VwGH vom 24.01.1997, 96/19/2111

VwGH vom 24.01.1997, 96/19/2111

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 106.852/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verfügte über eine am ausgestellte Aufenthaltsbewilligung für den Zeitraum bis zum Zweck eines privaten Aufenthaltes. Er beantragte am die Verlängerung dieser Bewilligung, wobei er sich auf die beabsichtigte Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit als Lohndiener als alleinigen Zweck des (verlängerten) Aufenthaltes berief.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen, weil das nach dem beabsichtigten Aufenthalt zuständige Landesarbeitsamt auf Anfrage durch die gemäß § 6 AufG zuständige Behörde festgestellt hat, daß im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes Bedenken gegen die Aufnahme der vom Antragsteller angestrebten Beschäftigung bestünden.

Der Beschwerdeführer erhob anwaltlich vertreten Berufung, in der er unter anderem geltend machte, er beabsichtige, (auch) eine Tätigkeit als Fleischergeselle aufzunehmen.

Diese Berufung wurde vom Landeshauptmann von Wien der belangten Behörde mit der Bemerkung vorgelegt, daß keine Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a AVG getroffen werde. Sie langte am bei der Berufungsbehörde ein.

Mit einer an die erstinstanzliche Behörde gerichteten Eingabe vom teilte der Beschwerdeführer mit, daß das Vollmachtsverhältnis zu seinem Rechtsanwalt gelöst werde; er ersuche, allfällige Zustellungen in Hinkunft an ihn selbst vornehmen zu wollen.

Ergänzend brachte er vor, er sei seit mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Er benötige daher mit Rücksicht auf § 2 Abs. 2 lit. l AuslBG (gemeint wohl:

§ 1 Abs. 2 lit. l AuslBG in der damals anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 475/1992 vor Inkrafttreten der Novellen BGBl. Nr. 895/1995 und BGBl. Nr. 201/1996) keine Arbeitsbewilligung nach dem AuslBG. Er stehe auch bereits als Fleischergeselle bei einem österreichischen Unternehmen in Arbeit.

Diese Eingabe wurde vom Landeshauptmann von Wien an die belangte Behörde weitergeleitet, wo sie am einlangte.

Mit dem an den Beschwerdeführer zu Handen des ihn im Berufungsverfahren vertretenden Rechtsanwaltes am zugestellten Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 5 Abs. 2 AufG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 5 Abs. 2 AufG dürfe eine Bewilligung zum Zweck der Aufnahme einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG nur erteilt werden, wenn die nach dem beabsichtigten Aufenthalt zuständige Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Anfrage durch die gemäß § 6 AufG zuständige Behörde festgestellt habe, daß im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes keine Bedenken gegen die Aufnahme der vom Antragsteller angestrebten Beschäftigung bestünden. Im Falle des Beschwerdeführers habe die zuständige Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice am die Unbedenklichkeit nicht bestätigt, woraus sich die gesetzliche Verpflichtung ergeben habe, seinen Antrag abzuweisen. Selbst wenn im gegebenen Fall eine Ermessensentscheidung zulässig wäre, könne die belangte Behörde zu keinem anderen Ergebnis gelangen, zumal keine nennenswerten persönlichen Interessen vorgebracht worden seien, die eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers herbeiführen hätten können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Sobald die erstinstanzliche Behörde eine Berufung - sei es auch vor Ablauf der Frist des § 64a Abs. 1 AVG - der Berufungsbehörde vorlegt, wird diese allein zur Erledigung der Berufung zuständig (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 534/4).

Daraus folgt, daß der am beim Landeshauptmann von Wien überreichte Schriftsatz des Beschwerdeführers vom bei der unzuständigen Behörde eingebracht wurde, welche ihn zutreffend in Anwendung des § 6 Abs. 1 AVG an die zuständige Stelle weitergeleitet hat. Dort langte er erst am , also nach der am erfolgten Zustellung des angefochtenen Bescheides ein. Das in der in Rede stehenden Eingabe enthaltene Vorbringen konnte daher bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht berücksichtigt werden.

Eine dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/18/0054 = Slg. NF 11.915/A, vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor, weil sich die Berufungsbehörde im vorliegenden Fall nicht der erstinstanzlichen Behörde zur Gewährung des Parteiengehörs bedient hat. Diese Erwägungen führen zunächst zum Ergebnis, daß der angefochtene Bescheid zu Recht dem Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt und damit erlassen wurde. Denn auch der Widerruf der (die Zustellvollmacht umfassenden) Vollmacht muß, um wirksam zu sein, der zuständigen Behörde gegenüber erklärt werden. Diese Erklärung ist nicht vor der (Verfügung der) Zustellung eingelangt.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, § 5 Abs. 2 AufG sei auf den gegenständlichen Antrag nicht anwendbar, weil der Beschwerdeführer seit mit einer österreichischen Staatsangehörigen in aufrechter Ehe lebe und seit einem Jahr durchgehend in einem aufrechten Arbeitsverhältnis stehe.

Dieses Vorbringen verstößt jedoch nach dem Vorgesagten gegen das Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

§ 5 Abs. 2 AufG lautet:

"(2) Zum Zweck der Aufnahme einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn die zuständige Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Anfrage durch die gemäß § 6 zuständige Behörde mitgeteilt hat, daß im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes keine Bedenken gegen die Aufnahme der vom Antragsteller angestrebten Beschäftigung bestehen. Anträge auf Erteilung solcher Bewilligungen sind unverzüglich und ohne unnötigen Aufschub zu erledigen. Der Antragsteller hat mit dem Antrag die Art der angestrebten Beschäftigung anzugeben und die hiefür erforderliche entsprechende Qualifikation glaubhaft zu machen."

Ausgehend davon, daß der Beschwerdeführer im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden nicht angab, verheiratet zu sein und vorbrachte, die in Rede stehenden Beschäftigungen erst anzustreben (vgl. ONr. 5 und ONr. 14 des Verwaltungsaktes), kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Auffassung vertrat, der Beschwerdeführer beantrage die Aufenthaltsbewilligung "zum Zweck der Aufnahme einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG".

Die Annahme der belangten Behörde, sie sei an die negative Auskunft des Arbeitsamtes gebunden, erweist sich jedoch aus den im hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/18/0046, dargelegten Gründen, die auch für die Rechtslage aufgrund der Novelle zum Aufenthaltsgesetz, BGBl. Nr. 351/1995, gelten (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 1409/95), als unrichtig. Indem sie diese Rechtsauffassung vertrat, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Bemerkt wird, daß es die belangte Behörde unterließ, sich mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, er beabsichtige, eine Tätigkeit als Fleischergeselle aufzunehmen, überhaupt auseinanderzusetzen, zumal sich die getätigte Anfrage ausschließlich auf den angestrebten Beruf "Lohndiener" bezogen hatte.

Das Begründungselement, die belangte Behörde könnte zu keinem anderen Ergebnis gelangen, selbst wenn im gegebenen Fall eine Ermessensentscheidung zulässig wäre, zumal keine nennenswerten persönlichen Interessen vorgebracht worden seien, die eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers herbeiführen hätten können, vermag eine auf § 4 Abs. 2 AufG gegründete Ermessensentscheidung schon aus nachstehenden Gründen nicht zu tragen:

Gemäß § 4 Abs. 2 zweiter Satz AufG kann eine Bewilligung um höchstens zwei Jahre verlängert werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) eingetreten ist. Aus der Verwendung des Wortes "kann" in dieser Bestimmung folgt, daß die Verlängerung einer Bewilligung - ebenso wie ihre erstmalige Erteilung - grundsätzlich im Ermessen der Behörde steht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/19/0338) ausgesprochen, daß bei einer Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz AufG die - in sinngemäßer Anwendung des § 7 Abs. 3 des Fremdengesetzes (FrG) - heranzuziehenden persönlichen Verhältnisse und die dadurch begründeten Interessen des Fremden an der Erteilung einer Bewilligung, soweit diese nicht ohnedies schon aus dem Grunde des Art. 8 Abs. 1 MRK der Versagung der Bewilligung entgegenstehen, den in § 2 Abs. 1 AufG umschriebenen besonderen Verhältnissen im Land des beabsichtigten Aufenthaltes gegenüberzustellen sind. Ergibt diese Abwägung infolge der Geringfügigkeit der für die Erteilung sprechenden persönlichen Interessen des Fremden, daß die sich aus der Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes ergebenden öffentlichen Interessen an einer Verweigerung der Bewilligung, mögen letztere auch der Erteilung einer Bewilligung an Personen mit intensiveren persönlichen Interessen nicht entgegenstehen, überwiegen, kann eine auf § 4 Abs. 1 AufG gestützte abweisliche Entscheidung ergehen.

Wird - wie für das Jahr 1995 durch die Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 1023/1994 - eine Quote für den Neuzuzug von Fremden festgelegt, so ist davon auszugehen, daß die in § 2 Abs. 1 AufG umschriebenen besonderen Verhältnisse auch dem Verbleib von Fremden, die bereits eine Aufenthaltsbewilligung besitzen, nicht grundsätzlich entgegenstehen. Eine auf § 4 Abs. 2 zweiter Satz AufG gestützte abweisliche Entscheidung setzt daher ebenfalls eine Gegenüberstellung und Abwägung der Interessen im oben aufgezeigten Sinne voraus, wobei im Rahmen der für die Erteilung sprechenden persönlichen Interessen dem bereits bestehenden rechtmäßigen Aufenthalt des Fremden besonderes Gewicht zukommt.

Diesen Kriterien für eine abweisliche Ermessensentscheidung genügt der vorliegende Bescheid schon in formeller Hinsicht nicht, weil er weder Feststellungen zu den in § 2 Abs. 1 AufG umschriebenen besonderen Verhältnissen im Lande des beabsichtigten Aufenthaltes noch Feststellungen über die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers enthält.

Aufgrund der oben aufgezeigten - prävalierenden - Rechtswidrigkeit des Inhaltes war der angefochtene Bescheid aus dem Grunde des § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des insgesamt begehrten Kostenersatzes auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.