VwGH vom 11.12.2003, 2002/21/0087
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des P, vertreten durch Dr. Herwig Hasslacher und Dr. Klaus J. Karner, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Hauptplatz 25, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom , Zl. Fr-372/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und 5 und § 39 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei von den italienischen Behörden am festgenommen und vom Gericht in Udine wegen Schlepperei und des unbefugten Besitzes einer verbotenen Waffe zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten und einer Geldstrafe von Lit. 6,000.000,-- verurteilt worden. Diesem Urteil zufolge habe der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug insgesamt vier philippinische Staatsangehörige von einem unbestimmten Ort in Italien (in der Nähe der östlichen Staatsgrenze) nach Udine gebracht, wobei er dieses Delikt zu Gewinnzwecken begangen habe. Aus diesem Urteil gehe hervor, dass die Reise der philippinischen Staatsangehörigen von einer Organisation geplant worden sei und diese von Manila nach Slowenien gebracht worden seien. "Dort" (dem Spruch des im Akt erliegenden italienischen Urteils zufolge in Italien, nachdem diese Personen heimlich das Staatsgebiet betreten hätten) seien sie an den Beschwerdeführer übergeben worden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte sich in einer Not- und Zwangsmaßnahme befunden und wäre ohne Rechtsmittelverzicht nicht freigekommen, sei entgegenzuhalten, dass die Fremdenpolizei keine Kompetenz habe, ein Gerichtsurteil zu überprüfen, und auch einer eventuell ausgesprochenen Strafnachsicht für das fremdenpolizeiliche Verfahren keine Relevanz zukomme. Auch ein getilgten Verurteilungen zu Grunde liegendes strafbares Verhalten könne bei der Beurteilung nach § 36 Abs. 1 FrG berücksichtigt werden, weshalb auch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers wegen versuchter Nötigung und Körperverletzung miteinbezogen werde, wegen dessen er am nach den §§ 15, 105 Abs. 1 und 83 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer berufe sich auf einen seit über zehn Jahren andauernden Aufenthalt in Österreich, sei jedoch nicht von klein auf im Inland aufgewachsen, weshalb der Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht zum Tragen komme. Der Beschwerdeführer besitze eine unbefristete Niederlassungsbewilligung, gehe einer Arbeit nach und habe zu seinem in Kärnten befindlichen unehelichen Kind und dessen Mutter einen sehr guten Kontakt. Mit dem Aufenthaltsverbot sei daher ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden. Trotzdem sei das Aufenthaltsverbot zulässig, weil im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK dessen Notwendigkeit in dem besonders großen öffentlichen Interesse an der Bekämpfung des Schlepperunwesens begründet sei. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes wögen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers weniger schwer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Bekämpfung des Schlepperunwesens. Eine Übertretung wegen Schlepperei gehöre zu den schwerstwiegenden strafbaren Tatbeständen (§ 104 FrG). Im Gegensatz zur erstinstanzlichen Ansicht sei jedoch das Aufenthaltsverbot auf zehn Jahre zu befristen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
§ 36 FrG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 134/2000 lautet auszugsweise:
"(1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen
werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme
gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1. die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit
gefährdet oder
2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten
öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat
insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder
1. von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten
Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
...
5. Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat;
...
(3) Eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Eine solche Verurteilung liegt jedoch vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht."
Gemäß § 73 StGB stehen, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellt, ausländische Verurteilungen inländischen gleich, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sind. Gemäß § 1 StGB darf eine Strafe oder eine vorbeugende Maßnahme nur wegen einer Tat verhängt werden, die unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung fällt und schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war (Abs. 1), wobei eine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe nicht verhängt werden darf (Abs. 2 erster Satz).
Den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid zufolge wurde der Beschwerdeführer von einem italienischen Gericht wegen Schlepperei von vier philippinischen Staatsangehörigen aus Gewinnzwecken verurteilt.
Im Zeitpunkt der Begehung der dem Beschwerdeführer angelasteten Straftat war gemäß § 105 Abs. 1 FrG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 34/2000 Schlepperei dann gerichtlich strafbar, wenn jemand um seines Vorteils willen Schlepperei begeht und
1. damit die gemeinsame rechtswidrige Ein- oder Ausreise von mehr als fünf Fremden fördert oder
2. innerhalb der letzten fünf Jahre schon einmal wegen einer solchen Tat von einem Gericht verurteilt oder von einer Verwaltungsbehörde bestraft worden ist oder
3. innerhalb der letzten fünf Jahre schon einmal wegen einer solchen Tat von einem ausländischen Gericht in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren verurteilt worden ist.
Nach dem Gesagten war die Tat, derentwegen der Beschwerdeführer in Italien verurteilt worden ist, zum Zeitpunkt ihrer Begehung in Österreich nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht. Diese Verurteilung steht daher im Sinn des § 73 StGB einer inländischen Verurteilung nicht gleich und sie vermag den von der belangten Behörde herangezogenen Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG nicht zu erfüllen. Daran vermag der weitere Schuldspruch wegen unbefugten Besitzes einer verbotenen Waffe nichts zu ändern, ist dieser doch zweifellos gegenüber dem Delikt der Schlepperei untergeordnet - was sich auch aus den im genannten Urteil ersichtlichen Strafzumessungserwägungen ergibt - und wurde demgemäß von der belangten Behörde auch nicht zur tragenden Begründung des Aufenthaltsverbotes genommen. Letzteres gilt auch für die Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen versuchter Nötigung und Körperverletzung.
Der Beschwerdeführer hat die - das Aufenthaltsverbot tragende (§ 36 Abs. 2 Z. 5 FrG) - vorsätzliche Begehung von Schlepperei in Italien bestritten. Im vorliegenden Fall ist daher maßgeblich, ob der genannten Verurteilung die für inländische Verurteilungen ohne Weiteres bestehende Bindungswirkung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/18/0002) zukommt. Dabei ist davon
auszugehen, dass Urteile und Beschlüsse ausländischer Gerichte
im Inland nur dann materielle Rechtskraft äußern können, wenn sie kraft staatsvertraglicher Regelung im Inland entweder anerkannt oder vollstreckt werden können. Es bedarf also eines "Anerkennungsund/oder Vollstreckungsvertrags" (vgl. das , ÖJZ (EvBl) 1998/188).
Das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen, BGBl. Nr. 249/1980, das gemäß Art. 3 die Vollstreckung von Sanktionen, die in einem anderen Vertragsstaat verhängt worden und dort vollstreckbar sind, ermöglicht, ist im Verhältnis zu Italien nicht anwendbar, weil Italien diesem Übereinkommen nicht beigetreten ist.
Der sogenannte "Schengen-Besitzstand" (ua. das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl. III Nr. 90/1997) ist durch das Protokoll zu dessen Einbeziehung in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als Anhang beigefügt wurde (Amtsblatt Nr. C 340 vom , Seite 93), gemeinschaftsrechtlich relevant geworden.
Gemäß Art. 54 SDÜ darf, wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Zwar impliziert dieses Verbot der Doppelbestrafung "zwingend", dass ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht und dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des in den anderen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde (so der "Gözütok" und C- 385/01 "Brügge", Rnr. 33). Dass aus der genannten Bestimmung aber noch keine Anerkennung der von einem Gericht eines Mitgliedstaates erlassenen Urteile und eine Bindung an solche Urteile abzuleiten ist, geht unmissverständlich aus dem Rahmenbeschluss des Rates vom über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (Amtsblatt Nr. L 190 vom , Seite 1ff) hervor, demgemäß der Europäische Haftbefehl im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als "Eckstein" der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung darstellt (vgl. dazu auch das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, Amtsblatt Nr. C 012, Seite 10ff). Demgemäß sprach der EuGH (im zit. Urteil vom , Rnr. 47) aus, dass Art. 54 SDÜ "ausschließlich" verhindern soll, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt wurde, in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat erneut strafrechtlich verfolgt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof kann sich daher insoweit der Ansicht des OGH in dem bereits zitierten - und in der Literatur auf Kritik gestoßenen (Oberhammer in ecolex 1998, 909) - Urteil vom nicht anschließen.
Keinen über Art. 54 SDÜ hinausgehenden Inhalt hat das Übereinkommen über das Verbot der doppelten Strafverfolgung BGBl. III Nr. 1/2000.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die belangte Behörde in ihrer Auffassung, an die italienische gerichtliche Verurteilung gebunden zu sein, einem Rechtsirrtum unterlag. Aus diesem Grund unterließ sie es, Feststellungen über die dem Beschwerdeführer vorgeworfene und von diesem bestrittene Schlepperei zu treffen.
Bemerkt sei, dass der in § 36 Abs. 2 Z. 5 FrG genannte Tatbestand der Schlepperei (§ 104 Abs. 1 idF der Novelle BGBl. I Nr. 34/2000) im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides durch den Beschwerdeführer verwirklicht sein kann, weil dieser in der erwähnten novellierten Fassung darauf abstellt, ob die rechtswidrige Einreise eines Fremden in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Nachbarstaat Österreichs vorsätzlich gefördert wurde. Gemäß § 104 Abs. 1 FrG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 34/2000 iVm § 1 Abs. 2 FrG war der Tatbestand der Schlepperei hingegen nur dann verwirklicht, wenn die rechtswidrige Ein- oder Ausreise (Betreten oder Verlassen des Bundesgebietes) gefördert wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/18/0357). Da ein Aufenthaltsverbot jedoch keine Strafe, sondern eine administrativrechtliche Maßnahme darstellt, kommt ein Rückwirkungsverbot nicht zum Tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/18/0128).
Wie dargelegt war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am