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VwGH vom 29.04.2002, 99/03/0015

VwGH vom 29.04.2002, 99/03/0015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Bernegger, Dr. Riedinger und Dr. Handstanger als Richter im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der SF in W, vertreten durch Draxler & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Reichsratsstraße 11, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGS-W Abt. 10/1218/56/1997, betreffend Rückforderung des Karenzurlaubsgeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde das der Beschwerdeführerin gewährte Karenzurlaubsgeld gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 und § 80 Abs. 6 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609 (AlVG), für den Zeitraum vom bis "widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und die Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes in der Höhe von S 10.388,-- verpflichtet.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe in der Zeit vom bis zum Karenzurlaubsgeld und ab bereits Wochengeld bezogen. Da das Karenzurlaubsgeld gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 1 lit. a AlVG während des Bezuges von Wochengeld ruhe, sei das Karenzurlaubsgeld zu widerrufen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe am Antrag auf Karenzurlaubsgeld mit Unterschrift sämtliche Meldepflichten zur Kenntnis genommen. Durch § 50 AlVG werde der Leistungsbezieher verpflichtet, jeden Umstand, der auf das Ausmaß oder das Fortbestehen der Leistung Einfluss nehmen könnte, zu melden. Die Beschwerdeführerin habe bereits durch die Nichtmeldung der Schwangerschaft und in der Folge des Wochengeldbezuges die Meldepflichten verletzt, von welchen sie auch eine Frühgeburt nicht entbinden könne, und dem Arbeitsmarktservice maßgebliche Tatsachen verschwiegen, weshalb die Rückforderung des unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes rechtmäßig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 24 Abs. 2 AlVG lautet:

"§ 24. ...

(2) Wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen."

§ 25 Abs. 1 AlVG lautet:

"§ 25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder <seite_3>durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. ..."

Gemäß § 29 Abs. 1 AlVG, aufgehoben mit BGBl. I Nr. 47/1997 und außer Kraft getreten mit , waren § 16 Abs. 1 lit. a, b, c, e, f und j (Ruhen des Arbeitslosengeldes) sowie § 24 und § 25 (Einstellung und Berichtigung des Arbeitslosengeldes) sinngemäß anzuwenden. Nach der Übergangsbestimmung des § 80 Abs. 6 AlVG i.d.F. BGBl. I Nr. 47/1997 hängt die Anwendbarkeit von § 29 Abs. 1 AlVG von einer Geburt vor dem ab.

Die Beschwerdeführerin, die darauf hinweist, dass sie für ihren Sohn Julian Johannes, geboren am 29. Feber 1996, für die Zeit vom bis Karenzurlaubsgeld bezogen habe, und dass es sich bei ihrer Tochter Vanessa, geboren am , für die sie dann Wochengeld bezogen habe, um eine Frühgeburt gehandelt habe, wendet sich gegen die Rückzahlung des im Zeitraum vom bis zum erhaltenen Karenzurlaubsgeldes und führt dazu im Wesentlichen aus, es sei nicht zutreffend, dass sie die maßgeblichen Angaben im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG verschwiegen habe. Ausgehend von ihrer Annahme, dass die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und das Arbeitsmarktservice - Landesgeschäftsstelle Wien (AMS) Zugang zu denselben Daten hätten, sei keine getrennte Meldung an das AMS erfolgt, sondern habe sie nur die WGKK von der Geburt ihrer Tochter informiert. Da die Beschwerdeführerin durch die Frühgeburt ihrer Tochter belastet gewesen sei, habe sie nicht selbst die Behördenwege erledigt, sondern habe dies ihr Lebensgefährte für sie getan. Die zusätzliche Meldung beim AMS sei daher nicht mit der Absicht versäumt worden, zu Unrecht das Karenzgeld zu beziehen. Der Terminus "Verschweigung" wie ihn der § 25 Abs. 1 AlVG vorsehe, impliziere jedoch, dass mit Vorsatz eine maßgebliche Tatsache dem AMS nicht mitgeteilt worden sei, um eine Leistung zu empfangen, von der der Empfänger wisse, dass sie ihm nicht zustehe. Aus einer mangelnden Gesetzeskenntnis könne ihr kein Vorwurf gemacht werden, die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein würde für eine Rückforderung nicht genügen.

<seite_4>Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum vom bis zum gleichzeitig Wochengeld und Karenzurlaubsgeld bezog.

Gemäß § 50 Abs. 1 AlVG ist, wer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, verpflichtet, unter anderem jede für das Fortbestehen und das Ausmaß des Anspruches maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen ohne Verzug, spätestens jedoch binnen einer Woche seit dem Eintritt des Ereignisses anzuzeigen.

Nach § 16 Abs. 1 lit. a AlVG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 AlVG ruht der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld unter anderem während des Bezuges von Wochengeld. Aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin ab dem Wochengeld bezog, ergab sich eine für das Fortbestehen des Anspruches aus der Arbeitslosenversicherung maßgebende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne des § 50 Abs. 1 AlVG.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Verletzung der Meldepflicht des § 50 Abs. 1 AlVG die Annahme einer Verschweigung maßgebender Tatsachen im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG und somit die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0117). Aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen und Erkennenmüssen, dass Leistung nicht oder nicht in voller Höhe gebühre) folgt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weiters, dass die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz - dolus eventualis - voraussetzen, während es für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0163).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid im Kern ihrer Ausführungen der Beschwerdeführerin vorgeworfen, diese habe anlässlich ihres Antrages auf Karenzurlaubsgeld "sämtliche Meldepflichten" zur Kenntnis <seite_5>genommen, und daher durch die Nichtmeldung der Schwangerschaft und in der Folge des Wochengeldbezuges die Meldepflichten verletzt, von welchen sie "auch eine Frühgeburt nicht entbinden" könne und daher "dem Arbeitsmarktservice maßgebliche Tatsachen verschwiegen", weshalb die Rückforderung zu Recht erfolge. Damit hat die belangte Behörde zum Ausdruck gebracht, dass sie die Rückforderung im Grunde des zweiten Tatbestandes des § 25 Abs. 1 AlVG annehme. Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes sind jedoch durch die Feststellungen des angefochtenen Bescheides nicht gedeckt. Auf Grund der zuvor dargestellten Rechtslage ist für die Erfüllung dieses Rückforderungstatbestandes dolus eventualis erforderlich, somit zumindest mittelbarer Vorsatz der Beschwerdeführerin. Feststellungen, die darauf Rückschlüsse zuließen, fehlen dem angefochtenen Bescheid jedoch zur Gänze. Der Hinweis in dessen Begründung, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer "Unterschrift" die Meldeverpflichtung zur Kenntnis genommen, in der Folge jedoch nicht erfüllt habe und dass sie auch eine Frühgeburt davon nicht "entbinden" könne, reicht für die Annahme des erforderlichen mittelbaren Vorsatzes nicht aus.

Da die belangte Behörde somit durch diesen Begründungsmangel den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet hat, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am