VwGH vom 21.03.2006, 2003/01/0596
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des GH in M, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in 2344 Maria Enzersdorf, Franz Josef-Straße 42/Hauptstraße 35, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, Zl. UVS- 02/V/11/5326/2002/14, betreffend § 88 Abs. 2 SPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aus dem den Fall des Beschwerdeführers betreffenden Vorerkenntnis vom , Zl. 2002/01/0215, ergibt sich Folgendes:
Im Hinblick auf einen Vorfall vom erhoben der Beschwerdeführer und sein Bruder - in einem einheitlichen Schriftsatz, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. A., den nunmehrigen Beschwerdeführervertreter - "gemäß Art. 129a (1) Z. 2 B-VG, §§ 67a Abs. 1 Z. 2, 67c ff AVG, 87, 88 Abs. 1 u. 2 und 89 SPG" Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde). Nach der in dieser Beschwerde enthaltenen Sachverhaltsdarstellung sei der Beschwerdeführer mit dem Auto seines Bruders unterwegs gewesen und beim Zufahren zu einer Tankstelle ins Schleudern gekommen. Bei dieser Tankstelle anwesende Kriminalbeamte hätten daraufhin das Fahrzeug ohne Anlass - der bloße Fahrfehler habe keinen entsprechenden Verdacht gerechtfertigt - auf Suchtgift untersucht und dabei massive, im Einzelnen aufgezählte Beschädigungen zugefügt; außerdem sei der Beschwerdeführer mit näher wiedergegebenen Worten beschimpft worden. Der Bruder des Beschwerdeführers sei - so die Ausführungen zur "Beschwerdelegitimation" - als Eigentümer des Autos wegen der zugefügten Schäden beschwert, der Beschwerdeführer wegen der sonstigen Amtshandlungen. Es werde beantragt, die angefochtenen Verwaltungsakte für rechtswidrig zu erklären, und zwar "der 1. Bf (Bruder des Beschwerdeführers) wegen der Schäden an seinem Auto und der 2. Bf (der nunmehrige Beschwerdeführer) wegen der sonstigen Amtshandlungen, ausgenommen die Kontrolle der Ausweise".
Über Aufforderung der belangten Behörde vom , binnen eingeräumter Frist bekannt zu geben, ob die Beschwerde auch "als Beschwerde gegen die Richtlinienverordnung zu verstehen" sei, teilte Rechtsanwalt Dr. A. namens des Beschwerdeführers und seines Bruders in einem bei der belangten Behörde am eingelangten Schriftsatz vom mit, dass "Herr H. (Bruder des Beschwerdeführers) den von den Kriminalbeamten angerichteten Schaden ersetzt haben will"; es habe daher "die Maßnahmenbeschwerde" eingebracht werden müssen. Soweit in der Beschwerde an die belangte Behörde Hinweise auf die Richtlinienverordnung enthalten seien, habe damit nur dargestellt werden wollen, dass die bekämpften Amtshandlungen gegen § 87 SPG und damit auch gegen § 88 Abs. 1 und 2 leg. cit. verstoßen hätten; wenn eine Amtshandlung sogar der Richtlinienverordnung widerspreche, sei sie umso weniger in der Art ausgeübt, wie sie das SPG (§ 87 Abs. 1) vorsehe; "der Rechtsanspruch darauf" werde durch § 88 Abs. 2 SPG sanktioniert. "Eine davon gesonderte sog. Richtlinienbeschwerde in einem von der Maßnahmenbeschwerde getrennten und gesondert zu vergebührenden ... Verfahren" - so abschließend in dem erwähnten Schriftsatz vom - "war nicht beabsichtigt. Der Bf. hat auch nicht zu beurteilen, ob der UVS von Amts wegen die Maßnahmenbeschwerde der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde zuständigen Behörde schon deshalb zuzuleiten hat, weil darin (auch) eine Verletzung der RLV behauptet wird."
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gab die belangte Behörde mit dem am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid der Beschwerde des Fahrzeugeigentümers, des Bruders des Beschwerdeführers, gemäß § 67c Abs. 3 AVG statt, erklärte den angefochtenen Verwaltungsakt ("Durchsuchung des Fahrzeuges" bzw. lt. schriftlicher Bescheidausfertigung "Durchsuchung und Beschädigung des Fahrzeuges") für rechtswidrig und sprach dem Bruder des Beschwerdeführers gemäß § 79a AVG Kostenersatz zu. Bezüglich des Beschwerdeführers ging die belangte Behörde im Hinblick auf in der Verhandlung von seinem Rechtsvertreter abgegebene Erklärungen davon aus, dass dieser in Ansehung der "getätigten Beschimpfungen und der behaupteten Rechtswidrigkeit dieses bekämpften sonstigen Verwaltungsaktes" seine Administrativbeschwerde zurückgezogen habe, weshalb sie ihn gemäß § 79a AVG zum Kostenersatz an die Bundespolizeidirektion Wien verpflichtete.
Mit dem schon genannten Erkenntnis vom hob der Verwaltungsgerichtshof den den Beschwerdeführer betreffenden Spruchpunkt des Bescheides vom / wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Des Näheren wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf dieses Erkenntnis verwiesen.
Die belangte Behörde erließ hierauf den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem sie - unter Kostenersatz - die Administrativbeschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 67c Abs. 3 AVG iVm § 88 Abs. 2 SPG zurückwies. Der Beschwerdeführer habe - so die belangte Behörde auf das Wesentliche zusammengefasst in ihrer Begründung - klargestellt, keine Richtlinienbeschwerde erheben zu wollen. Der vorliegende Sachverhalt - der Vorwurf der Beschimpfungen durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien - habe somit nur unter § 88 Abs. 2 SPG "subsumiert" werden können. Diese Bestimmung ermögliche eine Beschwerde jedoch nur im Rahmen der Sicherheitsverwaltung. Die gegenständliche Beschwerde sei allerdings "den Bestimmungen der Strafprozessordnung, § 139 ff StPO, unterzuordnen gewesen, im Verein mit den Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes; allenfalls ... nach den Bestimmungen der StVO, soweit es die ursprüngliche Anhaltung des Beschwerdeführers betraf". Die Beschwerde sei daher zurückzuweisen. Eventualiter sei auszuführen, dass sich im Beweisverfahren keine Anhaltspunkte für Beschimpfungen des Beschwerdeführers ergeben hätten; auf Grund der eindeutigen und widerspruchsfreien Zeugenaussagen hätten keinerlei Beschimpfungen gegen den Beschwerdeführer als Fahrzeuglenker nachgewiesen werden können, weshalb die von ihm erhobene Beschwerde selbst bei "Anerkennung der Zulässigkeit" als unbegründet abzuweisen gewesen wäre.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof, nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde, erwogen:
Die Beschwerde wendet sich nicht gegen den behördlichen Standpunkt, es gehe im gegenständlichen Fall ausschließlich um Beschimpfungen des Beschwerdeführers. Sie vertritt jedoch die Ansicht, es habe "sehr wohl" auch eine Richtlinienbeschwerde nach § 89 SPG vorgelegen, und die belangte Behörde hätte nicht annehmen dürfen, es sei die Erhebung einer solchen gar nicht beabsichtigt gewesen oder sie sei in weiterer Folge zurückgezogen worden.
Diese Ansicht steht allerdings im Widerspruch zu der eingangs wiedergegebenen Äußerung im Schriftsatz vom , wonach die Einbringung einer gesonderten Richtlinienbeschwerde nicht beabsichtigt gewesen sei. Wenn in diesem Zusammenhang nunmehr ausgeführt wird, es habe der belangten Behörde überlassen bleiben sollen, ob sie selbst über die Beschimpfungen zulässigerweise abspreche oder diesen Teil der Beschwerde gemäß § 89 Abs. 1 SPG an die Aufsichtsbehörde weiterleite, so wird offenbar verkannt, dass es sich beim Beschwerdeverfahren nach § 89 SPG um ein völlig eigenständiges Verfahren handelt, in dessen Rahmen zwingend die Einschaltung der Dienstaufsichtsbehörde - ohne dass dabei dem unabhängigen Verwaltungssenat etwas "überlassen bleiben" würde - vorgesehen ist. Das hatte der Beschwerdeführer, wie seine eben erwähnte Beschwerdebehauptung zeigt, erkennbar nicht im Auge, weshalb der belangten Behörde auch von daher in ihrer Beurteilung zum Thema "Richtlinienbeschwerde" nicht entgegengetreten werden kann.
Der belangten Behörde ist ferner darin zu folgen, dass die beschwerdegegenständlichen Beschimpfungen - weil keinesfalls als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt deutbar - nur gemäß § 88 Abs. 2 SPG Berücksichtigung finden können (vgl. in diesem Sinn die Ausführungen unter III. 6. im hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/01/0213). Sie ist weiter darin im Recht, dass eine Beschwerde nach § 88 Abs. 2 SPG nur innerhalb der Sicherheitsverwaltung in Frage kommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/01/0169), weshalb es im vorliegenden Fall letztlich darum geht, ob die inkriminierten Beschimpfungen im Zusammenhang mit einer der Sicherheitsverwaltung zuzuzählenden Amtshandlung stattfanden. Die belangte Behörde hat diese Frage verneint, wobei sie erkennbar davon ausging, dass die einschreitenden Beamten im Dienste der Strafjustiz "im Verein mit den Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes", allenfalls auch in Vollziehung der StVO, tätig geworden seien.
Gemäß § 2 Abs. 2 SPG besteht die Sicherheitsverwaltung aus der Sicherheitspolizei, dem Pass- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten. Die von den genannten Angelegenheiten allein als Grundlage des gegenständlichen Organhandelns in Betracht kommende Sicherheitspolizei wird im § 3 SPG definiert. Demnach besteht sie aus der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, ausgenommen die örtliche Sicherheitspolizei (Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG), und aus der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht.
Es trifft zu, dass Behördenhandeln im Rahmen der Straßenpolizei und im Dienste der Strafjustiz nicht zur Sicherheitspolizei und damit nicht zur "Sicherheitsverwaltung" nach dem SPG gehört (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/01/0427, einerseits und den hg. Beschluss vom , Zl. 2002/01/0252, andererseits). Dass die Beamten gegen den Beschwerdeführer nach der StVO bzw. primär nach den § 139 ff. StPO einschritten, weil sie bei ihm Suchtgift vermuteten, schließt es freilich nicht aus, dass ihrer Amtshandlung eine sicherheitspolizeiliche Komponente innewohnte und dass sie solcherart zumindest auch Aufgaben der Sicherheitsverwaltung besorgten. Das wäre jedenfalls dann anzunehmen, wenn sie Maßnahmen gesetzt hätten, die in einzelnen Bestimmungen des dritten Teils des SPG ihre Grundlage finden sollten (vgl. zu derartigen Konstellationen, jeweils in Bezug auf § 40 SPG, das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0018, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 15.372). Unabhängig davon wäre ein sicherheitspolizeilicher Aspekt aber auch dann anzunehmen, wenn das fragliche Organhandeln insgesamt die Wahrnehmung einer sicherheitspolizeilichen Aufgabe im Sinn des zweiten Teils des SPG (vgl. insbesondere die Aufgaben nach § 20 leg. cit.) erkennen ließe (vgl. in diesem Sinn abermals den schon zuvor erwähnten hg. Beschluss vom , Zl. 2002/01/0252). Als derartige Aufgabe ist im gegebenen Zusammenhang an die Gefahrenabwehr im Verständnis des § 21 SPG zu denken. Nach dem zweiten Absatz der genannten Bestimmung haben die Sicherheitsbehörden gefährlichen Angriffen unverzüglich ein Ende zu setzen. Hiefür ist das SPG auch dann maßgeblich, wenn bereits ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist.
Was unter einem "gefährlichen Angriff" zu verstehen ist, dessen unverzügliche Beendigung § 21 Abs. 2 SPG vorschreibt, ergibt sich aus § 16 Abs. 2 leg. cit. Darunter fallen insbesondere (schon nach der im Zeitpunkt des hier gegenständlichen Amtshandelns anzuwendenden Fassung der genannten Bestimmung nach der Novelle BGBl. I Nr. 112/1997) gerichtlich strafbare Handlungen nach den §§ 27 und 28 SMG, ausgenommen der Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch.
Nach den Behauptungen des Beschwerdeführers ist ihm im Zuge der gegenständlichen Amtshandlung ua. - unter Verwendung diverser Schimpfwörter - vorgeworfen worden, er müsse ein "Drogenhändler" sein. Die damit im Zusammenhang stehende Untersuchung des von ihm gelenkten Fahrzeugs könnte sich davon ausgehend objektiv betrachtet nicht auf das Auffinden und Sicherstellen von Suchtgift beschränkt haben, das (bloß) dem eigenen Gebrauch des Beschwerdeführers diene. Von daher wäre das Tätigwerden der Beamten nach den Behauptungen des Beschwerdeführers jedenfalls auch darauf gerichtet gewesen, einen - von ihnen vermuteten - gefährlichen Angriff des Beschwerdeführers (insbesondere in Richtung § 28 SMG) zu beenden, was wie oben erwähnt als Maßnahme der Gefahrenabwehr der Sicherheitspolizei zuzuordnen wäre (zu einem vergleichbaren Fall siehe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/01/0096). Ausgehend davon könnte die von der belangten Behörde vertretene These, es fehle im vorliegenden Zusammenhang an einer der Sicherheitsverwaltung zuzurechnenden Amtshandlung, nicht aufrechterhalten werden, weshalb der das verkennende bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist und demzufolge gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Daran vermögen auch die eventualiter angestellten Überlegungen, es hätten sich auf Grund des Beweisverfahrens keine Anhaltspunkte für die vom Beschwerdeführer behaupteten Beschimpfungen ergeben, nichts zu ändern, zumal die belangte Behörde ihre Einschätzung, die Zeugenaussagen seien "eindeutig und widerspruchsfrei" gewesen, nicht näher begründete und überdies - trotz wiederholter Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof -
ihre diese Zeugenaussagen beinhaltenden Verfahrensakten aus dem ersten Rechtsgang nicht vorlegte.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am