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VwGH vom 23.01.2003, 2002/20/0533

VwGH vom 23.01.2003, 2002/20/0533

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des ATP in ME, geboren 1971, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in 2344 Maria Enzersdorf, Franz Josef-Straße 42, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 226.183/6-IX/27/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, reiste am in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er als Fluchtgrund an, er werde in Armenien verfolgt, weil seine Frau der Volksgruppe der Tataren angehöre und moslemischen Glaubens sei. Bereits 1992 hätten deswegen Probleme mit seinen Nachbarn begonnen, der Beschwerdeführer sei von diesen und von seinen Verwandten diskriminiert worden. Seine Kinder seien als "Türkenkinder" beschimpft worden und hätten deshalb Schwierigkeiten in der Schule gehabt. Um diese Diskriminierungen zu vermeiden, habe er auch den Nachnamen seiner Frau ändern müssen. Da es immer wieder zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen sei, habe er sich "ein paar Mal" an die Polizei gewendet, doch habe ihm diese nicht geholfen. Im Winter 1999/2000 sei das Haus des Beschwerdeführers in Brand gesteckt worden. Der Beschwerdeführer habe daher seine Frau und seine Kinder zu deren Verwandten nach Russland geschickt. Zuletzt habe er auch mit seinen eigenen Verwandten "irrsinnige Probleme" bekommen, da ihn diese haben zwingen wollen, seine bereits in Russland befindliche Frau zu verlassen. Im Falle seiner Rückkehr nach Armenien befürchte er, umgebracht zu werden.

Das Bundesasylamt wertete dieses Vorbringen des Beschwerdeführers als offensichtlich wahrheitswidrig und wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab. Gleichzeit wurde in diesem Bescheid gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien zulässig sei.

Über die dagegen erhobene Berufung vom (ergänzt mit Schreiben vom ) führte die belangte Behörde am eine Verhandlung mit dem Beschwerdeführer durch, in der dieser unter anderem ergänzte, er sei, nachdem man im Jahr 2000 sein Haus in Brand gesteckt hätte, sogar zu Gericht gegangen. Dabei sei "natürlich nichts herausgekommen". Es gebe auch Dokumente über diese Gerichtsverhandlung, doch seien diese bei seiner Frau in Russland.

Mit Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers statt, behob den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 32 Abs. 2 AsylG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Argumente der Beweiswürdigung im Bescheid vom reichten zum Teil nicht einmal zur Begründung einer "schlichten Unglaubwürdigkeit" der Angaben des Beschwerdeführers aus.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers (neuerlich) ab, stützte die Entscheidung nunmehr auf § 7 AsylG und begründete dies im Wesentlichen mit denselben beweiswürdigenden Argumenten wie im Bescheid vom . Gleichzeitig sprach die Erstbehörde wiederum die Zulässigkeit unter anderem der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 AsylG aus.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer am Berufung, in der er unter anderem beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Beschwerdeführer wandte sich im Einzelnen gegen die von der Erstbehörde angenommenen Gründe für die mangelnde Glaubwürdigkeit seines Vorbringens und führte u.a. aus, er beabsichtige, Beweis über seine Aussagen zu führen und sei dazu auch im Stande. Als seine Frau geflohen sei, habe sie die nötigen Dokumente mitgenommen, er sei aber bemüht, diese zu beschaffen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde unter Abstandnahme von der Durchführung einer (weiteren) Verhandlung die Berufung des Beschwerdeführers nach den §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie versagte dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zur Gänze die Glaubwürdigkeit und verwies (über die Beweiswürdigung der Erstbehörde hinausgehend) auf Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers in der Verhandlung vom . Selbst dann, so die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen den Tatsachen entspräche, wäre für ihn im Ergebnis nichts gewonnen. Der Beschwerdeführer sei nämlich "den Übergriffen seiner Nachbarn" ausschließlich deshalb ausgesetzt gewesen, weil seine Frau tatarischer Herkunft sei. Da diese jedoch mit den Kindern des Beschwerdeführers bereits in der "Russischen Föderation" lebe, könne nicht angenommen werden, dass der der armenischen Volksgruppe angehörende Beschwerdeführer nach Rückkehr in seine Heimat Übergriffen ausgesetzt wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde führt ins Treffen, die belangte Behörde habe es trotz eines Antrages des Beschwerdeführers unterlassen, sich im Rahmen einer Verhandlung mit den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers gegen den Bescheid nach § 7 AsylG auseinander zu setzen. Auch sei entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung nicht davon auszugehen, dass die Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr in seine Heimat weggefallen sei, nur weil dessen Ehefrau und dessen Kinder Armenien verlassen hätten.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Gemäß § 67d Abs. 1 AVG in der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 137/2001 hat der unabhängige Verwaltungssenat (ein solcher ist die belangte Behörde gemäß Art. 129c B-VG), abgesehen von den im Beschwerdefall nicht in Betracht kommenden Ausnahmen des § 67d Abs. 2 und 4 AVG, auf Antrag oder, wenn er dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer in der Berufung einen darauf abzielenden Antrag gestellt.

Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist § 67d AVG von der belangten Behörde jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Zu dieser von der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001 unberührt gebliebenden Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur - jeweils in Bezug auf eine durch § 67d AVG in der Fassung vor der Novelle begründete Verhandlungspflicht - u.a. ausgesprochen, die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes sei nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. zum Erfordernis einer schlüssigen Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid und zur Verhandlungspflicht bei Neuerungen schon die Erkenntnisse vom , Zl. 98/01/0308, und vom , Zl. 98/20/0339; zur Bekämpfung der Beweiswürdigung in der Berufung die Erkenntnisse vom , Zl. 98/20/0577, und vom , Zl. 98/20/0389; zum Abgehen von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung das Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0423; zu Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens das Erkenntnis vom , Zl. 98/20/0475; daran anschließend jeweils zahlreiche weitere Erkenntnisse).

Im vorliegenden Fall war der Sachverhalt schon deshalb nicht "geklärt", weil sich das Bundesasylamt in seiner Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auf die wörtliche Übernahme von Ausführungen aus der Begründung des aufgehobenen Bescheides vom beschränkt hatte und auf die ausführliche Einvernahme des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung am mit keinem Wort eingegangen war (vgl. zu einem derartigen Vorgehen des Bundesasylamtes zuletzt etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0236). Dieser Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, aus deren Ergänzungsbedürftigkeit sich angesichts des in der Berufung gestellten Antrages bereits das Erfordernis einer mündlichen Berufungsverhandlung ergab (vgl. aus der bisherigen Judikatur etwa die Nachweise in dem Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0003), war der Beschwerdeführer überdies in der Berufung mit ins Einzelne gehenden Argumenten entgegen getreten, sodass die Erledigung der Berufung mit einem das Verfahren beendenden Bescheid auch aus diesem Grund eine mündliche Berufungsverhandlung erforderte. Das - von der belangten Behörde nicht begründete - Unterbleiben einer Verhandlung über die mit dem angefochtenen Bescheid erledigte Berufung entsprach daher nicht dem Gesetz, woran auch der Umstand, dass über die erste Berufung verhandelt worden war, nichts ändert.

Dieser Verfahrensmangel ist relevant, weil die Hilfsbegründung der belangten Behörde, selbst unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers sei eine Gefährdung seiner Person im Fall seiner Rückkehr nach Armenien deswegen zu verneinen, weil seine Frau und seine Kinder bereits in der Russischen Föderation lebten, den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen im Stande ist. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer nicht erklärt hat, er beabsichtige auch in Zukunft getrennt von seiner Familie zu leben, kann mangels ersichtlicher Ermittlungsergebnisse der belangten Behörde nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer schon alleine wegen der (formell) aufrechten Ehe mit einer Angehörigen der tatarischen Volksgruppe Verfolgung zu befürchten hat. Bestärkt werden diese Bedenken durch die (von der belangten Behörde nicht behandelten) Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Erstvernehmung, seine eigenen Verwandten hätten ihn zwingen wollen, seine - "bereits in Russland befindliche" - Frau zu verlassen, und die Polizei habe ihm gegen deren Handgreiflichkeiten keine Hilfe geboten.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am