VwGH vom 02.02.2000, 99/04/0188
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des E S in R, vertreten durch Dr. J u. a., Rechtsanwälte in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Zl. 320.366/1-III/A/9/99, betreffend Verfahren gemäß § 81 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: E S in R, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in I), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid vom hob der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom , mit welchem in Abänderung des erstbehördlichen Bescheides vom der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Genehmigung der Änderung ihrer gastgewerblichen Betriebsanlage durch Errichtung und Betrieb eines Gastgartens abgewiesen wurde, auf und bestätigte gleichzeitig den diesem zu Grunde liegenden erstbehördlichen Bescheid gemäß § 81 GewO 1994 unter Aufhebung der Auflagen 1. bis 3. dieses Bescheides mit der Maßgabe, dass die beantragte Betriebszeit von täglich 10.00 bis 22.00 Uhr genehmigt werde. Zur Begründung führte der Bundesminister aus, mit erstbehördlichem Bescheid sei das Ansuchen der mitbeteiligten Partei genehmigt worden. Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung habe der Landeshauptmann von Tirol unter Anwendung des § 148 Abs. 1 GewO 1994 die gewerbebehördliche Genehmigung versagt, wogegen die mitbeteiligte Partei Berufung erhoben habe. Da im Ansuchen um gewerbebehördliche Genehmigung und der dazugehörigen Betriebsbeschreibung nicht sämtliche Merkmale des § 148 Abs. 1 GewO 1994 enthalten gewesen seien und diese Betriebsbeschreibung auch während des Verfahrens nicht dementsprechend ergänzt worden sei und daher die Regelung des § 148 Abs. 1 leg. cit. bezüglich der Betriebszeitengarantie nicht anwendbar gewesen sei, habe der Bundesminister einen Lokalaugenschein vorgenommen, in dessen Zug eine Schallpegelmessung im Beisein eines medizinischen Sachverständigen durchgeführt worden sei. Die dabei eingeholten Gutachten hätten ergeben, dass aus medizinischer Sicht weder eine Gesundheitsgefährdung noch eine unzumutbare Belästigung zu erwarten seien. Nach Darstellung der maßgebenden Rechtslage führte der Bundesminister weiter aus, zur Wahl des Standortes für die Schallpegelmessung in der Verhandlung werde bemerkt, dass der Messpunkt im Garten des Beschwerdeführers einerseits deshalb gewählt worden sei, weil er der lärmexponierteste Punkt auf dessen Liegenschaft gewesen sei und andererseits der Beschwerdeführer im gesamten vorinstanzlichen Verfahren immer wieder betont habe, dass er gerade an diesem Punkt sich regelmäßig zur Erholung aufhalte. Eine Messung in den Wohnräumen des Beschwerdeführers sei weder von ihm angeregt worden noch wäre sie sinnvoll gewesen, da der Gastgarten durch zwei dazwischenliegende Gebäude schallmäßig abgeschirmt sei. Da nun die im erstinstanzlichen Verfahren und auch die im letztinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten sowohl eine Gesundheitsgefährdung als auch eine unzumutbare Belästigung eines gesunden, normal empfindenden Erwachsenen und eben solchen Kindes ausschlössen, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte Teile der Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligte Partei stellte in ihrer Gegenschrift einen gleichen Antrag.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht verletzt, dass entgegen der Bestimmung des § 81 GewO 1994 eine Genehmigung der Änderung einer genehmigten Betriebsanlage nicht erteilt werde. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt er vor, die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zum Inhalt der eingeholten Gutachten seien keineswegs eine ausreichende Begründung. Sie seien insbesondere nicht geeignet, die ausführliche und rechtlich ausgewogene Begründung im Bescheid des Landeshauptmannes vom zu widerlegen. Der angefochtene Bescheid lasse in keiner Weise erkennen, inwieweit das medizinische Sachverständigengutachten, welches im Verfahren der belangten Behörde eingeholt worden sei, verwertet worden sei, ebenso nicht, inwieweit dieses dem im Verfahren vor dem Landeshauptmann eingeholten Gutachten gegenübergestellt worden sei. Eine Subsumtion eines festgestellten Sachverhaltes finde in keiner Weise statt. Die Schallpegelmessungen am hätten zwischen 18.00 und 18.30 Uhr einen energieäquivalenten Dauerschallpegel von 45,5 dB, zwischen 19.58 und 20.08 Uhr von 48,2 dB und von 20.51 bis 21.01 Uhr von 41,7 dB ergeben. Ein Grundgeräuschpegel - vergleichbar dem im Verfahren vor den Vorinstanzen festgestellten - sei nicht ermittelt worden. Auch seien die Messpunkte zwischen den einzelnen Messungen nicht vergleichbar. Die vorgenommenen Lärmmessungen entsprächen in keiner Weise der normalen Situation des Gastgartens. Dieser sei ab etwa 21.15 Uhr für Besucher geöffnet worden. Während dieser Zeit hätten sich im Gastgarten 7 bis 12 Gäste befunden, die eine gedämpfte bis mäßige Unterhaltung geführt hätten. Es bedürfe keines besonderen Hinweises, dass sich die Gäste in Anwesenheit von Amtspersonen, die Lärmmessungen durchführten, nicht typisch, sondern dem Gastwirt förderlich benommen hätten. Bemerkenswerter Weise habe sich dennoch ergeben, dass ein "etwas lauteres Lachen" einen Schalldruck von 59 dB ergeben habe, gegenüber dem niedrigsten Wert von 35 bis 39 dB also eine Schalldruckpegelerhöhung von über 20 dB. Sogar nach den Ergebnissen dieses - dürftigen und mangelhaften - ergänzten Verfahrens gelte das, was im Bescheid des Landeshauptmannes ausgeführt worden sei, nämlich dass die Grenze für die Zumutbarkeit des Störgeräusches bei weitem überschritten werde. Die zutreffende Rechtsansicht des Landeshauptmannes werde im angefochtenen Bescheid mit keinem Wort erwähnt. Es treffe nämlich zu, dass auch ein dem § 148 GewO 1994 zu unterstellender Gastbetrieb genehmigungspflichtig und daher gemäß § 77 Abs. 1 leg. cit., wenn auch nicht hinsichtlich der durch § 148 Abs. 1 leg. cit. festgelegten Betriebszeiten, unter Auflagen zu genehmigen sei. Der Betrieb eines solchen Gastgartens könne nur genehmigt werden, wenn durch die gleichzeitige Vorschreibung allenfalls erforderlicher Auflagen sichergestellt sei, dass ausgehend von den im Gesetz festgelegten Betriebszeiten die im § 74 Abs. 2 Z. 1 bis 5 genannten Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder sonstigen nachteiligen Einwirkungen vermieden werden könnten. Es mute schon bei entfernter Beobachtung seltsam an, dass diese Belästigungen und Beeinträchtigungen nach dem zweitinstanzlichen Bescheid nicht einmal durch eine 2,8 m hohe Mauer ausgeschlossen werden könnten, nach den Messungen und Beurteilungen des angefochtenen Bescheides sei hingegen eine solche überhaupt nicht notwendig, um diese Schutzgüter nicht zu verletzen.
Die belangte Behörde hat nur die Akten des Verfahrens erster und zweiter Instanz, nicht aber jene über das vor ihr geführte Verfahren vorgelegt. Zwar ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung des § 38 Abs. 2 VwGG, wonach bei Unterlassung der Aktenvorlage der Verwaltungsgerichtshof, wenn die Behörde auf die Säumnisfolge hingewiesen wurde, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennt, nicht anwendbar, weil der Beschwerdeführer derartige Behauptungen nicht aufgestellt hat. Mangels Kenntnis des Inhaltes insbesondere der von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten, ist es dem Verwaltungsgerichtshof aber verwehrt, deren Schlüssigkeit einer Überprüfung zu unterziehen, zumal deren Inhalt auch im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegeben ist.
Davon abgesehen ist dem Bundesminister aber im Rahmen seiner Beweiswürdigung eine Aktenwidrigkeit insofern unterlaufen, als er nämlich zur Begründung seiner (wohl als Tatsachenfeststellung gemeinten) Aussage, es sei sowohl eine Gesundheitsgefährdung als auch eine unzumutbare Belästigung eines gesunden, normal empfindenden Erwachsenen und eben solchen Kindes auszuschließen, sowohl auf die im erstinstanzlichen als auch die im letztinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten verweist und dabei, wie sich aus der spruchgemäßen Erledigung, nämlich der Genehmigung des Ansuchens ohne Vorschreibung jeglicher Auflagen, ergibt, davon ausging, auch nach dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten medizinischen Gutachten beziehe sich die diesbezügliche Aussage auf das eingereichte Projekt ohne weitere Lärmschutzmaßnahmen. Tatsächlich gelangte der im erstbehördlichen Verfahren beigezogene medizinische Amtssachverständige zu seiner Aussage, während der Tagesstunden sei eine unzumutbare Lärmbelästigung für den ungünstigst gelegenen Nachbarn nicht anzunehmen, nur unter der Voraussetzung der Errichtung einer 2 m hohen Sichtschutzwand zum Nachbarn und dass keine Hintergrundmusik dargeboten werde sowie kein Musiklärm aus dem Gastlokal in den Gastgarten dringen könne. Überdies bezieht sich diese Aussage (entsprechend dem damaligen Inhalt des Ansuchens der mitbeteiligten Partei) nur auf eine Betriebszeit bis täglich 21.30 Uhr und nicht, wie nunmehr mit dem angefochtenen Bescheid genehmigt, bis 22.00 Uhr.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am