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VwGH vom 23.04.1990, 90/19/0067

VwGH vom 23.04.1990, 90/19/0067

Betreff

N gegen Landeshauptmann von Niederösterreich vom , Zl. VII/1-V-503/90/4-89, betreffend Übertretung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/08/0322, verwiesen, womit der Bescheid der belangten Behörde vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde, da sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, daß ein verantwortlicher Beauftragter bestellt worden und den eingeschrittenen Verwaltungsstrafbehörden ein entsprechender Zustimmungsnachweis aus der Zeit vor Begehung der gegenständlichen Verwaltungsübertretung vorgelegen sei, nicht auseinandergesetzt habe, wodurch sie ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen sei.

In der Folge erließ die belangte Behörde den jetzt angefochtenen Bescheid vom , mit welchem sie den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom unter Bezugnahme auf § 51 VStG 1950 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 AVG 1950 behob und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwies.

In der Begründung führte die belangte Behörde - soweit für die Anwendung der Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG 1950 von Belang - unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 2, 4 und 6 VStG 1950 aus, im gegenständlichen Fall liege eine aus der Zeit vor der Tat herrührende und im Laufe des Strafverfahrens vorgelegte Bestellungsurkunde vor, aus welcher zu entnehmen sei, der Filialleiter F. sei zum verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 VStG 1950 für die gegenständliche Filiale mit einem die Einhaltung der Dienstnehmerschutzbestimmungen umfassenden Verantwortungsbereich bestellt worden; er habe dieser Bestellung nachweislich zugestimmt. Weiters bestehe kein Zweifel, daß F. strafrechtlich verfolgt werden könne. Desgleichen liege kein Anhaltspunkt vor, daß der Beschwerdeführer die Tat vorsätzlich nicht verhindert habe, was sich im übrigen bereits als neuer Tatvorwurf manifestieren würde. Offen sei somit letztlich die Frage, ob F. als Filialleiter mit dem in der Bestellungsurkunde umrissenen Verantwortungsbereich eine tatsächliche Anordnungsbefugnis besessen habe, die strafbare Handlung zu verhindern. Bei Bejahung dieser Frage müßte der Beschwerdeführer als Täter ausgeschlossen und das Strafverfahren eingestellt werden. Diese Frage könne jedoch beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden, weil es a priori nicht evident sei, daß F. als Filialleiter die tatsächliche Anordnungsbefugnis besessen habe, anstelle des in der Geschäftsausstattung vorhandenen Schlüsselkästchens einen gesetzeskonformen Schließ-/Öffnungsmechanismus am Notausgang anzubringen oder den Notausgang (= Einstieg zu den Lagerräumen) während der Dienstzeit offenzuhalten. Der Sachverhalt sei somit letztendlich mangelhaft; eine Klärung durch eine mündliche Verhandlung erscheine unvermeidlich. Der erstinstanzliche Bescheid sei aus diesem Grund zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zu verweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer u.a. vorbringt, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG 1950 seien nicht gegeben gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 kann die Berufungsbehörde den bei ihr angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Nach § 66 Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 66 Abs. 2 AVG 1950 wiederholt ausgesprochen, daß nicht jeder Verfahrensmangel die Berufungsbehörde berechtigt, von dieser Bestimmung Gebrauch zu machen, vielmehr ist eine Aufhebung und Zurückverweisung an die Erstbehörde nur dann zulässig wenn sich der Mangel nicht anders als Durchführung einer mündlichen Verhandlung (in Rede und Gegenrede) beheben läßt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0121).

Im vorliegenden Fall hat es die belangte Behörde als zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wesentlich erachtet, daß die näher ausgeführte "tatsächliche Anordnungsbefugnis" des Filialleiters F. ermittelt wird und deshalb die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG 1950 als gegeben angesehen. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, hätte doch die von ihr vermißte Beweisaufnahme durch sie selbst oder die von ihr beauftragte Erstbehörde ohne mündliche Verhandlung erfolgen können. Weshalb diese Beweisaufnahme nur in Form von Rede und Gegenrede möglich sein sollte, ist nicht erkennbar. Die belangte Behörde hat daher rechtswidrig von der Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG 1950 Gebrauch gemacht. Soweit die belangte Behörde im übrigen in der Gegenschrift auf eine drohende Verjährung im Sinne des § 31 Abs. 3 VStG 1950 verweist, so ist - unabhängig von der Frage, ob die Verfolgung eines solchen Zweckes rechtmäßig wäre -, für den Gerichtshof nicht erkennbar, inwieweit mit dem angefochtenen Bescheid eine solche Verjährung verhindert werden könnte.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß in das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff leg. cit. in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.