VwGH 17.11.1994, 94/06/0146
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BauG Vlbg 1972 §30 Abs1; BauG Vlbg 1972 §6 Abs10; BauRallg; |
RS 1 | Bei der Bestimmung des § 6 Abs 10 Vlbg BauG 1972 handelt es sich um ein Ausnahmeregelung für Bauwerke mit einem aus dem Ortsüblichen herausfallenden Verwendungszweck (Hinweis E , 86/06/0037). Die konsensgemäße Verwendung einer Wohnanlage im Wohngebiet kann aber keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarn durch Abgase der Heizungen und Staub herbeiführen, selbst dann nicht, wenn tatsächlich die Umgebung des zu bebauenden Grundstückes nur mit Einfamilienhäusern bebaut sein sollte, weil der Verwendungszweck von Wohnbauten (hier: in 6 Wohnhäusern mit insgesamt 37 Wohnungen) kein anderer ist, als der in Einfamilienhäusern und auch typenmäßig keine ortsunübliche Art von Immissionen erwarten läßt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH E 1994/06/09 94/06/0058 5
(hier: handelt es sich um die Erteilung einer Baubewilligung für
die Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses für 12 Wohneinheiten
und einer Tiefgarage für 12 PKW; der Nachbar berief sich auf
Immissionen in Form von Lärm, Geruch, Staub und Erschütterungen) |
Normen | |
RS 2 | In die Beurteilung, ob durch das Vorhaben das in § 6 Abs 10 Vlbg BauG 1972 genannte ortsübliche Ausmaß an Belästigungen überschritten werde, ist (auch) die Widmung laut Flächenwidmungsplan miteinzubeziehen. Das ortsübliche Ausmaß ist naturgemäß nach der Umgebung der Örtlichkeit, ob es sich nämlich um ein Wohngebiet, ein Industriegebiet oder ein Landwirtschaftsgebiet handelt, verschieden. Ist daher durch einen Flächenwidmungsplan eine bestimmte Widmungskategorie festgelegt, so sind Immissionen, die sich im Rahmen des in einer solchen Widmungskategorie üblichen Ausmaßes halten, als zumutbar anzusehen, und zwar auch dann, wenn sie das Ausmaß der in der unmittelbaren Umgebung eines Wohnhauses feststellbaren Immissionen übersteigen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 86/06/0161 E RS 1 |
Normen | BauG Vlbg 1972 §6 Abs10; BauRallg; |
RS 3 | Aus dem Blickwinkel des § 6 Abs 10 Vlbg BauG sind Immissionen hinzunehmen, wenn sie sich im Rahmen des nach der Widmungsart Zulässigen halten und zwar auch dann, wenn sie die bisher vorliegenden Immissionsverhältnisse auf dem Grundstück der Nachbarn verschlechtern (Hinweis E , 86/06/0161, BauSlg 1138 mwH). Bauführungen, deren Emissionen nach der Widmungsart unzulässig wären, können andererseits daher nicht als ortsüblich im Sinne des § 6 Abs 10 legcit angesehen werden. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH E 1992/05/21 91/06/0143 7 |
Norm | BauG Vlbg 1972 §6 Abs10; |
RS 4 | Bei Beurteilung, ob Emissionen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarschaft herbeiführen ist von einem sich an der für das zu bebauende Grundstück im FlWPl festgelegte Widmungskategorie orientierenden Durchschnittsmaßstab auszugehen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 87/06/0003 E RS 2 |
Normen | |
RS 5 | Bei der Frage der Belästigung iSd § 6 Abs 10 Vlbg BauG 1972 (hier: Belästigungen durch Geruch, Lärm, allenfalls auch durch Insekten durch den geplanten Pferdestall) handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff; die Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt eine "Belästigung" bedeutet, ist daher als Rechtsfrage von der Behörde (bzw vom Verwaltungsgerichtshof) und nicht vom Sachverständigen zu lösen. Dieser hat vielmehr nur die Aufgabe, die als Ursache der Belästigung in Betracht kommenden Immissionen hinsichtlich Art und Ausmaß (gegebenenfalls auch hinsichtlich ihrer chemischen Zusammenhang und ihres physikalischen Verhaltens) zu beschreiben und - soweit dazu nicht das allgemeine Erfahrungswissen ausreicht - auch darzulegen, ob, in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen sie als unangenehm empfunden werden. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH E 1994/03/17 93/06/0096 11
(hier handelt es sich um Immissionen in Form von Lärm, Geruch,
Staub und Erschütterungen) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des V in F, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom , Zl. II-2110/94, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: 1. W in S, 2. Stadt Feldkirch, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom beantragte die erstmitbeteiligte Partei die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage mit Tiefgarage auf Gst. Nr. 1456/23. In der mündlichen Verhandlung vom sprach sich der Beschwerdeführer gegen die Erteilung einer Baubewilligung aus, da der Verwendungszweck des projektierten Bauwerkes, insbesondere die Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage, bei den vorgesehenen Abstandsflächen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung durch Lärm, Geruch, Staub und Erschütterungen sowie eine gesundheitliche Gefährdung durch die aufgezeigten Immissionsarten für ihn und seine Familie erwarten lasse. Dazu beantragte der Beschwerdeführer die Einholung eines lärmtechnischen, lufthygienischen und humanmedizinischen Befundes und Gutachtens zum Beweis dafür, daß die aufgezeigten Belästigungen und gesundheitlichen Gefährdungen nicht ausgeschlossen werden können.
Mit Bescheid des Bürgermeisters von Feldkirch vom wurde der erstmitbeteiligten Partei die Baubewilligung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses für 12 Wohneinheiten und einer Tiefgarage für 12 PKW erteilt. Gleichzeitig wurden die Einwendungen des Beschwerdeführers abgewiesen. In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung führte der Beschwerdeführer die einzelnen Belästigungs- und Gefährdungstatbestände näher aus und machte die mit der Abweisung der Einwendung einhergegangene Rechtsverletzung geltend. Die Berufungskommission der zweitmitbeteiligten Partei wies die Berufung mit Bescheid vom ab. Als Begründung führte sie im wesentlichen aus, daß sich das Baugrundstück im gewidmeten Wohngebiet befinde. Dort sei die Errichtung von Wohngebäuden und auch Tiefgaragen in einem solchen Maße üblich, daß die "angezogenen Belästigungen" und Gesundheitsgefährdungen nicht mehr weiter geprüft werden müssen. Insbesondere brauche es für diese Beurteilung auch keine Sachverständigengutachten. Mit Schriftsatz vom erhob der Beschwerdeführer Vorstellung gegen den abweisenden Berufungsbescheid und führte darin aus, daß - anders als bei den Belästigungen - bei der gesundheitlichen Gefährdung nicht auf die bestehende Flächenwidmung abzustellen sei und deshalb die Baubehörde im Einzelfall gemäß § 6 Abs. 10 Vlbg Baugesetz größere als die gesetzlichen Mindestabstände vorschreiben hätte müssen.
Mit Bescheid vom hat die belangte Behörde der Vorstellung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer erstattete eine Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Das Mitspracherecht der Nachbarn ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenen Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. u. a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 10317/A).
Im vorliegenden Beschwerdefall ist unbestritten, daß sich das zu errichtende Mehrfamilienhaus laut Flächenwidmungsplan im Wohngebiet gemäß § 14 Abs. 3 Vorarlberger Raumplanungsgesetz (RPG), LGBl. Nr. 15/1973, befindet und die Abstandsflächen nach § 6 Abs. 2 bis 8 des Vorarlberger Baugesetzes (BauG), LGBl. Nr. 39/1972, eingehalten werden.
Gemäß § 6 Abs. 10 BauG kann jedoch die Behörde auch größere als in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abstände festsetzen, wenn der Verwendungszweck eines Bauwerkes eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn erwarten läßt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, handelt es sich bei § 6 Abs. 10 BauG nicht um einen allgemeinen Immissionsschutz des Nachbarn zur Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes, sondern um eine Ausnahmeregelung für Bauwerke mit einem aus dem Ortsüblichen herausfallenden Verwendungszweck (vgl. u.a. das Erkenntnis vom , Zl. 86/06/0037).
In die Beurteilung, ob durch das Vorhaben das in § 6 Abs. 10 BauG zitierte "ortsübliche Ausmaß" an Belästigungen überschritten werde, ist (auch) die Widmung laut Flächenwidmungsplan miteinzubeziehen. Das ortsübliche Ausmaß ist naturgemäß nach der Umgebung der Örtlichkeit, ob es sich nämlich um ein Wohngebiet, ein Industriegebiet oder ein Landwirtschaftsgebiet handelt, verschieden. Ist daher durch einen Flächenwidmungsplan eine bestimmte Widmungskategorie festgelegt, so sind Immissionen, die sich im Rahmen des in einer solchen Widmungskategorie üblichen Ausmaßes halten, als zumutbar anzusehen, und zwar auch dann, wenn sie das Ausmaß der in der unmittelbaren Umgebung eines Wohnhauses feststellbaren Immissionen übersteigen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 86/06/0161) oder wenn sie die bisher vorliegenden Immissionsverhältnisse auf dem Grundstück der Nachbarn verschlechtern (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 91/06/0143 und vom , Zl. 93/06/0096).
Demzufolge ist also bei der Beurteilung, ob Emissionen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarn herbeiführen, von einem sich an der für das zu bebauende Grundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungskategorie orientierten Durchschnittsmaßstab auszugehen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 87/06/0003, 0004 und vom , Zl. 91/06/0143).
Im vorliegenden Beschwerdefall ist die konsensgemäße Verwendung einer Wohnanlage im Wohngebiet keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung, auch wenn die unmittelbare Umgebung sonst nur mit Einfamilienhäusern bebaut sein sollte, weil der Verwendungszweck von Wohnbauten kein anderer ist, als der in Einfamilienhäusern und auch typenmäßig keine ortsunübliche Art der Immissionen erwarten läßt (vgl. das Erkenntis vom , Zl. 94/06/0058).
Im vorliegenden Beschwerdefall ist auch die Argumentation des Beschwerdeführers, daß die Gefährdung der Nachbarn nach § 6 Abs. 10 BauG unabhängig davon zu beurteilen ist, ob sie das ortsübliche Maß übersteigt oder nicht und die Ortsüblichkeit nach § 6 Abs. 10 BauG ausschießlich im Falle von Belästigungen zu prüfen sei, nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen, da sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten kein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß von einem Mehrfamilienwohnhaus für 12 Wohneinheiten und einer Tiefgarage für 12 PKW bei Einhaltung der in § 6 Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstände eine Gefährdung der Nachbarn ausgehen könnte. Bei dieser Sachlage hatte die belangte Behörde keine Veranlassung, an der gesundheitlichen Verträglichkeit des Projektes zu zweifeln. Auch der Verwaltungsgerichtshof hegt insoweit keine Bedenken. Es wäre vielmehr Sache des Beschwerdeführers gewesen, konkret jene Gründe anzugeben, aus welchen er die von ihm behauptete Gesundheitsgefährdung ableiten will und dies auf entsprechender fachlicher Höhe (z.B. durch Vorlage eines Gutachtens) glaubhaft zu machen.
Im übrigen sei auch noch bemerkt, daß es sich bei der Frage der Belästigung im Sinne des § 6 Abs. 10 BauG um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt; die Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt eine "Belästigung" bedeutet, ist daher als Rechtsfrage von der Behörde und nicht vom Sachverständigen zu lösen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 93/06/0096).
Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war
sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des Kostenbegehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Mit Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos.
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Schutz vor Immissionen BauRallg5/1/6 Planung Widmung BauRallg3 Sachverständiger Aufgaben |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1994:1994060146.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAE-56548