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VwGH vom 23.04.1990, 90/19/0079

VwGH vom 23.04.1990, 90/19/0079

Betreff

N gegen Landeshauptmann von Oberösterreich vom , Zl. Ge-39.781/6-1989/Pan/Lb, betreffend Übertretungen der AAV

Spruch

Der Bescheid, der in seinem eine Einstellung aussprechenden Teil unberührt bleibt, wird hinsichtlich des Schuldspruches sowie des Straf- und Kostenausspruches wegen der Übertretung des § 46 Abs. 6 AAV wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950 zur Vertretung nach außen Berufener einer bestimmten Gesellschaft m.b.H. am auf einer näher bezeichneten Baustelle

a) die Gerüstbeläge des Stahlrohrgerüstes nicht mit Mittel- und Fußwehren gesichert,

b) die Arbeitsplätze auf diesem Gerüst nicht über sicher begehbare Zugänge, wie Leitern, Leitergänge, Stiegen oder Laufbrücken, erreichbar eingerichtet und

c) dieses Gerüst in Verwendung genommen, ohne es nach seiner Fertigstellung einer Prüfung durch eine geeignete, fachkundige und hiezu berechtigte Aufsichtsperson unterzogen zu haben. Er habe hiedurch a) § 46 Abs. 6, b) § 46 Abs. 11 und c) § 46 Abs. 9 letzter Satz in Verbindung mit § 46 Abs. 13 erster Satz AAV verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurden über den Beschwerdeführer gemäß § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer nicht bestritten, daß bestimmte Gerüstteile keine Mittel- und Fußwehr aufgewiesen hätten. Da § 46 Abs. 6 AAV das Vorhandensein von Mittel- und Fußwehr nicht davon abhängig mache, ob an bestimmten Stellen des Gerüstes gearbeitet werde oder nicht, gehe der diesbezügliche Einwand des Beschwerdeführers ins Leere. Daß die Arbeitsplätze auf dem Gerüst nicht über sicher begehbare Zugänge erreichbar gewesen seien, sei bereits durch den rechtskräftigen Bescheid des Arbeitsinspektorates für den

18. Aufsichtsbezirk vom eindeutig erwiesen. Darüber hinaus habe der Arbeitsinspektor in seiner Zeugenaussage bestätigt, daß das Gerüst ausschließlich durch ungesichertes Klettern über die Balkonbrüstung erreichbar gewesen sei. Durch diese eindeutigen Beweise sei die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verwaltungsübertretung (nach § 46 Abs. 11 AAV) hinlänglich erwiesen, sodaß die vom Beschwerdeführer beantragten Zeugeneinvernahmen entbehrlich gewesen seien. Ebenso unglaubwürdig sei der Einwand hinsichtlich der Übertretung zu lit. c des Spruches, da im Falle einer tatsächlich erfolgten Überprüfung nach Fertigstellung des Gerüstes durch eine geeignete fachkundige und hiezu berechtigte Aufsichtsperson das in Rede stehende Gerüst nicht derart schwerwiegende Mängel aufweisen und auch nicht ein solcher Vorbehalt (auf Wunsch des Malers keine Fuß- und Kniewehr) auf dem nachträglich vorgelegten Prüfnachweis aufscheinen hätte dürfen. Denn eine fachkundige Person hätte gewußt, daß die Bestimmungen der AAV zwingendes Recht darstellten und daher einer Parteienvereinbarung nicht zugänglich seien. Derart erhebliche Fehler wären bei einer Prüfung durch eine geeignete fachkundige und hiezu berechtigte Aufsichtsperson nicht unterlaufen, sodaß offensichtlich sei, daß eine Prüfung durch eine fachkundige Person nicht erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Auffassung des Beschwerdeführers, daß dem § 46 Abs. 6 AAV Genüge getan sei, wenn ein Gerüst an den Stellen, wo sich Arbeitnehmer befänden und wo das Gerüst begangen werde, über die vorgeschriebenen Mittel- und Fußwehren verfüge, kann nicht beigetreten werden. Gerüste müssen vielmehr, unabhängig davon, auf welchen Stellen gerade gearbeitet wird, in ihrer Gesamtheit mit den vorschriftsmäßigen Sicherungen ausgestattet sein. Daß die Verpflichtung zur vorschriftsmäßigen Ausstattung von Gerüsten nicht bloß auf die jeweils konkret benützten Teile eines Gerüstes abgestellt ist, folgt aus § 46 Abs. 9 letzter Satz AAV, wonach Gerüste erst nach Fertigstellung und Prüfung in Verwendung genommen werden dürfen, kann doch der Begriff "Fertigstellung" schon rein sprachlich nicht auf einzelne Teile, sondern nur auf ein Gerüst als ganzes bezogen werden.

Aus dem ersten Satz des § 46 Abs. 6 AAV ergibt sich allerdings, daß die genannte Vorschrift nur Gerüstbeläge betrifft, die über Gewässer liegen oder von denen Arbeitnehmer mehr als 2 m abstürzen können. Es gehört daher auch zum objektiven Tatbestand eines nach § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes als Verwaltungsübertretung strafbaren Verstoßes gegen diese Bestimmung, daß die nicht vorschriftsgemäße Gerüstlage über Gewässern liegt oder daß von ihr Arbeitnehmer mehr als 2 m abstürzen können. Demzufolge muß dieses Tatbestandsmerkmal auch in der nach § 44 a lit. a VStG 1950 im Spruch des Straferkenntnisses vorzunehmenden Umschreibung der Tat aufscheinen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/08/0252). Diesem Erfordernis entspricht die mit dem angefochtenen Bescheid übernommene Tatumschreibung hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung der genannten Bestimmung nicht, weil darin das Tatbestandsmerkmal, daß es sich um Gerüstbeläge handelt, die über Gewässern liegen oder von denen Arbeitnehmer mehr als 2 m abstürzen können, nicht aufscheint. Aus diesem Grunde ist der angefochtene Bescheid im Bezug auf die Verurteilung und Bestrafung des Beschwerdeführers einschließlich des Kostenausspruches wegen der Übertretung des § 46 Abs. 6 AAV mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Bezüglich der Übertretung des § 46 Abs. 11 AAV wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, daß sie die von ihm im Verwaltungsstrafverfahren zum Beweis dafür, daß das Gerüst über Balkonbrüstungen und Fenster sicher betreten habe werden können, beantragten Zeugen nicht vernommen habe. Diesem Vorbringen kann Berechtigung nicht abgesprochen werden. Gemäß § 46 Abs. 11 erster Satz AAV müssen Arbeitsplätze auf Gerüsten über sicher begehbare Zugänge, wie Leitern, Leitergänge, Stiegen oder Laufbrücken, erreichbar sein. Da die in dieser Bestimmung enthaltene Aufzählung ("wie Leitern, ....") bloß demonstrativer Natur ist, kann ein sicherer Zugang zu Arbeitsplätzen auf Gerüsten auch auf andere Weise hergestellt werden. Der Beschwerdeführer behauptete im Verwaltungsstrafverfahren, daß es den am Gerüst tätigen Arbeitnehmern ohne weiteres möglich gewesen sei, von den Balkonbrüstungen bzw. Fenstern das Gerüst zu betreten. Dieser Zugang sei sicherer gewesen als ein allenfalls angebrachter vertikaler Aufstieg und jedenfalls genauso sicher wie eine horizontale Laufbrücke. Die Beurteilung der Frage, ob der vom Beschwerdeführer behauptete Zugang tatsächlich als sicherer Zugang im Sinne des § 46 Abs. 11 AAV qualifiziert werden kann, erfordert genaue Feststellungen über die Beschaffenheit dieser Zugangsmöglichkeit, insbesondere über Art und Umfang der bei ihrer Benützung allenfalls zu überwindenden Hindernisse. Wenn sich die belangte Behörde damit begnügte, lediglich auf Grund der Zeugenaussage des Arbeitsinspektors festzustellen, daß das Gerüst ausschließlich durch ungesichertes Klettern über die Balkonbrüstung erreichbar gewesen sei, so reicht diese Feststellung zur Beurteilung der maßgeblichen Rechtsfrage im Sinne der obigen Darlegungen mangels näherer Angaben insbesondere über die Höhe der bei der "Kletterei" zu übersteigenden Fensterbrüstung und deren Entfernung vom nächsten sicheren Standplatz auf dem Gerüst nicht aus. Soweit sich die belangte Behörde zum Nachweis der Erfüllung des objektiven Tatbestandes dieser Verwaltungsübertretung auf den in der Begründung ihres Bescheides angeführten Bescheid des Arbeitsinspektorates beruft, verkennt sie, daß diesem Bescheid, mit dem auf Grund des § 360 Abs. 2 zweiter Satz der Gewerbeordnung 1973 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitnehmerschutzgesetzes die Einstellung der Arbeiten auf dem Stahlrohrgerüst an der Nordseite des Hauses verfügt wurde, keine bindende Wirkung für das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren zukommen kann. Dieser Bescheid war nicht einmal gegenüber dem Beschwerdeführer erlassen worden. Da der Sachlage nach nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß die vom Beschwerdeführer angebotenen Zeugenbeweise geeignet gewesen wären, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes im Sinne der obigen Ausführungen beizutragen, hätte die belangte Behörde von der Aufnahme dieser Beweise nicht Abstand nehmen dürfen (vgl. n.v.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 87/08/0125).

Schließlich ist der Beschwerdeführer im Recht, wenn er in bezug auf die Übertretung des § 46 Abs. 9 letzter Satz in Verbindung mit Abs. 13 erster Satz AAV rügt, daß die belangte Behörde ausschließlich auf Grund der beim Gerüst festgestellten Mängel zum Schluß gekommen sei, daß keine Prüfung des Gerüstes durch eine fachkundige Person erfolgt sei. Gemäß § 46 Abs. 13 AAV sind Prüfungen nach Abs. 9 von geeigneten, fachkundigen und hiezu berechtigten Aufsichtspersonen durchzuführen. Als geeignet und fachkundig sind Aufsichtspersonen anzusehen, wenn sie die für die jeweilige Prüfung notwendigen fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen besitzen und auch die Gewähr für eine gewissenhafte Durchführung der Prüfungsarbeiten bieten. Solche Aufsichtspersonen sind z.B. Poliere, Bauleiter oder fachkundige Aufsichtspersonen von Gerüstbauunternehmen (vgl. Felix-Merkl-Vogt, Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung3, 116). Der Beschwerdeführer behauptete im Verwaltungsstrafverfahren, daß er eine bestimmte Person mit der Prüfung beauftragt habe und legte einen von dem Genannten unterfertigten Prüfnachweis für Gerüste vom vor. Es wäre daher für die belangte Behörde erforderlich gewesen, sich damit auseinanderzusetzen, ob die vom Beschwerdeführer angegebene Person tatsächlich die Prüfung des Gerüstes nach § 46 Abs. 9 AAV vorgenommen hat, bejahendenfalls, ob es sich bei ihr um eine geeignete, fachkundige und hiezu berechtigte Aufsichtsperson im Sinne des § 46 Abs. 13 AAV handelte. Alleine der Umstand, daß das Gerüst Mängel aufwies, berechtigte die belangte Behörde noch nicht zu dem Schluß, daß entweder überhaupt keine Prüfung vorgenommen wurde oder daß die Prüfung nicht von einer geeigneten, fachkundigen oder hiezu berechtigten Aufsichtsperson durchgeführt wurde.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Schuldspruches sowie des Straf- und Kostenausspruches wegen der Übertretung des § 46 Abs. 6 AAV gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, im übrigen aber gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.