VwGH 25.01.2000, 99/05/0204
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | BauG Bgld 1997 §3 Abs5; BauRallg; |
RS 1 | Bei Beurteilung der Frage, ob durch das Bauvorhaben das im § 3 Abs 5 Bgld BauG 1997 genannte ortsübliche Ausmaß an Beeinträchtigungen der Anrainer überstiegen wird oder nicht, ist insbesondere auch die bestehende Flächenwidmung maßgebend, daher ist bedeutsam, ob es sich also um ein Wohngebiet usw handelt (Hinweis E , 97/06/0276). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Paula Wurz in Purbach am Neusiedlersee, vertreten durch Dr. Sepp Holzmüller, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, Herzog-Leopold-Straße 2, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom , Zl. 02/02/164, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadtgemeinde Purbach am Neusiedlersee, vertreten durch den Bürgermeister, 2. Oskar Schmidt in Purbach am Neusiedlersee, Landsatzgasse 11), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom beantragte der zweitmitbeteiligte Bauwerber "die Erteilung der Baubewilligung gemäß § 18 Bgld. Baugesetz 1997 für die Errichtung einer Raumabteilung für Pferdestall" auf dem Grundstück Nr. 2537/4, KG Purbach. Auf diesem Grundstück ist ca. 45 m von der öffentlichen Verkehrsfläche Sandergasse entfernt bis zu den jeweiligen Grundstücksgrenzen der im Norden und Süden liegenden Nachbargrundstücke eine 14,25 m breite und rund 27 m lange Halle mit einer rund 4 m breiten und 3 m hohen Einfahrt, welche rund 1 m vom südlich gelegenen Grundstück Nr. 2537/2 der Beschwerdeführerin entfernt ist, errichtet.
Das der Beschwerdeführerin gehörige Grundstück Nr. 2537/2 grenzt, vom öffentlichen Gut Sandergasse aus gesehen, rechts (südlich) an das vorerwähnte, vom Bauvorhaben betroffene Grundstück, auf welchem an der gemeinsamen Grundstücksgrenze nach einem Vorgarten das Einfamilienwohnhaus der Beschwerdeführerin errichtet ist. An dieses Haus schließt östlich eine vom zu bebauenden Grundstück aus gesehen rund 2,50 m hohe, bis zur vorerwähnten Halle reichende ca. 10 m lange Mauer.
An der linken (nördlichen) Seite grenzt an das zu bebauende Grundstück das Grundstück Nr. 2538/2.
Im nordwestlichen Teil der oberwähnten Halle soll nun ein 16 m2 großer, 4 m langer und 4 m breiter "Einstellraum" errichtet werden, welcher von der Halle durch eine 1 m breite und 2 m hohe Tür und von der Westseite durch eine 1,40 m breite und 2,20 m hohe, ca. 1/2 m von der Grenze zum Grundstück Nr. 2538/2 entfernt gelegene Türöffnung erreicht werden kann. Weiters ist an der Westseite ein Fenster in der Größe von 1 m Breite und 1,40 m Höhe vorgesehen. Dieser Raum soll auf einer Lattung mit Staffelholz von 10/10 mit einer Heraklithbrandschutzplatte abgedeckt werden.
Die Fensteröffnung dieses als "Pferdeeinstellplatz" vorgesehenen Einstellraums ist von der Grundstücksgrenze des Grundstückes der Beschwerdeführerin ca. 10,50 m, die Eingangstüre ca. 13,50 m entfernt.
Die Beschwerdeführerin wendete gegen das Bauvorhaben ein:
"1.) Dieser Pferdestall wurde bereits Anfang 1998 ohne Baubewilligung und ohne mich als Anrainer in Kenntnis zu setzen errichtet bzw. in Betrieb genommen. Meine Stellungnahme zu dieser Angelegenheit habe ich bereits am schriftlich der Stadtgemeinde Purbach am Neusiedlersee zur Kenntnis gebracht.
2.) Der unvermeidliche Gestank und Ungeziefer, das sich hier ansammelt ist unerträglich geworden. Ich habe durch diese Vorgangsweise schon viel Unangenehmes schlucken müssen, daher ist für mich dieser Pferdestall vor meinem Wohnungsfenster mit Mistablagerung abzulehnen.
3.) Ich frage mich, ob dieses Bild, das hier entstanden ist, auch zum Stadtbild der Gemeinde gehört einschließlich des Gestankes.
..."
In ihrem Schreiben vom hat die Beschwerdeführerin der erstmitbeteiligten Stadtgemeinde mitgeteilt, dass in der im Jahre 1993 errichteten Lagerhalle vor kurzer Zeit ein Viehstall errichtet worden sei, wo derzeit ein Pferd und eine Ziege untergebracht seien. Für diese Tiere sei auch anschließend an den Stall ein Auslauf geschaffen worden. Die Tür dieses Stalles befinde sich unmittelbar neben ihrem Wohnhaus; die Fenster des Wohnhauses lägen auf der Gartenseite. Der Stallmist werde gleichzeitig neben der Stalltür gelagert.
In der Niederschrift zur Verhandlung vom wurde festgehalten, dass weder Gestank noch Ungeziefer festgestellt werden könnten; im Stall sei ein Pferd abgestellt; der Mist werde in einem bereit gestellten Container gelagert und täglich ausgebracht.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde die beantragte baubehördliche Bewilligung unter Nebenbestimmungen erteilt. Eine der Auflagen hat folgenden Wortlaut:
"Der anfallende Pferdemist ist auf einem bereitzustellenden Anhänger zwischenzulagern und zu verführen."
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom wurde der Vorstellung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben. Der Abstand des Stalles zum Wohnhaus müsse gemäß § 15 Abs. 2 der Bgld. Bauverordnung mindestens 3 m betragen. Stallfenster, die weniger als 3 m von öffentlichen Verkehrsflächen und Nachbargrundstücken entfernt seien, müssten luftdicht abgeschlossen und dürften nicht öffenbar sein. Die Entfernung zwischen Stall und Wohnungsfenster betrage weit mehr als 3 m und entspreche demnach den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz vor Beeinträchtigungen durch Emissionen; der Einwand bezüglich einer möglichen Geruchsbelästigung sei daher nicht relevant.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Nichtbewilligung des gegenständlichen Vorhabens verletzt. Die Beschwerdeführerin habe eingewendet, dass sie durch das Bauvorhaben mit Geruchsbelästigungen zu rechnen habe, und zwar vor allem dadurch, dass der Stallmist bzw. Pferdemist vor dem Stall in einem bereit gestellten Karren gelagert werde und durch diese Lagerung entsprechende Geruchsbelästigungen und Ungeziefer (Fliegen etc.) auftreten. Die belangte Behörde habe nicht erkannt, dass sich der von ihr zitierte § 15 Abs. 2 Bgld. Bauverordnung nur auf Fenster- und Lüftungsauslässe von Stallungen beziehe und daher auf die gerügten Mistablagerungen keine Anwendung finde. Infolge ihrer falschen Rechtsansicht habe die belangte Behörde nicht erkannt, dass die Baubehörde unter Verletzung ihrer Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung von entsprechenden Gutachten (Hygienegutachten und olfaktorisches Gutachten) Abstand genommen habe.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Auf den Beschwerdefall ist das am in Kraft getretene Bgld. Baugesetz 1997 (Bgld. BauG; siehe § 35 Abs. 1 leg. cit.) anzuwenden.
Gemäß § 21 Abs. 1 Z. 2 Bgld. BauG sind Parteien im Bauverfahren u.a. die Eigentümer der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke (Anrainer). Ein Anrainer kann gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, dass er durch das Bauvorhaben in seinen Rechten verletzt wird.
Wird die Verletzung von Vorschriften dieses Gesetzes oder von sonstigen bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften (z.B. Bauverordnung, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Bebauungsrichtlinien) behauptet, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Anrainers dienen (öffentlich-rechtliche Einwendung), hat gemäß Abs. 4 dieses Paragraphen die Baubehörde hierüber im Bescheid zu erkennen und gegebenenfalls die Baubewilligung zu versagen oder die Einwendung als unbegründet abzuweisen und die Baubewilligung zu erteilen.
Die von den Baubehörden im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens zu beachtenden baupolizeilichen Interessen sind im § 3 des Bgld. BauG enthalten.
Gemäß § 3 Z. 5 Bgld. BauG sind Bauvorhaben nur dann zulässig, wenn sie durch ihre bestimmungsgemäße Benützung eine Gefährdung oder das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigungen der Nachbarn nicht erwarten lassen. Diese in der Z. 5 des § 3 Bgld. BauG genannten baupolizeilichen Interessen hat die Behörde zum Schutz der Nachbarn, sohin aller, die durch das zu bewilligende Vorhaben in ihren Rechten beeinflusst (beeinträchtigt) werden können (vgl. hiezu die bei Hauer, Burgenländisches Baurecht, Seite 78 ff, abgedruckten Erläuternden Bemerkungen und den Durchführungserlass zu § 3 Z. 5 Bgld. BauG), zu prüfen; hiebei handelt es sich also um eine Vorschrift, die nicht nur dem öffentlichen Interesse sondern auch dem Interesse der Nachbarn dient und daher von einem im Baubewilligungsverfahren Parteistellung genießenden Anrainer (§ 21 Abs. 1 Z. 2 Bgld. BauG) im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Einwendung geltend gemacht werden kann (§ 21 Abs. 4 Bgld. BauG).
Die Beschwerdeführerin hat in ihren schriftlichen Einwendungen vom mit der Behauptung, durch das zu bewilligende Bauvorhaben entstehe unvermeidlicher "unerträglicher ... Gestank und Ungeziefer", wobei auch ausdrücklich auf die Mistablagerung hingewiesen worden ist, eine Einwendung dahingehend erhoben, dass durch das Bauvorhaben das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigungen für sie zu erwarten seien.
Ein Pferdestall der hier zu beurteilenden Art erfordert im Hinblick auf die damit verbundene (auch im Freien vorgesehene) Tierhaltung die Entsorgung des anfallenden Mistes. Insoweit stellt sich das Vorhaben (Pferdestall mit Pferdehaltung) als untrennbares Ganzes dar (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/05/0169). Dem haben die Baubehörden auch dadurch Rechnung getragen, dass in der Baubewilligung in einer Auflage die Entsorgung des anfallenden Pferdemistes geregelt worden ist.
Das Wesen von Auflagen besteht aber darin, dass die Verwaltungsbehörden in einem dem Hauptinhalt nach begünstigenden Bescheid belastende Gebote oder Verbote als Nebenbestimmungen aufnehmen, mit denen der Inhaber des Rechtes für den Fall der Gebrauchnahme zu einem bestimmten, im Weg der Vollstreckung erzwingbaren Tun oder Unterlassen verpflichtet wird. Das durch den Hauptinhalt des Spruches gestaltete Rechtsverhältnis bleibt auch bei Nichtbeachtung der Auflage bestehen. Nur für den Fall der Gebrauchnahme vom erteilten Recht wird ein bestimmtes Verhalten (Tun, Unterlassen, Dulden) vorgeschrieben (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/05/0146). Eine Auflage muss also so konkret sein, dass sie Gegenstand eines baupolizeilichen Auftrages sein kann (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 14.017/A).
Die im Baubewilligungsbescheid der Baubehörde erster Instanz vom enthaltene, eingangs wiedergegebene Auflage entspricht jedoch nicht dem Bestimmtheitsgebot, weil sie weder festlegt, wie groß der Anhänger, auf welchem der anfallende Pferdemist zunächst zwischenzulagern ist, sein darf, wo dieser Anhänger bis zum Abtransport des Pferdemistes abzustellen ist, und wie oft der auf diesem Anhänger zwischengelagerte Pferdemist zu verführen ist. Damit lässt sich weder für die Beschwerdeführerin noch für den Verwaltungsgerichtshof beurteilen, ob durch die mit der Bewilligung des Pferdestalles verbundene Pferdehaltung eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigung der Anrainer zu erwarten ist.
Da die belangte Behörde dies nicht erkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Mit der Berufung auf § 15 Abs. 2 der Verordnung der Bgld. Landesregierung vom , mit der Vorschriften über die Zulässigkeit von Bauvorhaben erlassen werden (Bauverordnung-BauVO), LGBl.11, ist für die Klärung der Frage der das ortsübliche Ausmaß übersteigenden Beeinträchtigungen nichts gewonnen, weil diese Norm nur Mindestabstände festlegt. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass bei Einhaltung dieser Mindestabstände jedenfalls eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigung der Nachbarn auszuschließen ist. Bei Beurteilung der Frage, ob durch das Bauvorhaben das im § 3 Abs. 5 Bgld. BauG genannte ortsübliche Ausmaß an Beeinträchtigungen der Nachbarn überstiegen wird oder nicht, ist insbesondere auch die bestehende Flächenwidmung maßgebend, daher ist bedeutsam, ob es sich also um ein Wohngebiet usw. handelt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/06/0276, mit weitern Nachweisen).
Abschließend weist der Verwaltungsgerichtshof noch darauf hin, dass die Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung der Nachbarn (Gefährdung oder Belästigung) vorliegt, zwar eine von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende Rechtsfrage darstellt. Die als Ursache der Beeinträchtigung in Betracht kommenden Immissionen (hier Geruchsbelästigung und Belästigung durch Ungeziefer) sind jedoch hinsichtlich Art und Ausmaß grundsätzlich durch Sachverständige zu beschreiben und - soweit dazu nicht das allgemeine Erfahrungswissen ausreicht - auch darzulegen, ob, in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen sie als unangenehm empfunden werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 14.017/A). Erweist sich auf Grund eines "immissionstechnischen" Sachverständigengutachtens die behauptete Beeinträchtigung der Anrainerin als gegeben, obliegt es einem medizinischen Sachverständigen, in seinem Gutachten auf die Wirkungen der festgestellten oder zu erwartenden Immissionen auf den menschlichen Organismus einzugehen (vgl. hiezu Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 5. Auflage, Seite 298 f, und die dort wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauG Bgld 1997 §3 Abs5; BauRallg; |
Schlagworte | Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Schutz vor Immissionen BauRallg5/1/6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2000:1999050204.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAE-55897