VwGH vom 19.11.2003, 2003/04/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der H Baugesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Josef Schartmüller, Rechtsanwalt in 4230 Pregarten, Tragweiner Straße 64, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen- 550088/6/Kl/Pe, betreffend Vergabenachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1.) S AG in L, 2.) Gemeinde F, vertreten durch Mag. Dr. Heinz Häupl, Rechtsanwalt in 4865 Nußdorf, Stockwinkel 18), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Einleitung des Nachprüfungsverfahrens ("Abwasserbeseitigungsanlage F, Bauabschnitt 02, Baulos 01" der zweitmitbeteiligten Partei) als unzulässig zurückgewiesen.
Die belangte Behörde stützt sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen darauf, dass nach § 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz, LGBl. Nr. 153/2002, der Unternehmer bzw. die Unternehmerin den Auftraggeber spätestens gleichzeitig elektronisch oder mittels Telefax nachweislich von der beabsichtigten Einleitung des Nachprüfungsverfahrens zu verständigen habe. Der Nachprüfungsantrag sei beim "Oö. Verwaltungssenat" eingebracht worden und dort am zwischen 08.18 und 08.20 Uhr eingelangt. Dem Antrag sei ein Schreiben sowohl an die zweitmitbeteiligte Partei als auch an näher bezeichnete Ziviltechniker angeschlossen gewesen, wonach "(die beschwerdeführende Partei) ... mittels im Anhang übermittelten Schriftsatzes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat beantragt habe". Die zweitmitbeteiligte Partei habe dieses Verständigungsschreiben vorgelegt und es sei daraus ersichtlich, dass dieses Schreiben per Telefax am um 08.23 Uhr übermittelt worden sei. Das Verständigungsschreiben sei daher nicht "spätestens gleichzeitig" mit der Einbringung des Nachprüfungsantrages übermittelt worden, sondern nach Einbringung des Nachprüfungsantrages. Es liege daher zum Zeitpunkt der Einbringung des Nachprüfungsantrages keine Verständigung gemäß § 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz vor und somit kein zulässiger Antrag.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die zweitmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz, LGBl. Nr. 153/2002, hat folgenden Wortlaut:
"(2) Spätestens gleichzeitig mit der Einbringung des Nachprüfungsantrages hat der Unternehmer bzw. die Unternehmerin den Auftraggeber elektronisch oder mittels Telefax nachweislich von der beabsichtigten Einleitung des Nachprüfungsverfahrens zu verständigen. In dieser Verständigung ist die geltend gemachte Rechtswidrigkeit zu bezeichnen."
Die beschwerdeführende Partei macht im Wesentlichen geltend, es könne nicht angehen, dass ein Antrag zurückgewiesen werde, weil ein notwendiges Schreiben nicht als erstes in ein Faxgerät gesteckt werde, sondern eben - wie in diesem Fall - zuerst der Antrag und dann die notwendige Verständigung. In einer Anwaltskanzlei sei es auch als üblich zu betrachten, dass Telefaxsendungen von Sekretärinnen vorgenommen würden, die nicht darüber entscheiden würden, ob eine Sendung rechtmäßiger Weise zuerst - wie die belangte Behörde erwogen habe - an die eine Behörde oder an die andere Behörde per Telefax zu übermitteln sei. Jeder vernünftige mit den gesetzlichen Werten vertraute Mensch würde die getätigte Vorgangsweise als gleichzeitig betrachten. Zum einen sei eine "gleichzeitige" Übermittlung per Telefax gar nicht möglich, sondern könnten auf diesem Weg Sendungen nur hintereinander übermittelt werden. Würde man das Ganze nunmehr auf den heutzutage sehr modernen elektronischen Postverkehr umlegen, müsste bei derart strenger Interpretation dieser gesetzlichen Bestimmung eine gleichzeitige Absendung von elektronischen Nachrichten als unzureichend angesehen werden, weil eine solche Nachricht ja bei einem Empfänger um Sekundenbruchteile früher übermittelt werden könnte als bei einem anderen und müsste dann konsequenter Weise die Entscheidung der belangten Behörde gleich lautend sein.
Die beschwerdeführende Partei ist damit im Ergebnis im Recht.
Der Gesetzgeber hat keine Formulierung in der Art getroffen, dass "jedenfalls vor" der Einbringung des Nachprüfungsantrages der Auftraggeber von der beabsichtigten Einleitung des Nachprüfungsverfahrens zu verständigen sei.
Auch ist der Sinn des § 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz vorzugsweise darin zu sehen, dass der Auftraggeber von der Stellung eines Nachprüfungsantrages Kenntnis erlangen soll, nicht aber etwa, dass dem Auftraggeber die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, vor Stellung des Nachprüfungsantrages - in welcher Form immer - tätig zu werden; Derartiges könnte auch bei einer Verständigung unmittelbar vor der Stellung des Nachprüfungsantrages nicht erreicht werden und deckt sich der Sinn der Regelung nicht mit jener des Art. 1 Abs. 3 letzter Satz der Rechtsmittelrichtlinie (s. unten). Der Zweck der Regelung ist aber auch erreicht, wenn die Verständigung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Einbringung des Nachprüfungsantrages, aber erst kurz nach diesem abgesendet wird (vgl. Thienel, Ausgewählte Probleme der Antragstellung im Nachprüfungsverfahren nach dem BVergG 2002, RPA 2003, 7).
Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher die in der Lehre vertretene Auffassung (vgl. Thienel, a.a.O.), dass dem Gebot des "spätestens gleichzeitig" i.S.d. § 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz auch dann - wie im Beschwerdefall - entsprochen ist, wenn die Verständigung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Einbringung des Nachprüfungsantrages (wenn auch kurz nach diesem) steht.
An diesem Ergebnis vermag auch nichts zu ändern, wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, § 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz stelle eine Umsetzung der Regelung nach Art. 1 Abs. 3 letzter Satz der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Rechtsmittelrichtlinie) für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge dar, welche eine Unterrichtung des öffentlichen Auftraggebers vor dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung "zuvor" vorsehe. Insofern sei die Richtlinie sogar strenger als das O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz, weil nach der Rechtsmittelrichtlinie eine gleichzeitige Verständigung nicht vorgesehen sei. Sinn dieser Vorschrift könne nur sein, noch vor einem kontradiktorischen Nachprüfungsverfahren die Beilegung eines Interessenskonfliktes zu ermöglichen.
Die belangte Behörde übergeht dabei, dass nach Art. 1 Abs. 3 zweiter Satz der genannten Richtlinie die Mitgliedsstaaten insbesondere verlangen können, dass derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muss. Es handelt sich also um eine den Mitgliedsstaaten eingeräumte Möglichkeit (vgl. Schlussanträge des Generalanwaltes Alber vom , Rechtssache C-327/00, Santex, Rz 110), von der der Gesetzgeber (in dieser Form) eben keinen Gebrauch gemacht hat ("spätestens gleichzeitig"); mag die zitierte Richtlinienbestimmung auch dazu dienen, den Weg für eine gütliche Einigung vor Klagserhebung frei zu machen (Alber, a.a.O.), so trifft dies, wie oben bereits gesagt, bei der in Frage stehenden nationalen Regelung (§ 3 Abs. 2 O.ö. Vergabenachprüfungsgesetz) nicht zu.
Aus den dargelegten Gründen hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung zu führen hat.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am