VwGH vom 01.06.1999, 99/08/0060
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. 4/1288/Nr.1315/98-1, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles ergibt sich aus dem Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0130. Daraus ist für den vorliegenden Beschwerdefall noch Folgendes von Bedeutung:
Mit Bescheid vom hatte die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer stehe im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil er ab eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung "als Pensionist" besitze. Es stehe ihm daher (nach Entziehung der ihm bis September 1996 gewährten Invaliditätspension) Arbeitslosengeld nicht zu.
Mit dem zuvor genannten Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0130, hat der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die belangte Behörde zu Unrecht die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum begünstigten Personenkreis nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation, gestützt auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (ARB 1/80), nicht geprüft habe.
Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis die maßgebende Frage, ob dem Beschwerdeführer die (vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am bzw. vor dem Beitritt Österreichs zum EWR am ) erworbenen Rechte nach dem ARB 1/80 im Zeitraum seit dem Entzug der Invaliditätspension zustehen, bejaht, weil der Beschwerdeführer dadurch in den Stand der Arbeitslosigkeit zurückgetreten sei und diese - aus der Entziehung einer Pensionsleistung entstehende - Arbeitslosigkeit als unverschuldet anzusehen sei. Gemäß Art. 6 Abs. 2 zweiter Satz ARB 1/80 berührten aber Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit (ebenso wenig wie Zeiten langer Krankheit) nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Der Beschwerdeführer könne sich daher während der Dauer der unverschuldeten Arbeitslosigkeit auf die ihm gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB 1/80 zustehenden Rechte berufen.
Ferner hat der Gerichtshof in dem genannten Erkenntnis ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer auch weiterhin ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 auch während des Bezuges der Invaliditätspension zugekommen sei.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde im zweiten Rechtsgang der Berufung des Beschwerdeführers neuerlich nicht stattgegeben.
Dies hat die belangte Behörde nach Zitierung des vorgenannten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes im Wesentlichen damit begründet, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis festgehalten habe, dass der Beginn des Pensionsanspruches des Beschwerdeführers nicht aktenkundig sei. Im Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0386 und Zl. 98/09/0044, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass sich ein türkischer Arbeitnehmer vor dem Wirksamwerden des ARB 1/80 mit dem am erfolgten Beitritt Österreichs zur Europäischen Union noch nicht auf ein aus Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 abgeleitetes Recht auf seine weitere Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates berufen könne. Daraus folge, dass vor dem unterbrochene Beschäftigungszeiten, auch wenn diese 'zulässigerweise' unterbrochen worden seien, mangels Geltung des ARB 1/80 verloren gingen und bei Wiederaufnahme einer Beschäftigung die in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genannten Fristen von Neuem zu laufen begännen. Im gegenständlichen Fall sei ab (Beginn des Bezuges der Invaliditätspension) eine nach dem genannten Vorerkenntnis zwar zulässige Unterbrechung im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 erfolgt, doch seien wegen des Beginns des Invaliditätspensionsbezuges vor dem alle vor dem Beginn des Bezuges der Invaliditätspension gelegenen Beschäftigungszeiten verloren gegangen, da am der ARB 1/80 für Österreich noch keine Geltung gehabt und somit Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 noch nicht anwendbar gewesen sei. Der Beschwerdeführer erfülle daher die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 nicht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit der Anregung, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gemäß Art. 177 EGV (nunmehr: Art. 234 EGV) näher bezeichnete Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Berichterverfügung vom an die belangte Behörde gemäß § 35 Abs. 2 VwGG folgende Anfrage zur Stellungnahme übermittelt:
"1. In seinem aufhebenden Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0130, hat der Verwaltungsgerichtshof ua ausgesprochen, dass der Zeitraum des vorübergehenden Bezuges einer Invaliditätspension die Ansprüche des Beschwerdeführers aufgrund seiner vorherigen Beschäftigungszeiten nicht berührt habe, und ihm diese Rechte auch nach dem Entzug der Invaliditätspension zustünden. An die Rechtsauffassung dieses Erkenntnisses war die belangte Behörde gem. § 63 Abs. 1 VwGG bei Erlassung des nunmehr angefochtenen Bescheides - ungeachtet ihrer von der belangten Behörde offenbar in Zweifel gezogenen 'Richtigkeit' - gebunden.
2. Auch der 9. Senat hat im Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0099, die Auffassung vertreten, dass Unterbrechungen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 zweiter Satz ARB 1/80 nicht zum Verlust bereits zurückgelegter Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung führen. Unterbrechungen 'anderer Art....beseitigen allerdings dann die Anrechenbarkeit bereits zurückgelegter Beschäftigungszeiten, wenn sie vor dem erfolgten.' Dem hat der Verwaltungsgerichtshof auch in dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0386, nicht widersprochen, da nach dem Sachverhalt dieses Erkenntnisses eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses durch einen längeren Auslandsaufenthalt über den und damit kein Fall des Art. 6 Abs. 2 zweiter Satz ARB 1/80 vorlag.
Es scheint sich daher schon aus dem angefochtenen Bescheid die in der Beschwerde behauptete Rechtsverletzung zu ergeben. Sollte die belangte Behörde innerhalb der gesetzten Frist nichts vorbringen, was geeignet ist, das Vorliegen dieser Rechtsverletzung als nicht gegeben zu erkennen, so wäre ohne weiteres Verfahren nach § 35 Abs. 2 VwGG vorzugehen."
Die belangte Behörde hat zu dieser Anfrage neuerlich auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Bescheides und auf einen Erlass des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom (der bereits unter Berücksichtigung der erwähnten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes erlassen worden sei) verwiesen, woraus sich ergebe, dass Unterbrechungen von Beschäftigungszeiten gemäß Art. 6 Abs. 2 (gemeint: ARB 1/80), sofern die Beschäftigungszeiten vor dem unterbrochen worden seien, dazu führten, dass sich die Betroffenen nach dem nicht auf vorher zurückgelegte Beschäftigungszeiten berufen könnten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem aufhebenden Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0130, in der gegenständlichen Sache Folgendes wörtlich ausgeführt:
"Der Zeitraum des krankheitsbedingten vorübergehenden Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt einschließlich eines vorübergehenden Bezugs der Invaliditätspension hat daher seine Ansprüche, die er aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit offenbar gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des ARB 1/80 erworben hat, nicht berührt, sodass ihm auch weiterhin - und unbeschadet seiner Aufenthaltsbewilligung als "Pensionist" - ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 (bzw. nach der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH) auch während des Bezuges der Invaliditätspension zukam."
Damit hat der Verwaltungsgerichtshof - anders als die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift darzutun sucht - seine Rechtsansicht "deutlich ausgesprochen", dass er den Bezug der Invaliditätspension (und damit einen Tatbestand des Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80) hinsichtlich der Rechte aus den vor der Invaliditätspension liegenden Beschäftigungszeiten als nicht schädlich angesehen hat. Mit dieser Rechtsauffassung steht der angefochtene Bescheid offenkundig in Widerspruch. Es sei dazu ergänzend bemerkt, dass auch die von der belangten Behörde zur Rechtfertigung ihrer Vorgangsweise zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes die im Vorerkenntnis in der vorliegenden Sache geäußerte Auffassung bestätigen, und nicht jenen Inhalt haben, den ihnen die belangte Behörde (allenfalls auch der dem Verwaltungsgerichtshof inhaltlich nicht näher bekannte, ihn aber auch nicht bindende Erlass des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom ) beilegt, wie bereits in der oben wiedergegebenen Berichterverfügung vom dargelegt wurde. Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsauffassung fest.
Der angefochtene Bescheid ist aber in erster Linie und schon deshalb rechtswidrig, weil die belangte Behörde ihre sich aus § 63 Abs. 1 VwGG ergebende Bindung an die im aufhebenden Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0130, geäußerte Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes mißachtet hat. Diese Bindung in derselben Sache besteht unabhängig davon, ob die Behörde diese Rechtsauffassung für richtig hält und ob diese mit anderen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes oder mit Erlässen des in Betracht kommenden Bundesministers in Einklang steht.
Da diese in der Beschwerde behauptete Rechtsverletzung bereits aus dem angefochtenen Bescheid entnommen werden konnte, ist dieser gemäß § 35 Abs. 2 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-57345