VwGH vom 15.06.2004, 2003/05/0210
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. König, über die Beschwerde 1. der Hildegard Mauthner und 2. der Marianne Nussbaumer, beide in Wien, beide vertreten durch Dr. Maria Gohn-Mauthner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 12, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB-99/02, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Chalet Bauträger GesmbH, Wien 19, Nußdorfer Platz 1-2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführerinnen insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aus der Beschwerde, dem angefochtenen Bescheid sowie dem hg. Vorerkenntnis vom , Zl. 2002/05/0024, ergibt sich Folgendes:
Mit dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der Beschwerde der auch nunmehrigen Beschwerdeführerinnen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , mit dem die Berufung der Beschwerdeführerinnen gegen die der mitbeteiligten Partei erteilte Baubewilligung abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, dass die Höhe des geplanten Gebäudes rechtmäßig gemäß § 81 Abs. 2 der Bauordnung für Wien (BO) berechnet worden und § 75 Abs. 9 BO noch anzuwenden gewesen sei. Hinsichtlich der seitlichen Abstandsflächen und der Veränderung der Höhenlage seien subjektivöffentliche Nachbarrechte der Beschwerdeführerinnen nicht verletzt worden. Allerdings war das Beschwerdevorbringen hinsichtlich einer Verletzung von subjektiv-öffentlichen Rechten insofern begründet, als dort, wo außerhalb des bebaubaren Bereiches der Liegenschaft "G" angeordnet ist, die gärtnerische Ausgestaltung zu erfolgen habe. Anstelle des vorgesehenen Gitterrostes über dem Lichtgraben habe daher eine gärtnerische Ausgestaltung zu erfolgen.
In der Folge hat die mitbeteiligte Partei das Bauvorhaben dahingehend geändert, dass in der gärtnerisch auszugestaltenden Fläche ("G") hinter der hinteren Baufluchtlinie der dort ursprünglich vorgesehene Lichtgraben samt Gitterrostabdeckung nicht mehr errichtet werden soll und an dessen Stelle im Sinne der angeordneten gärtnerischen Ausgestaltung die begrünte Fläche nunmehr bis zum Gebäude vorgesehen ist. Diese Abänderung wurde nach Prüfung durch den bautechnischen Amtssachverständigen den Beschwerdeführerinnen zur Kenntnis gebracht. Sie haben dazu keine Stellungnahme abgegeben.
Mit dem jetzt angefochtenen Bescheid vom wurde die Berufung der Beschwerdeführerinnen gegen die in erster Instanz erteilte Baubewilligung mit der Maßgabe abgewiesen, dass sich der Berufungsbescheid auf die zum Bestandteil des Berufungsbescheides erklärten Pläne bezieht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerinnen verweisen darauf, dass § 75 Abs. 9 BO vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom als verfassungswidrig aufgehoben worden und die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft getreten sei. Mit dem Gesetz LGBl. Nr. 36/2001 sei dieser Verfassungswidrigkeit Rechnung getragen und § 75 Abs. 9 BO geändert worden. Dennoch habe die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage auf das Bauprojekt der Mitbeteiligten nach wie vor § 75 Abs. 9 BO in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 36/2001 angewendet.
§ 75 Abs. 9 BO idF des Gesetzes LGBl. Nr. 40/1997 lautet:
"(9) Sofern das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt wird und das Gebäude nicht mehr Hauptgeschosse aufweist als ein Neubau, der ausschließlich Wohnungen und eine durchgehende Geschoßhöhe von 2,8 m aufweist, darf die in den Bauklassen I bis IV zulässige Gebäudehöhe außerhalb von Schutzzonen um höchstens 1,5 m überschritten werden; dabei sind die Bestimmungen des Abs. 4 einzuhalten und darf die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen nicht vermindert werden. Für dieses Überschreiten der Gebäudehöhe bis zu dem Ausmaß von 1,5 m ist eine Bewilligung gemäß § 69 Abs. 1 lit. m nicht erforderlich. Wenn eine solche Überschreitung erfolgt, ist eine darüber hinausgehende Überschreitung gemäß § 69 Abs. 1 lit. m ausgeschlossen."
Diese Bestimmung wurde mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 16.049, als verfassungswidrig aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof sprach aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Die Kundmachung durch den Landeshauptmann erfolgte am im LGBl. Nr. 14/2001.
Mit dem Gesetz LGBl. Nr. 36/2001 erhielt § 75 Abs. 9 BO folgende Fassung:
"(9) Sofern das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt wird, darf die Gebäudehöhe im Bauland außerhalb von Schutzzonen im Betriebsbaugebiet, im Industriegebiet und allgemein in den Bauklassen III und IV um jenes Maß vergrößert werden, um das eine Hauptgeschoßhöhe von 2,80 m überschritten wird. Die zulässige beziehungsweise festgesetzte Gebäudehöhe darf dadurch um höchstens 1,5 m überschritten werden. Dabei sind die Bestimmungen des Abs. 4 einzuhalten. Die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen darf nicht vermindert werden. Für dieses Überschreiten der Gebäudehöhe bis zu dem Ausmaß von 1,5 m ist eine Bewilligung gemäß § 69 Abs. 1 lit. m nicht erforderlich. Wenn eine solche Überschreitung erfolgt, ist eine darüber hinausgehende Überschreitung gemäß § 69 Abs. 1 lit. m ausgeschlossen. Durch diese Bestimmung wird bezüglich des örtlichen Stadtbildes der Kreis der subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte nicht erweitert."
Auf Grund des Art. III Abs. 2 des Gesetzes LGBl. Nr. 36/2001 ist die genannte Bestimmung mit in Kraft getreten; gemäß Art. III Abs. 3 gelten für alle zur Zeit des Inkrafttretens anhängigen Verfahren (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) "die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen".
Das gegenständliche Baubewilligungsverfahren war am anhängig. Dies bedeutet, dass es nach jener Rechtslage fortzuführen und zu beenden war, die vor Inkrafttreten des § 75 Abs. 9 BO in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 36/2001 bestanden hat. Es war daher § 75 Abs. 9 BO in der Fassung LGBl. Nr. 40/1997 (bis ) und LGBl. Nr. 14/2001 (ab ) anzuwenden.
Da der in Beschwerde gezogene Bescheid nach dem erlassen wurde (anders als der mit dem genannten hg. Erkenntnis vom aufgehobene Bescheid), konnte er folglich nicht mehr auf § 75 Abs. 9 BO in der Fassung LGBl. Nr. 40/1997 gestützt werden, weil diese Bestimmung mit Ablauf des außer Kraft getreten ist.
Daran vermag es nichts zu ändern, dass der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten hg. Erkenntnis vom ausgesprochen hat, dass § 75 Abs. 9 BO "noch" anzuwenden gewesen ist. Diese Ausführungen bezogen sich auf einen vor dem ergangenen Bescheid. Im Übrigen verpflichtet eine Änderung der Rechtslage die Behörde, ungeachtet eines vorangegangenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes unter Zugrundelegung der nunmehr maßgeblichen Normen zu entscheiden. Hat sich die Rechtslage geändert, ist insoweit keine Bindung mehr an eine in einem Vorerkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes geäußerte Rechtsansicht gegeben (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 735 zitierte hg. Rechtsprechung).
Da mit dem hg. Vorerkenntnis vom der damals bekämpfte Bescheid zur Gänze aufgehoben worden ist, kann entgegen dem Vorbringen der belangten Behörde in der Gegenschrift auch nicht davon ausgegangen werden, dass, weil die Aufhebung lediglich wegen der fehlenden gärtnerischen Ausgestaltung und nicht wegen der Gebäudehöhe erfolgte, "Teilrechtskraft" der Baubewilligung in Bezug auf die Gebäudehöhe eingetreten ist.
Für die Liegenschaft, auf der der geplante Bau aufgeführt werden soll, ist die Widmung Wohngebiet, Bauklasse I, mit einer maximalen Gebäudehöhe von 7,50 m festgesetzt (vgl. den Verweis auf die dem Baubewilligungsverfahren zu Grunde liegende Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen in der Begründung des im Akt befindlichen Berufungsbescheides vom , Zl. MD-VfR-B XVIII-21/01; der dort zitierte Bescheid über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen vom befindet sich nicht im Akt). Da für eine Liegenschaft im Wohngebiet, für die die Bauklasse I festgesetzt ist, § 75 Abs. 9 BO idF LGBl. Nr. 36/2001 nicht zum Tragen kommen kann, erübrigt es sich, im vorliegenden Fall darauf einzugehen, ob diese Bestimmung in Verfahren, die am bereits anhängig waren, überhaupt anwendbar sein kann.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, wobei der Aufwandersatz auf Grund des § 59 Abs. 1 VwGG nur im ausdrücklich beantragten Ausmaß zuzuerkennen war.
Wien, am
Fundstelle(n):
WAAAE-56570