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VwGH vom 14.04.1994, 94/06/0047

VwGH vom 14.04.1994, 94/06/0047

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde

1. des Thomas F und 2. des Ferdinand K in M, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 1/02-34.111/1-1994, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Vorstellungsfrist, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und dem ihr beigelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender - unstrittige - Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer beantragten bei der belangten Behörde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Vorstellungsfrist gegen den Bescheid der Gemeindevertretung M vom , Zl. 1793/1992, mit der Begründung, die Gemeindevertretung habe mit diesem Datum zwei Bescheide, jedoch mit unterschiedlichen Geschäftszahlen (1792/1992 und 1793/1993) an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführer zugestellt. Kopien dieser beiden Bescheide seien in einem Kuvert vom Zustellbevollmächtigten an den Erstbeschwerdeführer zur Kenntnisnahme übermittelt worden. Die beiden genannten Bescheide seien "bis auf geringfügige Einzelheiten sowohl im Text als auch in der äußeren Form derart gleich" gewesen, daß die Büroangestellte der Beschwerdeführer, die das Kuvert geöffnet habe, sicher gewesen sei, zwei Ausfertigungen des gleichen Bescheides in der Hand zu halten, worauf sie eine Ausfertigung abgelegt und die zweite Ausfertigung dem Erstbeschwerdeführer vorgelegt habe. Die genannte Büroangestellte sei eine absolut verläßliche Kanzleikraft, die seit Jahren sämtliche Büroarbeiten inklusive Schriftverkehr mit Behörden und den Geschäftspartnern der Beschwerdeführer "bis zur Unterschriftenvorlage an den (Erstbeschwerdeführer) alleinverantwortlich" regle. Die beiden Beschwerdeführer seien im konkreten Fall der ihnen zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht dadurch nachgekommen, daß sie sich wöchentlich die Aktenordner mit dem abgelegten Schriftverkehr vorlegen ließen und die abgelegten Schriftstücke studiert hätten. Durch den Umstand, "daß nicht der Bescheid 1792/1992 neben dem irrtümlich abgelegten Bescheid 1793/1992 aufgelegt wurde" sei der Fehler wiederum nicht zutage getreten. Das Nichterkennen des Umstandes, daß es sich bei den beiden Bescheiden vom nicht um ein und denselben Bescheid gehandelt habe, stelle ein Versehen minderen Grades im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dar. Im übrigen enthält der Wiedereinsetzungsantrag Ausführungen zur Rechtzeitigkeit und ist mit der - gleichzeitig erhobenen - Vorstellung verbunden.

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid die Anträge der Beschwerdeführer auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet abgewiesen und die Vorstellung als verspätet zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, das Öffnen der für die Beschwerdeführer bestimmten Post und die eigenmächtige Ablage einer scheinbar der anderen Bescheidausfertigung gleichenden Ausfertigung in den Aktenordner durch eine Büroangestellte, ohne sich selbst vom Unterschied der nach Geschäftszahl, Aufbau und Inhalt unterschiedlichen Berufungsbescheide zu überzeugen, könne für die Beschwerdeführer nicht die in § 71 Abs. 1 AVG genannte Voraussetzung für das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses erfüllen. Auch einem nicht rechtskundigen, zur Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes verpflichteten Geschäftsmann in der Autobranche hätte spätestens nach einer Woche bei der nachträglichen Durchsicht der im Aktenordner abgelegten Schriftstücke die in der ersten Zeile eines Bescheides der Gemeindevertretung vom angeführte andere Geschäftszahl beim Vergleich mit der nicht abgelegten Bescheidausfertigung auffallen müssen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

In Erwiderung der - oben wiedergegebenen - Begründung des angefochtenen Bescheides führen die Beschwerdeführer aus, die beiden mit datierten Bescheide seien bis auf geringfügige Einzelheiten sowohl im Text als auch in der äußeren Form derart gleich gewesen, daß die genannte Büroangestellte des Erstbeschwerdeführers "gewissermaßen seine rechte Hand", sicher gewesen sei, zwei Ausfertigungen des gleichen Bescheides in der Hand zu halten und nach Überprüfung des Kopfes der Schriftstücke und des Adressaten davon ausgegangen sei, daß "die eine offensichtlich eine vollkommen inhaltsgleiche Fotokopie der anderen ist" und daher eine Ausfertigung nach Anbringung des Vermerkes "Duplikat" abgelegt und die "zweite Ausfertigung" dem Erstbeschwerdeführer vorgelegt habe. Wesentliche Gründe für die Verwechslung der beiden Bescheide sei die Verwendung von zwei verschiedenen Aktenzahlen für ein und denselben Bescheid (1793/1992 für die Seiten 1 und 2 sowie 1793/1993 für die Seiten 3 und 4) gewesen, sowie das vollkommen gleiche Schriftbild der beiden Bescheide und der vollkommen gleiche Text der Seiten 3 und 4 des Bescheides "1973/1992, 1973/1993" (richtig wohl: 1793/1992 und 1793/1993) und des Bescheides 1972/1992 (richtig wohl: 1792/1992). Der eine Bescheid habe also offensichtlich aus Kopien einzelner Seiten des anderen Bescheides bestanden. Ein weiterer Grund für die Verwechslung sei die Erschwerung der Identifizierung und Auffindung einzelner Aktenstücke, die dadurch herbeigeführt werde, daß die Gemeinde für ein konkretes Bauansuchen keine eigene Aktenzahl vergebe, die vom Anfang bis zum Abschluß des Verfahrens gleich bleibe. Es werde vielmehr für jedes einzelne Schriftstück desselben Ansuchens von der Gemeindekanzlei eine völlig neue Aktenzahl vergeben. Der Erstbeschwerdeführer sei der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht dadurch nachgekommen, daß er sich wie gewöhnlich die Aktenordner, in denen sich der abgelegte Schriftverkehr befunden habe, vorlegen habe lassen und die abgelegten Schrifstücke studiert habe. Er habe dabei den Kopf des Bescheides, die Bescheidzahl, den Bescheidspruch, die Begründung und den Bescheidadressaten am Ende des mit dem Vermerk "Duplikat" versehenen Bescheides geprüft und sei überzeugt gewesen, denselben Bescheid wie eine Woche zuvor - eben ein Duplikat davon - in der Hand zu halten. Durch den Umstand, daß nicht beide Bescheide nebeneinander "aufgelegt" worden seien, sei der Fehler wiederum nicht zutage getreten. Die genannte Büroangestellte sei vor dem gegenständlichen Vorfall genau in die Systematik der Aktenevidenzsysteme von Behörden eingewiesen worden, wovon allerdings das Evidenzsystem der Gemeinde M abweiche.

Soweit in diesen Ausführungen Umstände geltend gemacht werden, die im Wiedereinsetzungsantrag noch nicht vorgebracht wurden, handelt es sich um im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerungen (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Die Beschwerdeführer haben in ihrem Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen zwei, innerhalb offener Vorstellungsfrist eingetretene Umstände im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG geltend gemacht, durch welche sie an der rechtzeitigen Erhebung eines Rechtsmittels gehindert gewesen seien, nämlich einerseits die (unerwartete) Ablage des Bescheides durch eine - insoweit seit Jahren selbständig arbeitende - Büroangestellte (anstelle einer Vorlage dieses Bescheides an den Erstbeschwerdeführer), sowie der Umstand, daß der Erstbeschwerdeführer bei Kontrolle der abgelegten Schriftstücke nicht bemerkt hat, daß es sich um einen anderen Bescheid handelt als jenen, der er eine Woche vorher erhalten hat (und daher um kein Duplikat).

Ungeachtet dessen, ob der erstgenannte Grund einen Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG darstellen kann, ist dem Erstbeschwerdeführer nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen. Anders als bei ausgehender Post kann bei Einlangen der Post nicht von vornherein beurteilt werden, um welche Poststücke mit welchem äußeren Erscheinungsbild es sich handeln wird. Wer einer Büroangestellten ohne entsprechende Ausbildung die eigenständige Beurteilung der Frage überläßt, ob eingehende behördliche Poststücke vorzulegen oder direkt einer Ablage zuzuführen sind, läßt daher jenes Maß an Kontrolle vermissen, welches auch im Geschäftsleben als selbstverständlich vorausgesetzt werden muß. Der vom Beschwerdeführer dargelegte Ausbildungsstand der genannten Mitarbeiterin ist für diese Aufgabe nämlich völlig unzureichend: für die selbständige Beurteilung von Behördenpost ist erforderlich, daß deren Inhalt regelmäßig verstanden wird. Dafür reicht es nicht aus, die Büroangestellte in die Methode behördlicher "Aktenevidenzsysteme" einzuführen, da - wie gerade der Beschwerdefall zeigt - vor allem Schriftstücke mit verwechselbar ähnlicher Geschäftszahl eine verständige Lektüre ihres Inhaltes erfordern, um eine - nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht indizierte - Verschiedenheit verläßlich feststellen zu können. Daß die von den Beschwerdeführern behauptete nachträgliche Kontrolle der Ablageordner kein Ausgleich für die - zumindest teilweise - unterbliebene Kontrolle der Eingangspost darzustellen vermag, ergibt sich aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen selbst: Für den Fall, daß die beiden Bescheide einander tatsächlich so sehr geähnelt haben mögen, wie dies die Beschwerdeführer behaupten, leuchtet durchaus ein, daß bei einer solchen Kontrolle (bei der der Erstbeschwerdeführer im vorhinein nicht wissen konnte, daß ihm ein fälschlich als Duplikat bezeichnetes Originalschriftstück begegnen würde) die Verschiedenheit zum vermeintlichen "Original" nicht auffallen mußte. Die vom Beschwerdeführer vorgenommene Art der Durchsicht abgelegter Schriftstücke erweist sich daher im Verhältnis zur fehlenden

- unmittelbaren - Kontrolle der eingehenden Post als ungeeignet.

Da die belangte Behörde daher schon deshalb zu Recht die Anträge der Beschwerdeführer auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und die Vorstellung als verspätet zurückgewiesen hat, somit bereits aus dem Beschwerdevorbringen erkennbar ist, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG abzuweisen.