VwGH vom 20.12.2000, 99/08/0010
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Preschitz & Stögerer, Rechtsanwälte in Wien VII, Neubaugasse 3/10, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Niederösterreich vom , Zl. GS9-1047-1998, betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 38 Abs. 7 BSVG (mitbeteiligte Partei: G in W, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien I, Biberstraße 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom sprach die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt aus, der Mitbeteiligte hafte gemäß §§ 38 Abs. 7 und 33 Abs. 4 BSVG "als Eigentümer" einer näher bezeichneten Liegenschaft (dass nur "mit" dieser Liegenschaft gehaftet werde, ist dem Spruch des erstinstanzlichen Bescheides nicht zu entnehmen) für rückständige Sozialversicherungsbeiträge des Franz O. (jun.) für den Zeitraum vom bis zum samt Beitragszuschlägen und Nebengebühren. Der "derzeit" aushaftende Betrag von S 108.487,30 sei binnen zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides zu zahlen.
In der Begründung dieser Entscheidung führte die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt (sinngemäß) aus, wenn einem Betrieb dienende Wirtschaftsgüter nicht im Eigentum des Betriebsinhabers, sondern im Eigentum einer der in § 38 Abs. 4 Z 2 bzw. 3 BSVG genannten Personen stünden, so hafte der Eigentümer der Wirtschaftsgüter gemäß § 38 Abs. 7 BSVG mit diesen Gütern für die Beiträge, solange er nicht nachweise, dass er die Beitragsschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb nicht kennen konnte. Der Personenkreis des § 38 Abs. 4 Z 2 und 3 BSVG erstrecke sich einerseits auf Personen, die am Betrieb des Vorgängers im Sinne des § 38 Abs. 6 BSVG wesentlich und somit mit mehr als einem Viertel Anteil am Betriebskapital - wobei der wahre wirtschaftliche Gehalt des Sachverhaltes maßgebend und §§ 22 bis 24 BAO sinngemäß anzuwenden seien - beteiligt seien (Z 2), und andererseits auf Personen mit wesentlichem Einfluss auf die Geschäftsführung des Betriebsvorgängers (Z 3). Gemäß § 33 Abs. 4 BSVG seien die Bestimmungen (u.a.) über die Haftung für Beiträge auf Beitragszuschläge und Verwaltungskostenersätze entsprechend anzuwenden.
Im Fall des Mitbeteiligten gründe sich die Haftung darauf, dass er die von Franz O. (sen.) erworbenen Grundstücke an diesen verpachtet und Franz O. (sen.) sie seinem Sohn zur Weiterbewirtschaftung überlassen habe. Franz O. (jun.), über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet worden sei und dessen Gläubiger alle leer ausgehen würden, schulde die verfahrensgegenständlichen Beiträge. Der Mitbeteiligte sei eine am Betrieb wesentlich beteiligte Person, weil er (gemeint: als Eigentümer der Grundstücke) zu mehr als einem Viertel am Betriebskapital beteiligt sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde - aufgrund des vom Mitbeteiligten erhobenen Einspruchs - den Bescheid der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt ersatzlos. Die belangte Behörde ging von der im erstinstanzlichen Bescheid beschriebenen Rechtslage aus und vertrat die Rechtsansicht, der Mitbeteiligte sei keine der in § 38 Abs. 4 Z 2 bzw. 3 BSVG genannten Personen, weil zum Betrieb des Franz O. (sen.), der seinerseits Betriebsvorgänger des Beitragsschuldners gewesen sei, nur das obligatorische Pachtrecht, aber nicht die im Eigentum des Mitbeteiligten stehenden Grundstücke gehört hätten. Auch der Vermieter eines Geschäftslokales sei nicht am Betrieb des Geschäftes beteiligt.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, als Eigentümer der Grundstücke sei der Mitbeteiligte durch deren entgeltliche Zurverfügungstellung im Sinne des § 38 Abs. 6 BSVG am Betrieb des Beitragsschuldners wesentlich beteiligt gewesen. Hierauf und nicht auf die Beteiligung am Betrieb des Betriebsvorgängers komme es nach dem zu der gleichlautenden Haftungsnorm des § 67 Abs. 9 ASVG ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 88/08/0209, an. Die Auslegung der belangten Behörde, wonach das Eigentum an den Grundstücken nicht als Beteiligung am Betrieb zu werten sei, würde der Haftungsnorm - da diese voraussetze, dass die Wirtschaftsgüter nicht im Eigentum des Betriebsinhabers stünden - den Boden entziehen.
Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie auf die Gegenschrift des Mitbeteiligten verweist und im Übrigen an der Ansicht festhält, der Eigentümer von Pachtgrundstücken hafte nicht für die Beitragsschulden des Betriebsinhabers, wenn er nicht "ausnahmsweise auch" eine der in § 38 Abs. 4 Z 2 bzw. 3 BSVG genannten Personen sei. Der Verpächter sei auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht am Betrieb des die Grundstücke bewirtschaftenden Landwirtes beteiligt, wobei Pächter im vorliegenden Fall auch nicht der Beitragsschuldner, sondern Franz O. (sen.) gewesen sei.
Der Mitbeteiligte wiederholt in seiner Gegenschrift im Wesentlichen die von der belangten Behörde in der Begründung der angefochtenen Entscheidung dargelegten Argumente.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem "Recht auf Feststellung der Haftung des Eigentümers einer Liegenschaft für Beitragsschulden des Pächters" verletzt. Dieses Recht stützt die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt auf § 38 Abs. 7 BSVG.
1.1. § 38 Abs. 7 BSVG lautet nach dem im Rechtsinformationssystem des Bundes wiedergegebenen "Ressorttext" des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen wie folgt:
"(7) Stehen Wirtschaftsgüter, die einem Betrieb dienen, nicht im Eigentum des Betriebsinhabers, sondern im Eigentum einer der im Abs. 4 Z 2 bzw. 3 genannten Personen, so haftet der Eigentümer der Wirtschaftsgüter mit diesen Gütern für die Beiträge, solange er nicht nachweist, dass er die Beitragsschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb nicht kennen konnte. (9. Nov., BGBl. Nr. 113/1986, Art. I Z 7 lit. b) - ; (18. Nov., BGBl. Nr. 337/1993, Art. I Z 16a und § 247 Abs. 1 Z 4) - ."
Einen Hinweis darauf, dass die Geltung der Vorschrift fraglich sein könnte, enthält diese Veröffentlichung nicht.
1.2. In der von Marhold bearbeiteten Textausgabe (Kodex des österreichischen Rechts, Sozialversicherung) scheint § 38 Abs. 7 BSVG nicht auf. Seit der 21. Auflage (1998) wird hier nur mehr erwähnt, § 38 Abs. 7 BSVG sei mit BGBl. Nr. 247/1992 aufgehoben worden.
1.3. Teschner/Widlar, Die Sozialversicherung der Bauern, geben im vorangestellten Textteil ihres Kommentars die im Rechtsinformationssystem des Bundes als "Ressorttext" bezeichnete Fassung des § 38 Abs. 7 BSVG mit einem Hinweis auf BGBl. Nr. 247/1992 und folgender Anmerkung wieder:
"Abs. 7 wird in der Fassung wiedergegeben, die vom Gesetzgeber der 18. Nov. offenbar beabsichtigt war, infolge eines Redaktionsfehlers aber nicht in dieser Form beschlossen wurde."
2.1. In der zuvor erwähnten, von Marhold bearbeiteten Textausgabe wurde dazu von der 14. Auflage (1993) bis zur 20. Auflage (1998) Folgendes ausgeführt:
"§ 38 Abs. 7 wurde vom VfGH (, GZ 229/91-7) mit Ablauf des aufgehoben. Durch BGBl 1993/337 soll der Ausdruck 'Abs. 4' durch den Ausdruck 'Abs. 4 Z 2 bzw. 3' ersetzt werden. Diese Änderung geht wegen der bereits erfolgten Aufhebung ins Leere. BGBl 1993/337 trat in diesem Punkt am in Kraft."
2.2. Diesen Ausführungen ist - mit der Maßgabe, dass das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 13.028) nicht zur "GZ 229/91-7", sondern zur Zahl G 299/91 erging und die "ins Leere" gehende Änderung nicht erst am "in Kraft" trat - zu folgen:
2.2.1. § 38 Abs. 7 BSVG wurde mit der 9. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 113/1986, eingeführt, war der zugleich (mit der 41. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 111/1986) beschlossenen Bestimmung des § 67 Abs. 9 ASVG nachgebildet und umschrieb den haftenden Personenkreis mit einer Verweisung auf § 38 "Abs. 4" BSVG, die (ebenso wie die entsprechende Verweisung in § 67 Abs. 9 ASVG) insbesondere auch Angehörige erfasste. Die mögliche Verfassungswidrigkeit dieser Angehörigenhaftung - nach den Maßstäben eines zu § 16 BAO ergangenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes - wurde in der Regierungsvorlage zu § 67 Abs. 9 ASVG (774 BlgNR XVI. GP 28) und im Schrifttum (Fruhwürth, RdW 1987, 261) erörtert, in dem in der Beschwerde zitierten grundlegenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67 Abs. 9 ASVG vom , Zl. 88/08/0209, aber nicht aufgegriffen.
In dem Erkenntnis vom , G 299/91, VfSlg 13.028, erklärte der Verfassungsgerichtshof den Regelungsinhalt des § 38 Abs. 7 BSVG, insoweit er die Angehörigen betraf, für verfassungswidrig. Der Verfassungsgerichtshof sprach aus, § 38 Abs. 7 BSVG werde (zur Gänze) aufgehoben und die Aufhebung trete mit Ablauf des in Kraft. Diese Entscheidung wurde mit BGBl. Nr. 247/1992 am kundgemacht.
Mit der 51. ASVG-Novelle (Art. I des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 335/1993) wurde in § 67 Abs. 9 ASVG die maßgebende Verweisung für die Bestimmung des haftenden Personenkreises auf wesentlich beteiligte Personen und Personen mit wesentlichem Einfluss auf die Geschäftsführung eingeschränkt.
Diese am im Bundesgesetzblatt kundgemachte Änderung trat gemäß § 551 Abs. 1 Z 10 ASVG rückwirkend mit in Kraft und wurde im Ausschussbericht (die Regierungsvorlage hatte die Änderung noch nicht vorgesehen) damit begründet, dass der Verfassungsgerichtshof die inhaltsgleiche Vorschrift des § 38 Abs. 7 BSVG unter dem Blickwinkel der darin (u.a.) enthaltenen Anknüpfung an das bloße Angehörigenverhältnis aufgehoben habe (968 BlgNR XVIII. GP 3).
Zugleich wurde mit der 18. BSVG-Novelle (Art. I des gleichfalls am kundgemachten Bundesgesetzes BGBl. Nr. 337/1993) das BSVG ("zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 17/1993") u.a. wie folgt "geändert":
"16a. Im § 38 Abs. 7 wird der Ausdruck 'Abs. 4' durch den Ausdruck 'Abs. 4 Z 2 bzw. 3' ersetzt."
Gemäß § 247 Abs. 1 Z 4 BSVG trat auch diese Änderung "rückwirkend mit " in Kraft. Im Ausschussbericht vom (auch diese Änderung war in der Regierungsvorlage noch nicht vorgesehen gewesen) wurde - im Wesentlichen wie in der Begründung des § 67 Abs. 9 ASVG betreffenden Änderungsvorschlages zur 51. ASVG-Novelle - nach einem Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Folgendes ausgeführt (970 BlgNR XVIII. GP 2):
"Die Aufhebung der gegenständlichen Bestimmung wird mit Ablauf des in Kraft treten.
Es ist daher notwendig, diese Regelung in verfassungskonformer Weise neu zu formulieren. Vorbild für die gegenständliche Regelung ist § 16 BAO. Als Folge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 10.157/1984 ist in dieser Bestimmung der Verweis auf die Worte 'eines seiner Angehörigen (§ 25) oder' entfallen. Die gleiche Lösung wird nunmehr auch für § 38 Abs. 7 BSVG in der Weise vorgeschlagen, dass der Verweis auf Abs. 4 des § 38, der in seiner Z 1 die Angehörigen des Betriebsvorgängers aufnimmt, auf die Z 2 und 3 des § 38 Abs. 4 BSVG eingeschränkt wird."
2.2.2. Damit hat der Gesetzgeber - wie von Marhold richtig hervorgehoben und mit den Worten, der von ihnen wiedergegebene Text sei vom Gesetzgeber "offenbar beabsichtigt", aber "nicht in dieser Form beschlossen" worden, auch von Teschner/Widlar eingeräumt - in einer Bestimmung, die bereits außer Kraft getreten und im BSVG in der Fassung, auf die sich die Novelle bezog, nicht mehr enthalten war, einen Ausdruck ("Abs. 4") durch einen anderen Ausdruck ("Abs. 4 Z 2 bzw. 3") "ersetzt", wobei sich das Recht, in dem sich die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt verletzt erachtet, aus dem neu eingeführten Ausdruck - allein - nicht ableiten lässt. Dass der neu eingeführte Ausdruck - anders als von Marhold angenommen - nicht erst mit , sondern schon mit "in Kraft" trat, ist nur ein weiterer Hinweis auf die im Ausschussbericht dokumentierten Absichten, aber kein Ersatz für die hier - anders als im Fall des § 67 Abs. 9 ASVG - erforderliche neuerliche Inkraftsetzung der übrigen Teile der aufgehobenen Bestimmung (vgl. zu einem ähnlichen Problem im Zusammenhang mit der Änderung einer nicht in Kraft getretenen Verordnung den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , V 91/97).
Die vorliegende Beschwerde war schon deshalb, weil das Gesetz der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt das Recht, in dem sie sich verletzt erachtet, aus den dargestellten Gründen offenkundig nicht einräumt, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren des Mitbeteiligten findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am