kongregationen der katholischen Kirche gemäß § 314 ASVG kommt es auf die Gesamtheit jener Monate an, die im geistlichen Stand bzw. als Angehöriger eines Ordens oder einer Kongregation verbracht wurden (§ 314 Abs. 4 ASVG). Gemessen am Tatbestand des § 314 Abs. 4 ASVG wird nach Abschluss des Verfahrens durch das Vorbringen weiterer im obigen Sinn verbrachter Monate keine Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes mehr bewirkt.

Während es sich also in jener Konstellation um die Beurteilung eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraumes der Beschäftigung durch jene Behörde handelte, die für die Bemessung des Überweisungsbetrages zuständig ist, liegt es im vorliegenden Fall an der Dienstbehörde, eine solche Beurteilung vorzunehmen und Zeiten für den Ruhegenuss anzurechnen. Da die für die Bemessung des Überweisungsbetrages zuständige Behörde nach dem Konzept des § 308 ASVG an den Anrechnungsbescheid der Dienstbehörde gebunden ist (die Tatsache der erfolgten Anrechnung von Zeiten ist eine Bedingung für den entsprechenden Überweisungsbetrag), schafft jeder weitere derartige Bescheid in Bezug auf den betroffenen öffentlich Bediensteten für den Sozialversicherungsträger eine jeweils neue Tatsachengrundlage, auf Grund derer er die Höhe des Überweisungsbetrages dementsprechend neu zu beurteilen hat.

3. Von ihrer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend, der neuerliche Antrag auf Leistung eines Überweisungsbetrages sei wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben, ohne - ihrer Rechtsansicht folgend - zugleich die Zurückweisung des Antrages des Bundeskanzlers auszusprechen. Sie hat damit ihrer Pflicht, gemäß § 66 Abs. 4 AVG eine Sachentscheidung zu treffen, nicht entsprochen. Zutreffend weist die Beschwerdeführerin auch darauf hin, dass ihr Einspruch die Festsetzung eines (weiteren) Überweisungsbetrages von EUR 85,46 unberührt gelassen und nur die Abweisung der Festsetzung darüber hinaus beanspruchter Überweisungsbeträge bekämpft hat. Durch die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides hat die belangte Behörde in die eingetretene Teilrechtskraft eingegriffen (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 264f zu § 66 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der durch Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand auch die anfallende Umsatzsteuer deckt und ein Stempelgebührenersatz wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen war.

Wien, am