VwGH vom 25.10.1994, 94/07/0003
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bachler, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom , Zl. UVS-9/15/3-1993, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft (BH) vom wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG 1959) eine Geldstrafe in Höhe von S 15.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden) verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt. Mit einem am - also außerhalb der Berufungsfrist - zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und holte gleichzeitig die Berufung nach.
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages brachte er vor, er habe am das Straferkenntnis der BH in der Kanzlei seiner ausgewiesenen Rechtsvertreter mit dem Auftrag zur Erhebung einer Berufung übergeben. In der Kanzlei seiner Vertreter würden die Fristen für schriftlich einzubringende Rechtsmittel jeder Art in roter Schrift am betreffenden Tag in den Terminkalender eingetragen. So habe der Vertreter des Beschwerdeführers Dr. R. dieses Straferkenntnis der Sekretärin W. mit dem Auftrag übergeben, die zweiwöchige Berufungsfrist in den Terminkalender einzutragen und den Akt dann seinem Partner Dr. M. zu übergeben, damit dieser bei der Behörde in den Akt Einsicht nehme und gegebenenfalls Kopien herstelle. Dr. R. habe mit Dr. M. kurz die Rechtslage besprochen und ihm schon angekündigt, daß ihm dieser Akt wegen Akteneinsichtnahme bei der Behörde übergeben würde. Bevor noch die Sekretärin die Frist im Terminkalender eingetragen habe, habe Dr. M. die Sekretärin ersucht, ihm den Akt mitzugeben, damit er im Rahmen von Behördengängen beim Landes- und Bezirksgericht Salzburg die Akteneinsicht gleich miterledigen könne. Die Sekretärin habe Dr. M. aber nicht darauf aufmerksam gemacht, daß die Frist noch nicht eingetragen gewesen sei; dies sei von ihr übersehen worden. Als Dr. M. am beim zuständigen Sachbearbeiter bei der BH wegen Akteneinsichtnahme vorgesprochen habe, habe er feststellen müssen, daß die Berufungsfrist bereits abgelaufen sei und sich dies nicht erklären können. Nach Rückkehr in die Kanzlei habe der Sachverhalt aufgeklärt werden können. Die Versäumung der Frist sei sohin auf Grund eines Versehens der Sekretärin erfolgt. Diese arbeite seit April 1986 in der Kanzlei und sei mit organisatorischen Aufgaben wie Post, Termine, Telefonate und dgl. betraut. Sie bearbeite auch die Post und es seien täglich ca. 15 bis 20 Fristen in das Fristenbuch bzw. in den Terminkalender einzutragen. Am Anfang ihrer Tätigkeit in der Kanzlei seien bei der täglichen Postbesprechung die von der Sekretärin eingetragenen Termine und Fristen kontrolliert und dabei festgestellt worden, daß sie eine äußerst gewissenhafte Sekretärin sei und Termine und Fristen immer richtig im Terminkalender bzw. Fristenbuch eingetragen habe. Aus diesem Grund seien in der letzten Zeit die Termine und Fristen nur mehr stichprobenartig überprüft worden, wobei diese immer richtig eingetragen worden seien. Das Versehen der Sekretärin stelle für den Beschwerdeführer ein unvorgesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Ein Verschulden der Vertreter des Beschwerdeführers, zum Beispiel durch mangelhafte Überwachung, liege nicht vor, da diese auf Grund des langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der Sekretärin annehmen hätten können, daß die Frist entsprechend der Weisung von Dr. R. richtig in den Termin- bzw. Fristenkalender eingetragen werde. Auf Grund der bisher gezeigten Verläßlichkeit der Sekretärin sei mit einem derartigen Versehen nicht zu rechnen gewesen.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war eine eidesstättige Erklärung der Sekretärin beigefügt.
Mit Bescheid vom wies die BH den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet ab.
Der Beschwerdeführer berief.
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde
die Berufung ab.
In der Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, ein Rechtsanwalt, der gewisse Arbeitsbereiche dem Kanzleipersonal, möge dieses auch geschult und verläßlich sein, zur selbständigen Durchführung überlasse, ohne Vorkehrungen zu treffen, damit aller Voraussicht nach Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen ausgeschlossen blieben, verstoße gegen die ihm insoweit obliegende Sorgepflicht (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/03/0040). Im vorliegenden Fall seien offenbar keinerlei Vorkehrungen zur Hintanhaltung der Fristversäumnis gesetzt worden. Sowohl seitens der Kanzleiangestellten als auch seitens des Kanzleikollegen des Parteienvertreters wäre eine diesbezügliche Vorkehrung zumutbar und abverlangbar gewesen; es sei daraus im Hinblick auf die prozessuale Bedeutung des Fristenlaufes zweifellos ein Verschuldensgrad zu erkennen, der über den Grad des minderen Versehens hinausgehe. Dieses Verschulden sei dem Parteienvertreter zuzurechnen, zumal er keinerlei Vorkehrungen zur Vermeidung derartiger Unzulänglichkeiten des Kanzleibetriebes gesetzt habe und diesbezüglich sich nur auf die tatsächlichen Abläufe einer Rechtsanwaltskanzlei berufe. Wenn in diesem Zusammenhang auf den großen Umfang der anfallenden Arbeit in einer Rechtsanwaltskanzlei verwiesen werde, sei damit nur das Erfordernis von entsprechenden Kontroll- und Überwachungsaktivitäten seitens des Kanzleiverantwortlichen bestätigt; es vermöge ein Sich-Verlassen auf eine Kanzleiangestellte bzw. deren stichprobenartige Kontrolle diesen besonderen Erfordernissen nicht gerecht zu werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Ein Verschulden des Rechtsvertreters einer Partei ist einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Das Versehen eines Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt als Verschulden anzurechnen, wenn er die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Das heißt, daß der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten und die für ihn tätigen Personen so zu überwachen hat, daß die erforderliche und fristgerechte Wahrung von Prozeßhandlungen bzw. die Einhaltung behördlicher Termine sichergestellt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 93/03/0040, 0041 u.a.).
Welche Anforderungen an die organisatorischen Vorkehrungen in einer Anwaltskanzlei und an die Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleipersonal zu stellen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Im Beschwerdefall wurde die Berufungsfrist nach den Behauptungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren deswegen versäumt, weil die Sekretärin W. entgegen der ihr erteilten Weisung die Vormerkung der Frist unterlassen hat. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers handelt es sich bei dieser Sekretärin um eine seit 1986 in der Anwaltskanzlei seiner Rechtsvertreter tätige Bedienstete, die in der Anfangsphase ihrer Tätigkeit laufend überprüft und kontrolliert wurde, während diese Überprüfungen in letzter Zeit, nachdem sich ihre völlige Verläßlichkeit herausgestellt hatte, auf Stichproben beschränkt wurden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 86/16/0194, zum Ausdruck gebracht, daß die Berufung eines Rechtsanwaltes auf eine stichprobenartige Überprüfung der von seinem Kanzleiperonal vorgenommenen Eintragungen im Fristenkalender für die Erfüllung der dem Rechtsanwalt gegenüber seinem Kanzleipersonal obliegenden Überwachungspflicht dann nicht als ausreichend anzusehen ist, wenn die fragliche Kanzleibedienstete erst seit kurzer Zeit beim betreffenden Rechtsanwalt beschäftigt war. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers bei der fraglichen Kanzleibediensteten um eine bewährte Kraft, die sich bisher als absolut verläßlich erwiesen hat. Wenn in einem solchen Fall nach einiger Zeit die Überprüfung der Fristeintragungen und der sonstigen Tätigkeit der Bediensteten auf Stichproben beschränkt wird, dann muß dies als ausreichend angesehen werden. Aus den von der belangten Behörde ins Treffen geführten hg. Erkenntnis vom , Zlen. 93/03/0040, 0041, ist Gegenteiliges nicht abzuleiten, da diesem ein in mehrfacher Hinsicht anders gelagerter Sachverhalt zugrunde lag; insbesondere betraf diese Entscheidung nicht das Ausmaß der Überwachungspflicht gegenüber einer im Kanzleidienst erfahrenen und bewährten Bediensteten.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren war daher grundsätzlich geeignet, glaubhaft zu machen, daß die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG vorliegen. Der Beschwerdeführer hat sich nicht bloß auf allgemeine Behauptungen beschränkt, sondern ist seiner Verpflichtung, seinen Wiedereinsetzungsantrag in Hinsicht auf die Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht seiner Büroangestellten zu substantiieren, nachgekommen. Dies hätte allerdings eine Aufforderung der belangten Behörde an den Beschwerdeführer, noch nähere Angaben über Art und Weise, insbesondere die Häufigkeit der stichprobenartigen Überprüfungen der Sekretärin, zu machen, nicht gehindert, wenn sie dies für erforderlich hielt. Sie durfte aber nicht das Vorbringen des Beschwerdeführers als von vornherein zur Begründung einer Wiedereinsetzung ungeeignet abtun.
Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994.