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VwGH vom 11.05.2004, 2003/02/0248

VwGH vom 11.05.2004, 2003/02/0248

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom , Zl. KUVS-K1-912-914/7/2003, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Mitbeteiligter: AL in V), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Strafanzeige des Arbeitsinspektorates Kärnten vom wurde beantragt, gegen die verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen der L GmbH & Co KG wegen Übertretung des § 87 Abs. 5 der Bauarbeiterschutzverordnung - BauV, BGBl. Nr. 340/1994, (Strafbestimmung § 130 Abs. 5 Z. 1 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes - ASchG, BGBl. Nr. 450/1994) ein Strafverfahren durchzuführen und Geldstrafen zu verhängen. Drei Arbeitnehmer seien am Dach eines neu errichteten Wirtschaftsgebäudes, mit einer Neigung von 21 Grad und einer Traufenhöhe von ca. 4,5 m bei Neueindeckungsarbeiten mit Welleternitplatten angetroffen worden, ohne dass sich diese Arbeitnehmer mittels Seil- und Falldämpfer angeseilt gehabt hätten. Nach Angabe des P sei für die Neueindeckungsarbeiten nicht länger als ein Tag geplant gewesen. Es hätte daher das Anseilen im Sinne des § 87 Abs. 5 BauV genügt.

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom wurde dem Mitbeteiligten folgende Übertretung zur Last gelegt:

"Sie haben als das gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ (handelsrechtlicher Geschäftsführer) der L GmbH & Co KG in V zu verantworten, dass im genannten Unternehmen nicht für die Einhaltung der Arbeitnehmervorschriften der dort beschäftigten Dienstnehmer gesorgt wurde.

Anlässlich einer Überprüfung der Baustelle 'P' - Wirtschaftsgebäude in J am durch ein Organ des Arbeitsinspektorates wurden folgende Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften festgestellt:

Die Arbeitnehmer


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.)
P,
2.)
M und
3.)
H
wurden am Dach des neu errichteten Wirtschaftsgebäudes mit einer Neigung von 21 Grad und einer Traufenhöhe von ca. 4,5 Meter bei Neueindeckungsarbeiten mit Welleternitplatten angetroffen, ohne sich mittels Seil- und Falldämpfer angeseilt zu haben.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1.) bis 3.) § 130 Abs. 5 Ziffer 1 ASchG in Verbindung mit § 87 Abs. 5 BauV, ..."
Es wurden drei Geldstrafen in der Höhe von je EUR 2.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je zwei Tagen) verhängt.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Mitbeteiligte u. a. vor, die Dachneigung habe "kaum 19 Grad " betragen. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung Folge und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG mit folgender Begründung ein:
"Im vorliegenden Fall konnte nicht mit der strafrechtlich gebotenen Sicherheit festgestellt werden, ob die Dachneigung mehr als 20 Grad betragen habe.
Aus der Bestimmung der §§ 87 Abs. 3 und Abs. 5 Z. 2 der BauV ist jedoch eindeutig abzuleiten, dass die in diesen Bestimmungen geforderten Sicherheitsvorkehrungen nur dann Platz greifen, wenn sowohl eine Absturzhöhe von mehr als 3 m als auch eine Dachneigung von mehr als 20 Grad gegeben ist. Da im vorliegenden Fall jedoch die Dachneigung nicht mit der strafrechtlich gebotenen Sicherheit festgestellt werden konnte, kann dem Beschuldigten schon aus diesem Grund eine Verwaltungsübertretung nach § 87 Abs. 5 Z. 2 BauV iVm § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG nicht zur Last gelegt werden. ...
Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Beschuldigte eine Verwaltungsübertretung nach § 87 Abs. 2 BauV begangen hat, so ist es der Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG verwehrt, den Spruch der angefochtenen Entscheidung dahingehend abzuändern, da dies eine unzulässige Auswechslung der Tat darstellen würde."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 (ArbIG), BGBl. Nr. 27, gestützte Amtsbeschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im gegenständlichen Fall stellte die belangte Behörde unbestritten fest, dass die drei Arbeitnehmer Eindeckungsarbeiten mit Welleternitplatten auf einem Dach mit einer Traufenhöhe von 4,5 m durchgeführt hätten. Dabei hätten sie zwar ein Sicherheitsgeschirr getragen, seien aber nicht mittels Seil und Falldämpfer angeseilt gewesen.

Der beschwerdeführende Minister rügt, es sei von Amts wegen keine objektive Beweiserhebung zur Feststellung der tatsächlichen Dachneigung - wie etwa eine Nachmessung der Dachneigung - durchgeführt worden. Auf diese Weise hätte mit der strafrechtlich gebotenen Sicherheit festgestellt werden können, ob die Dachneigung mehr oder weniger als 20 Grad betragen habe. Er ist damit im Recht:

§ 87 BauV lautet (auszugsweise):

"§ 87. ...

(2) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad

und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m müssen Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 vorhanden sein.

(3) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Geeignete Schutzeinrichtungen sind Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88).

(4) ...

(5) Das Anbringen von Schutzeinrichtungen nach Abs. 3 darf nur entfallen bei

1. geringfügigen Arbeiten, wie Reparatur- oder Anstricharbeiten, die nicht länger als einen Tag dauern,

2. Arbeiten am Dachsaum oder im Giebelbereich.

In diesen Fällen müssen die Arbeitnehmer mittels Sicherheitsgeschirr angeseilt sein.

(6) ..."

Daraus ist ersichtlich, dass der Frage, ob ein Dach, auf welchem (bei einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m) Arbeiten verrichtet werden, eine Neigung bis zu oder von mehr als 20 Grad aufweist, Rechtserheblichkeit zukommt.

Die belangte Behörde hat sich zur Feststellung der Dachneigung mit der Aussage des Mitbeteiligten in der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung, "die Dachneigung wurde nachgemessen und ergibt sie 19 Grad " zufrieden gegeben, ohne dass der Mitbeteiligte Beweis hiefür angeboten hätte. Die belangte Behörde wäre sohin zu amtswegigen Ermittlungen verpflichtet gewesen, zumal sie nicht näher dargelegt hat (und dies auch nicht ohne weiteres einsichtig ist), weshalb die Dachneigung objektiv nicht mehr festgestellt werden könnte.

Entgegen der - verfehlten - Rechtsansicht der belangten Behörde würde, wenn sich eine Dachneigung von weniger als 20 Grad herausgestellt hätte, eine allfällige Spruchänderung auf eine Dachneigung "bis zu 20 Grad " keine unzulässige Auswechslung der Tat sein, weil dies gegenüber dem erstinstanzlichen Straferkenntnis ein "minus" darstellen würde, das auch durch eine rechtzeitige Verfolgungshandlung bezüglich einer Dachneigung von "mehr als 20 Grad " mitumfasst wäre. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "konkreten Sicherheitsmaßnahmen" weder Spruchbestandteil noch Gegenstand einer (rechtzeitigen) Verfolgungshandlung sein müssen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 93/18/0239, und vom , Zl. 94/02/0407).

In Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG wäre die Berufungsbehörde im gegenständlichen Fall sohin nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen, nach Erhebung der Dachneigung die daraus resultierende rechtliche Beurteilung der (rechtzeitig verfolgten) Tat bei (wie im vorliegenden Fall) identer "Sache" in ihrem Abspruch richtig zu stellen (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Seite 1288. E 247 f wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit - prävalierender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am