VwGH vom 28.11.1995, 94/02/0471
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerden der S in M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des UVS im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-WB-93-464, vom , Zl. Senat-WB-93-463, vom , Zl. Senat-WB-93-465, vom , Zl. Senat-WB-93-466, und vom , Zl. Senat-WB-93-467, betreffend Übertretungen nach dem Arbeitsinspektionsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus den Beschwerden und den angeschlossenen Ausfertigungen der angefochtenen Bescheide ergibt sich folgendes:
Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der belangten Behörde wurde die Beschwerdeführerin wegen Unterlassung der fristgerechten Vorlage der vom Arbeitsinspektorat für den
7. Aufsichtsbezirk angeforderten Verzeichnisse über die ausgegebenen Fahrtenbücher von allen Lenkern und wegen der Nichtvorlage der Fahrtenbücher bzw. Fahrtenbuchdurchschläge von allen Lenkern für einen bestimmten Zeitraum jeweils zweier Verwaltungsübertretungen nach § 5 Abs. 2 ArbIG schuldig erkannt; über sie wurden gemäß § 18 Abs. 1 ArbIG Geldstrafen von (je 2x) je S 6.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, im wesentlichen gleichlautenden Beschwerden, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und hierüber erwogen hat:
Gemäß § 17 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (AZG) obliegt dem Arbeitgeber die Ausgabe der persönlichen Fahrtenbücher sowie die Führung des Verzeichnisses über die verwendeten persönlichen Fahrtenbücher (....). Die persönlichen Fahrtenbücher sind nach deren Abschluß vom Arbeitgeber mindestens ein Jahr lang aufzubewahren; diese sowie das Verzeichnis sind den Kontrollorganen auf Verlangen auszuhändigen.
Nach § 28 Abs. 1 AZG sind Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zuwiderhandeln, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 300 S bis 6.000 S oder mit Arrest von drei Tagen bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
Nach § 5 Abs. 2 Arbeitsinspektionsgesetz 1974 (ArbIG) sind der Arbeitgeber und dessen Bevollmächtigter verpflichtet, den Arbeitsinspektoren auf Verlangen alle Unterlagen zur Einsicht vorzulegen, die mit dem Schutz der Arbeitnehmer des Betriebes in Zusammenhang stehen, wie insbesondere solche über die Betriebsräumlichkeiten, Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen, Betriebsmittel..... Dies gilt auch für Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen (Arbeitsanordnungen), Lohn-, Gehalts- und Urlaubslisten sowie für alle Verzeichnisse, Vormerke oder Aufstellungen, die aufgrund von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu führen sind. Die Arbeitsinspektoren sind befugt, Abschriften dieser Unterlagen oder Auszüge aus denselben anzufertigen oder solche bzw. Ablichtungen anzufordern.
§ 18 Abs. 1 ArbIG sieht vor, daß derjenige, der Arbeitsinspektoren oder Organe des Zentral-Arbeitsinspektorates in der Ausübung ihres Dienstes behindert oder die Erfüllung ihrer Aufgaben vereitelt, wenn das Verhalten nicht nach einem anderen Gesetz einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geld bis zu 15.000 S zu bestrafen ist.
Das Beschwerdevorbringen läßt sich dahin zusammenfassen, daß wegen der Nichtvorlage der Verzeichnisse über die ausgegebenen Fahrtenbücher sowie der Fahrtenbücher bzw. Fahrtenbuchdurchschläge die Bestrafung nach der Strafnorm des § 18 ArbIG unrichtig sei. Die richtige Strafnorm sei vielmehr der § 28 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz. Das Arbeitszeitgesetz (AZG) enthalte umfangreiche Bestimmungen, welche und in welcher Form Arbeitsaufzeichnungen zu führen seien und auch Bestimmungen über die Aufbewahrung sowie die Vorlage und Einsichtgewährung in diese Arbeitszeitaufzeichnungen. So sei im § 17 Abs. 2 letzter Satz AZG normiert, daß die Fahrtenbücher sowie die Verzeichnisse über die ausgegebenen Fahrtenbücher den Kontrollorganen auf Verlangen auszuhändigen seien. § 5 der Fahrtenbuchverordnung bestimme, daß der Arbeitgeber den zuständigen Behörden oder deren Organen die aufzubewahrenden persönlichen Fahrtenbücher (persönlichen Wochenberichtsbücher), gegebenenfalls die Durchschriften der Wochenberichtsblätter sowie das Verzeichnis auf Verlangen zur Einsicht vorzulegen oder einzusenden habe. Nach § 28 Abs. 1 AZG sei ein Zuwiderhandeln gegen die Bestimmungen des AZG mit einer Geldstrafe von S 300 bis S 6.000 zu bestrafen. § 5 Abs. 2 ArbIG enthalte gegenüber den detaillierten und genauen Bestimmungen des AZG nur die generelle Bestimmung, daß den Arbeitsinspektionsorganen auf Verlangen alle Unterlagen zur Einsicht vorzulegen seien, die mit dem Arbeitnehmerschutz im Zusammenhang stehen. Dann folge eine demonstrative Aufzählung, welche Unterlagen als "mit dem Arbeitnehmerschutz im Zusammenhang stehend anzusehen seien". Bei dieser Aufzählung würden jedoch nur jene Unterlagen genannt, für die auf Grund anderer Bestimmungen keine Vorlagepflichten bestehen. Demgegenüber enthalte das AZG jedoch sehr genaue Bestimmungen darüber, welchen Behörden bzw. Behördenorganen die Arbeitszeitaufzeichnungen vorzulegen seien und stelle die Nichtvorlage auch unter Strafe. Die §§ 17 Abs. 2, 26 Abs. 2 AZG sowie § 5 Fahrtenbuchverordnung seien somit gegenüber § 5 Abs. 2 ArbIG die spezielleren Normen, weshalb die Nichtvorlage der Arbeitszeitaufzeichnungen auch ausschließlich nach dem AZG zu bestrafen sei. Daran ändere auch nichts, daß § 28 Abs. 1 AZG bestimme, daß die Übertretung des AZG nur dann nach diesem Gesetz zu bestrafen sei, wenn die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliege. Nachdem nämlich das AZG die speziellere Norm sei, treffe den Arbeitgeber hinsichtlich der Arbeitszeitaufzeichnungen die Vorlagepflicht nur nach dem AZG, sodaß eine Vorlagepflicht nach § 5 ArbIG gar nicht gegeben sei. Da jedoch nach dem ArbIG keine Vorlagepflicht hinsichtlich der Arbeitszeitaufzeichnungen bestehe, könne auch die Strafnorm des § 18 Abs. 1 ArbIG nicht zur Anwendung kommen. Ein Vergleich mit der Strafbestimmung des AZG, welche Strafnorm die strengere Strafe vorsehe, scheide somit aus.
Dem ist zu entgegnen, daß die in § 5 Abs. 2 ArbIG enthaltene Aufzählung, welche Unterlagen den Arbeitsinspektoren zur Einsicht vorzulegen sind, nicht in dem von der Beschwerdeführerin dargestellten, mit Ausschlußwirkung verbundenen Sinn zu verstehen ist. So sind zB. die im Zusammenhang mit der technischen Ausrüstung eines Betriebes zu führenden Vormerke und Aufzeichnungen (über die Abnahme- und Wiederholungsprüfungen) dem Arbeitsinspektor sowohl nach der Bestimmung des § 17 Abs. 2 ANSchG als auch nach § 5 Abs. 2 ArbIG vorzulegen. Damit ergibt sich auch kein Grund mehr für die Annahme, bei der Aufzählung des § 5 Abs. 2 ArbIG würden nur jene Unterlagen genannt, für die auf Grund anderer Bestimmungen keine Vorlagepflichten bestehen. Zu den sonstigen "aufgrund der Arbeitnehmerschutzvorschriften vom Arbeitnehmer zu führenden Vormerken, Verzeichnissen und Aufstellungen" gehören daher auch die in § 17 Abs. 1 AZG vorgesehenen Fahrtenbücher (vgl. hiezu Geppert, Arbeitsinspektion und Arbeitnehmerschutzrecht S 204 ff).
Bei der Argumentation der Beschwerdeführerin wird auch das normative Verhältnis der Strafbestimmung des § 28 AZG zu dem (mit strengerer Strafe bedrohten) Tatbestand des § 18 ArbIG verkannt, wie es sich unmißverständlich aus der im § 28 AZG enthaltenen Subsidiaritätsklausel ergibt. Richtig ist, daß im Verhältnis zwischen den beiden in Rede stehenden Straftatbeständen in Ansehung der hier inkriminierten Verhaltensweisen scheinbare Konkurrenz besteht; der hiefür maßgebende Rechtsgrund ist dabei nicht - wie die Beschwerdeführerin vermeint - jener der Spezialität, sondern ausschließlich jener der AUSDRÜCKLICHEN Subsidiarität: Der eine Deliktstypus läßt erkennen, daß er nur Anwendung finden soll, wenn nicht ein anderer Deliktstypus anwendbar ist, woraus umgekehrt folgt, daß ersterer stets zurückzutreten hat, wenn die Tat den letzteren verwirklicht. Das bedeutet: Im Verhältnis zu Delikten, die mit strengerer Strafe bedroht sind, ist § 28 AZG nicht lex specialis; die in Rede stehende Strafbestimmung normiert vielmehr zufolge der im § 28 AZG enthaltenen Subsidiaritätsklausel insoweit lediglich einen Auffangtatbestand für Verhaltensweisen, die nicht alle Merkmale des mit strengerer Strafe bedrohten Deliktstypus aufweisen.
§ 28 AZG hat demnach stets zurückzutreten, wenn die Tat wie hier alle Merkmale der strenger strafbedrohten Übertretung nach § 18 Abs. 1 (§ 5 Abs. 2) ArbIG erfüllt.
Da bereits der Inhalt der Beschwerden erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, waren die Beschwerden gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.