VwGH vom 18.02.1991, 90/19/0533
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 63-K 77/89/Str., betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung - AAV, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 4. und 5. Bezirk, vom war der nunmehrige Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, er habe es als verantwortlicher Beauftragter der N. Warenhandel Aktiengesellschaft zu verantworten, daß am in der Filiale in Wien, W.-Gasse im Lagerraum/Frischdienst der Verkehrsweg zum Personal-Notausgang durch Getränkekisten und Kartonagen auf 0,77 m eingeengt gewesen sei und nicht die Mindestbreite von 1,20 m aufgewiesen habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung gemäß § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, (ASchG) iVm § 24 Abs. 6 iVm § 25 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung - AAV, BGBl. Nr. 218/1983, begangen. Gemäß § 31 Abs. 2 ASchG war deshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von drei Tagen) verhängt worden.
2. Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers bestätigte der LH von Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 das Straferkenntnis in der Schuldfrage und im Ausspruch über die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten für den Strafvollzug mit der Maßgabe, daß der im ersten Satz des Spruches genannte Verkehrsweg ein Hauptverkehrsweg i.S. des § 25 Abs. 1 AAV sei und der Beschwerdeführer durch das angelastete Verhalten § 31 Abs. 2 lit. p ASchG iVm § 25 Abs. 1 erster Satz und § 24 Abs. 6 zweiter Satz AAV verletzt habe; gleichzeitig werde die Strafe in Anwendung des § 51 Abs. 4 VStG 1950 auf S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage) herabgesetzt.
3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht verletzt, aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nicht wegen der genannten Übertretung der AAV bestraft zu werden. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 24 Abs. 6 AAV dürfen auf Stiegen und Gängen auch vorübergehend keine Lagerungen vorgenommen werden. Auf sonstigen Verkehrswegen dürfen die durch die Arbeitsvorgänge oder Arbeitsverfahren vorübergehend notwendigen Lagerungen nur dann vorgenommen werden, wenn die geforderte Mindestbreite der Verkehrswege nicht verringert ist.
Nach § 25 Abs. 1 AAV müssen Hauptverkehrswege in Betriebsräumen eine ausreichende Breite, mindestens jedoch eine solche von 1,20 m besitzen. Nebenverkehrswege in Betriebsräumen, wie Durchgänge zwischen Lagerungen, Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen, müssen ausreichend, mindestens jedoch 0,60 m breit sein.
§ 100 AAV normiert, daß Übertretungen dieser Verordnung nach Maßgabe des § 31 ASchG zu ahnden sind.
Gemäß § 31 Abs. 2 lit. p ASchG begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die u.a. den Vorschriften der aufgrund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen - dazu zählt die AAV - zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen.
2.1. Im Hinblick darauf, daß es gemäß § 44a lit. a VStG 1950 im Spruch der Anführung aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale bedürfe, wäre es - so die Beschwerde - notwendig gewesen, innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist von sechs Monaten gemäß § 31 Abs. 2 leg. cit. die Tatanlastung dahingehend zu konkretisieren, ob im vorliegenden Fall eine Verengung eines Haupt- oder eines Nebenverkehrsweges gegeben sei. Demgegenüber habe die belangte Behörde erst nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist unzulässigerweise eine Änderung der Tatanlastung von "Verkehrsweg" auf "Hauptverkehrsweg" vorgenommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber sei die Sanierung einer fehlerhaften bzw. unvollständigen Tatumschreibung außerhalb der Verjährungsfrist unzulässig, weshalb schon aus diesem Grund das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen wäre.
2.2. Diese Rüge ist nicht zielführend. Dem Beschwerdeführer wurde mit der "Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter" vom , also innerhalb der Sechs-Monate-Frist des § 31 Abs. 2 VStG 1950, jenes Verhalten zur Last gelegt, das in der Folge den Gegenstand des Straferkenntnisses vom bildete. Mit dem Vorwurf, nicht dafür gesorgt zu haben, "daß im Lagerraum/Frischdienst der Verkehrsweg zum Personal-Notausgang auf einer Mindestbreite von 1,20 m frei von Verstellungen ist (durch Getränkekisten und Kartonagen war dieser Verkehrsweg auf 0,77 m eingeengt)", wurde dem Beschwerdeführer ein bestimmter strafbarer Sachverhalt vorgeworfen, der alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente umfaßt hat. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers war es unter dem Gesichtspunkt einer tauglichen, die Verfolgungsverjährung ausschließenden Verfolgungshandlung i.S. des § 32 Abs. 2 VStG 1950 keineswegs geboten, bereits in diesem Verfahrensstadium eine Festlegung dahin zu treffen, daß der in Rede stehende "Verkehrsweg" ein "Hauptverkehrsweg" (oder ein "Nebenverkehrsweg") sei, handelt es sich doch hiebei nicht um die Anführung eines die vorgeworfene Tat betreffenden Sachverhaltselementes, sondern um eine rechtliche Qualifikation, die von der Behörde erst in dem das Verfahren abschließenden Straferkenntnis vorzunehmen ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 9816/A - Rechtssatz).
3.1. Die Beschwerde bringt des weiteren vor, die belangte Behörde habe, da im Spruch des Straferkenntnisses (bloß) von "Verkehrsweg" die Rede sei, dadurch, daß sie im Spruch des angefochtenen Bescheides ausgeführt habe, es sei dieser Verkehrsweg ein "Hauptverkehrsweg", eine unzulässige Änderung der Tatanlastung vorgenommen. Abgesehen davon wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, jene Tatumstände, aufgrund deren der gegenständliche Verkehrsweg ihrer Ansicht nach als "Hauptverkehrsweg" zu qualifizieren sei, in den Bescheidspruch aufzunehmen. Beide Einwände sind verfehlt.
3.2. Bei der zunächst gerügten Vorgangsweise der belangten Behörde handelt es sich nicht - wie der Beschwerdeführer offenbar meint - um eine unzulässige Auswechslung der Tat, sondern um eine für die Berufungsbehörde im Rahmen des § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) zulässige Präzisierung des Spruches des Straferkenntnisses. Ungeachtet dessen, daß im Spruch des Straferkenntnisses die ausdrückliche rechtliche Qualifikation des besagten Verkehrsweges als "Hauptverkehrsweg" fehlt, läßt die Tatumschreibung in ihrer Gesamtheit keinen Zweifel daran, daß die Erstinstanz die vom Beschwerdeführer zu verantwortende gebotswidrige Einengung des Verkehrsweges in bezug auf einen "Hauptverkehrsweg" als erwiesen angenommen hat. Diese Beurteilung wird dadurch untermauert, daß in der Begründung des Straferkenntnisses ausdrücklich von "Hauptverkehrsweg" die Rede ist. Von da her gesehen ist die von der Beschwerde kritisierte Spruchergänzung durch die belangte Behörde in der Tat nicht mehr als eine durch § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) gedeckte Klarstellung.
Was den zweiten Einwand anlangt, so verkennt der Beschwerdeführer die insoweit durch § 44a lit. a VStG 1950 konstituierte Rechtslage. Danach sind in den Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat, keineswegs jedoch die für die rechtliche Subsumtion maßgebenden Erwägungen aufzunehmen. Für letztere ist allein in der Begründung des Bescheides Platz.
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich schließlich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene rechtliche Einstufung des in Rede stehenden Verkehrsweges als Hauptverkehrsweg. Es handle sich um einen Verkehrsweg im Lagerraum/Frischdienst. Es sei im gegebenen Zusammenhang belanglos, wohin dieser Verkehrsweg (Durchgang zwischen Lagerungen) führe. Auch wenn - wie dies hier der Fall sei - ein derartiger Durchgang zwischen Lagerungen zu einem Notausgang führe, sei damit noch nichts über die Qualifikation dieser Verkehrsfläche als Haupt- oder Nebenverkehrsweg ausgesagt. Den einschlägigen Bestimmungen sei nicht zu entnehmen, daß Zugänge zu Notausgängen als Hauptverkehrswege zu qualifizieren seien bzw. eine bestimmte Breite aufzuweisen hätten.
4.2. Die im § 25 Abs. 1 AAV verwendeten Begriffe "Hauptverkehrswege" und "Nebenverkehrswege" sind weder dort noch an anderer Stelle dieser Verordnung noch im Arbeitnehmerschutzgesetz definiert. Die beispielsweise Anführung von Fällen eines Nebenverkehrsweges im zweiten Satz des § 25 Abs. 1 AAV führt indes - wie in der Begründung des bekämpften Bescheides dargetan - zu dem Schluß, daß unter "Nebenverkehrswegen" nur solche Verkehrswege zu verstehen sind, die "Durchgängen zwischen Lagerungen, Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen" gleichzuhalten sind. Unter Bedachtnahme auf den Zweck der Vorschriften des ASchG und der AAV, der auch in § 25 Abs. 1 iVm § 24 Abs. 6 AAV klar zutage tritt - Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit -, pflichtet der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung der belangten Behörde bei, daß der im Beschwerdefall zur Debatte stehende Verkehrsweg im Lagerraum/Frischdienst im Hinblick auf seine Eigenschaft als "Fluchtweg" nicht einem der genannten Beispiele gleichgehalten und damit nicht als "Nebenverkehrsweg" eingestuft werden könne. Ein Verkehrsweg, der wie jener im Beschwerdefall - die diesbezügliche Feststellung der belangten Behörde im bekämpften Bescheid blieb vom Beschwerdeführer unbestritten - den einzigen Weg darstellt, auf dem die Arbeitnehmer den Personal-Notausgang erreichen können (vgl. auch die im Akt erliegende Planskizze), somit die einzige Möglichkeit, die den Arbeitnehmern für das Verlassen der Betriebsräume im Gefahrenfall offensteht, kann - dies entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - nicht als Nebenverkehrsweg gewertet werden, auch wenn er zwischen Lagerungen hindurchführt. Folgte man der Argumentation der Beschwerde, wonach Verkehrswege in einem Lagerraum (kraft dessen Bestimmung) immer nur "Durchgänge zwischen Lagerungen" darstellten, so gäbe es in Lagerräumen konsequenterweise ausschließlich Nebenverkehrswege; dies ohne Rücksicht darauf, welche Bedeutung auch immer einem Verkehrsweg für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer im Einzelfall zukommen mag. Daß ein solches Auslegungsergebnis mit dem dem gesamten Arbeitnehmerschutzrecht und somit auch den hier heranzuziehenden Vorschriften der AAV innewohnenden Zweck schlechthin unvereinbar ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Es entsprach demnach der Rechtslage, wenn die belangte Behörde den spruchgegenständlichen Verkehrsweg im Lagerraum/Frischdienst rechtlich dem Begriff "Hauptverkehrsweg" subsumierte und als Folge dessen die durch diverse Lagerungen bewirkte - vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellte - Unterschreitung der für einen solchen Verkehrsweg vorgesehenen Mindestbreite von 1,20 m auf 0,77 m als einen Verstoß gegen § 25 Abs. 1 erster Satz iVm § 24 Abs. 6 AAV wertete.
5. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als zur Gänze unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
6. Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.