VwGH vom 28.01.2005, 2003/01/0128
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der P in Wien, vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 22-24/4/9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 20.3-16,17,18/2002-26, betreffend § 67a Abs. 1 Z 2 AVG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Vom Landesgericht für Strafsachen Wien wurden gegen R. P. (einen Sohn der Beschwerdeführerin) Vorerhebungen nach § 207a StGB geführt. Im Zuge dieser Vorerhebungen erging am folgender Hausdurchsuchungsbefehl:
"In der Strafsache ... ergeht an das Bundesministerium für
Inneres ... der Befehl, in der Wohnung und den sonstigen zum
Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten sowie der Fahrzeuge des R. P.
... in 1010 Wien, ... whft.
Weitere Wohnsitze:
1010 Wien, ...
(Postleitzahl) W., G. HNr. 20
... eine Hausdurchsuchung zum Zwecke der Auffindung und Beschlagnahme von Gegenständen, deren Besitz oder Besichtigung für das gegenständliche Strafverfahren von Bedeutung sein könnten, vorzunehmen. Hiebei handelt es sich insbesondere um Computer, Datenträger, kinderpornographisches Material etc. und weitere den Sachverhalt betreffende Unterlagen.
Bei der Amtshandlung ist entsprechend den Bestimmungen der §§ 139 ff StPO vorzugehen. Von der vorausgehenden Vernehmung des Verdächtigen ist gem. § 140 Abs. 2 StPO abzusehen. Der Hausdurchsuchungsbefehl ist dem Beteiligten sogleich oder längstens binnen 24 Stunden nach der Durchsuchung zuzustellen (§ 140 Abs. 3 StPO)."
Die angeordnete Hausdurchsuchung in (offenbar richtig:) G., W. Nr. 20, wurde am von Beamten der Gendarmerieposten G. und M., im Beisein von zwei Zeugen, durchgeführt. Dabei wurden Computer, diverses Zubehör, Disketten und Videokassetten beschlagnahmt. Außerdem fertigten die Beamten eine Skizze von sämtlichen Etagen des Hauses an und fotografierten alle Räume des dreistöckigen Objektes, in denen Datenträger und/oder Computer vorläufig sichergestellt wurden.
Mit der Behauptung, die einschreitenden Gendarmeriebeamten hätten nicht nur die Wohnung ihres Sohnes R. P., sondern in Überschreitung des gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehls auch ihre im Erdgeschoß des Hauses W. Nr. 20 befindlichen Geschäfts- und Praxisräumlichkeiten sowie ihre im ersten Stock etablierte Wohnung durchsucht und zahlreiche in diesen Räumlichkeiten aufgefundene Gegenstände beschlagnahmt, erhob die Beschwerdeführerin, eine Psychotherapeutin, Beschwerde an die belangte Behörde. Sie beantragte, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten sowie der Beschlagnahme zahlreicher in ihrem Eigentum stehender Gegenstände festzustellen.
Die belangte Behörde entschied mit Bescheid vom über diese Beschwerde wie folgt:
"Die Beschwerde über die Hausdurchsuchung am durch Gendarmeriebeamte des GPK G. und M. in (Postleitzahl) G., W. 20, und die dort beschlagnahmten Gegenstände sowie, dass der Hausdurchsuchungsbefehl der Beschwerdeführerin nicht innerhalb von 24 Stunden nach der Amtshandlung zugestellt worden sei, wird zurückgewiesen."
Die belangte Behörde traf Feststellungen zur Vornahme der Hausdurchsuchung, insbesondere dass beginnend mit dem Erdgeschoß "nacheinander die Zimmer durchsucht" und in den verschiedenen Räumen ein Laptop, CD-ROMs, Computer, Videokassetten und Disketten sichergestellt worden seien. Sie stellte weiter fest, es sei bereits am Vortag der Hausdurchsuchung erhoben worden, dass im Haus niemand anwesend sei, und es habe das Kraftfahrzeug des R. P. vor dem Hause wahrgenommen werden können. Beim Haus G., W. Nr. 20, handle es sich um eine zu einem Einfamilienhaus umgebaute Schule. Beim Eingang befinde sich ein Briefkasten, wobei jedoch kein Indiz darauf hinweise, dass die Beschwerdeführerin dort eine psychotherapeutische Praxis betreibe. Im Haus sei kein Zimmer mit einem spezifischen Hinweis für die Nutzung der Räumlichkeiten (z.B. Türschild) vorhanden. Im Telefonbuch - dort sei von einem Beamten vor der Hausdurchsuchung zwecks Erreichbarkeit eines Familienmitgliedes Nachschau gehalten worden - scheine unter der Adresse folgender Eintrag auf: "P. R. (Beschwerdeführerin), Mag, Dr. iur, Psych Beratung".
Vor der Hausdurchsuchung seien - so die belangte Behörde weiter - keine Erhebungen über die Zuordnung der Räume im Einfamilienhaus an die einzelnen Familienmitglieder durchgeführt worden. Die Räumlichkeiten seien den Beamten nicht bekannt gewesen, es sei ihnen nicht möglich gewesen, die Räumlichkeiten bestimmten Familienmitgliedern zuzuordnen bzw. Räume als Praxisräumlichkeiten wieder zu erkennen.
In rechtlicher Hinsicht gelangte die belangte Behörde zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass Hausdurchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen des richterlichen Hausdurchsuchungsbefehles gelegen hätten. Die erhobene Beschwerde sei daher zurückzuweisen. Auch die behauptete Unterlassung der Zustellung des Hausdurchsuchungsbefehls an die Beschwerdeführerin sei "zurückzuweisen", da Modalitäten, unter denen eine gerichtliche Hausdurchsuchung erfolge, bereits "a limine" von der Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates ausgenommen seien.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1899/02-3, ab und trat sie in der Folge gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:
Die Beschwerdeführerin hatte in ihrer Beschwerde an die belangte Behörde beantragt, die Rechtswidrigkeit 1. der Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten in G., W. Nr. 20, und 2. der Beschlagnahme zahlreicher in ihrem Eigentum stehender Gegenstände (je am ) festzustellen. Die Rechtswidrigkeit der zu Punkt 1. angefochtenen Maßnahme ergäbe sich, weil hinsichtlich der im Erdgeschoß des erwähnten Hauses befindlichen Geschäfts- und Praxisräumlichkeiten der Beschwerdeführerin und ihrer im ersten Stock des Hauses etablierten Wohnung kein richterlicher Befehl vorgelegen habe und weil ihr nicht innerhalb von 24 Stunden nach der Amtshandlung der - andere Räumlichkeiten betreffende - Hausdurchsuchungsbefehl zugestellt worden sei.
Die belangte Behörde wies die bei ihr erhobene Beschwerde zur Gänze zurück. Der oben wörtlich wiedergegebene Bescheidabspruch erweckt allerdings den Anschein, die belangte Behörde habe über insgesamt drei Maßnahmen erkannt, nämlich die Hausdurchsuchung, die Beschlagnahme und die unterbliebene Zustellung des Hausdurchsuchungsbefehles. Eine solche Vorgangsweise wäre freilich verfehlt, weil die unterbliebene Zustellung des Hausdurchsuchungsbefehles nicht als selbständige Maßnahme bekämpft, sondern nur als Grund für die Rechtswidrigkeit der stattgefundenen Durchsuchung ins Treffen geführt worden ist. Was diesen Grund anlangt, so erweist sich die Argumentation der Beschwerdeführerin im Übrigen schon deshalb als nicht zielführend, als der Vorwurf der unterbliebenen Zustellung des Hausdurchsuchungsbefehles mit dem Standpunkt, die Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin seien von diesem Befehl gar nicht erfasst gewesen, nicht in Einklang zu bringen ist.
Entscheidungswesentlich (sowohl für die Beurteilung der Durchsuchung der Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin als auch für jene der Beschlagnahme darin gefundener Gegenstände) ist damit, ob der eingangs wieder gegebene Hausdurchsuchungsbefehl des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom überschritten worden ist. Er umfasste nach seinem Wortlaut (ua.) die Wohnung und die sonstigen zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten des R. P. (Sohn der Beschwerdeführerin) im - als weiteren Wohnsitz deklarierten - Haus W. Nr. 20 und deckte somit, wie die belangte Behörde grundsätzlich richtig erkannte, die Durchsuchung von Wohnungen anderer Personen in dem genannten Objekt nicht ab. Der belangten Behörde ist auch darin zu folgen, dass bei einer Formulierung wie der vorliegend im Hausdurchsuchungsbefehl gewählten schon dann von einer "Wohnung" auszugehen ist, wenn (bloß) gesonderte, eindeutig der Intimsphäre einer Person/Personengruppe zugehörige Bereiche existieren (vgl. dazu das offensichtlich auch von der belangten Behörde berücksichtigte hg. Erkenntnis vom , Zlen. 97/01/1086 und 1088). Gegebenenfalls durften daher einerseits - neben Gemeinschaftsräumlichkeiten - nur die der im Hausdurchsuchungsbefehl namentlich genannten Person derart zuordenbaren Zimmer gestützt auf den gerichtlichen Befehl durchsucht werden und waren umgekehrt anderen Personen in dieser Weise zuordenbare Bereiche von der gerichtlichen Anordnung nicht erfasst.
Die belangte Behörde ging davon aus, dass sämtliche Räumlichkeiten des Hauses W. Nr. 20 für alle Hausbewohner zugänglich gewesen seien und dass - bei der Hausdurchsuchung - kein Anhaltspunkt feststellbar gewesen sei, "der den Schluss zugelassen hätte, dass augenscheinlich abgetrennte Geschäftsräumlichkeiten bzw. Praxisräumlichkeiten sowie eine Wohnung der Beschwerdeführerin" existierten, weshalb sich die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme im Rahmen des richterlichen Befehls bewegt hätten.
Was zunächst den Gesichtspunkt der "Zugänglichkeit" anlangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit der Betretung eines Raumes durch eine andere Person diesem Raum noch nicht den Charakter eines im obigen Sinn einer Person/Personengruppe zugehörigen Bereiches nimmt. Hinsichtlich der fehlenden Anhaltspunkte auf gesonderte Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin aber fehlt es an einer nachvollziehbaren Beschreibung der Umstände vor Ort, die eine Überprüfung der - wenngleich auf Grund eines Lokalaugenscheines - vorgenommenen behördlichen Beurteilung ermöglichen. Wie im bekämpften Bescheid ausgeführt, bedurfte es im Hinblick auf den behördlichen Lokalaugenschein nicht zwingend der (von der Beschwerdeführerin beantragten) Beischaffung der im Zuge der Hausdurchsuchung von den einschreitenden Beamten hergestellten Fotodokumentation. Um die Nachprüfung der behördlichen Beurteilung zu gewährleisten, hätte es dann aber einer eingehenden Beschreibung der örtlichen Verhältnisse bedurft, zumal einige Gesichtspunkte zu Tage getreten sind, die gegen die Annahme sprechen, es handle sich um die "üblichen" Verhältnisse in einem "typischen" Einfamilienwohnhaus, in dem - im Folgenden die belangte Behörde wörtlich - "üblicherweise keine abgetrennten Wohnbereiche der einzelnen Familienmitglieder für einen Fremden (einschreitenden Beamten) erkennbar sind". In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal - ohne die genauen Maße zu kennen - die Größe des betreffenden Objektes (ehemalige Schule, drei gemäß der in den Verwaltungsakten erliegenden Skizze offenkundig voll ausgebaute Geschoße) zu nennen, die es im Sinn der Beschwerde und entgegen der behördlichen Ansicht nahe legt, es handle sich um ein "Mehrfamilienhaus". Weiters ist auf die im Erdgeschoß vorgefundene Schultafel hinzuweisen, muss doch die Existenz einer solchen Tafel in einem "normalen Einfamilienwohnhaus" als ungewöhnlich angesehen werden und Fragen nach der Widmung aufwerfen. Dass in dem gegenständlichen Gebäude bekanntermaßen ursprünglich eine Schule untergebracht war, konnte keine solche Fragen erübrigende Erklärung darstellen, zumal die Beschwerdeführerin ihren unbestrittenen Angaben in der Verhandlung vor der belangten Behörde zufolge bereits 1988 "hier" war und es sich auch nach den Überlegungen der belangten Behörde um eine umgebaute Schule handelt. Schließlich ist der Umstand zu erwähnen, dass sich im Erdgeschoß (wiederum nach den unstrittigen Angaben der Beschwerdeführerin in der Verhandlung vor der belangten Behörde) nach Geschlechtern getrennte Toiletten befinden, was ebenfalls - ohne Kenntnis der genauen Umstände vor Ort und ungeachtet dessen, dass die einzelnen Räumlichkeiten im Haus W. Nr. 20 nicht beschildert waren - abstrakt betrachtet das Vorliegen "typischer" Verhältnisse nach Art eines Einfamilienhauses zweifelhaft erscheinen lässt.
Ergänzend ist anzumerken, dass Erhebungen im Vorfeld der Hausdurchsuchung über die Zweckwidmung der Räumlichkeiten im Haus W. Nr. 20, wie die belangte Behörde richtig ausführt, nicht geboten waren. Insbesondere musste es angesichts der im gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehl enthaltenen Anordnung, von der vorausgehenden Vernehmung des Verdächtigen gemäß § 140 Abs. 2 StPO abzusehen, untunlich erscheinen, diesbezüglich schon im Vorhinein mit der Beschwerdeführerin, der Mutter des Verdächtigen, Kontakt aufzunehmen. Sollten sich allerdings im Zuge der Hausdurchsuchung selbst Zweifel an der Zuordnung einzelner Räumlichkeiten zur "Wohnung" des R. P. in W. Nr. 20 ergeben haben - was infolge der unterbliebenen bildlichen oder verbalen Darstellung der Verhältnisse vor Ort nicht abschließend beurteilt werden kann -, so wären entsprechende Erhebungen zur Abklärung geboten gewesen. Nur in dem Maß, in dem solche Erhebungen keine sichere Aufklärung erlaubten, wäre eine Ausdehnung der Hausdurchsuchung auf unklare Bereiche als von der gerichtlichen Anordnung als gedeckt anzusehen gewesen (vgl. abermals das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom ).
Nach dem Gesagten lässt sich die behördliche Ansicht, die gegenständliche Hausdurchsuchung und Beschlagnahme seien zur Gänze durch den gerichtlichen Befehl gedeckt gewesen, an Hand der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht überprüfen. Der Bescheid kann daher keinen Bestand haben, woran auch (bezüglich der Beschlagnahme) der Umstand, dass es - wie von der belangten Behörde aufgezeigt - die Beschwerdeführerin unterlassen hat, konkret anzugeben, welche in ihrem Eigentum befindlichen Gegenstände sichergestellt worden seien, nichts zu ändern vermag:
Einerseits waren die in Beschwerde gezogenen Objekte durch ihre örtliche Zuordnung zu den (behaupteten) Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin ohnehin ausreichend individualisiert, andererseits hätte auch eine tatsächlich vorliegende Mangelhaftigkeit nicht zur sofortigen Zurückweisung der zugrunde liegenden Beschwerde ermächtigt (vgl. zur Pflicht der unabhängigen Verwaltungssenate, von ihnen als mangelhaft erkannte Beschwerden nach § 67a Abs. 1 Z 2 AVG einem Verbesserungsverfahren nach § 13 Abs. 3 leg. cit. zu unterziehen, etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0331, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Insoweit die Beschwerdeführerin begehrt, das Land Steiermark zur ungeteilten Hand mit dem Bund zum Aufwandersatz zu verpflichten und überdies weitere EUR 1,50,-- an PSK-Gebühr zuzusprechen, war dieses Mehrbegehren im Grunde der §§ 47 Abs. 5 und 48 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am