VwGH vom 30.06.2005, 2002/20/0205
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des F (auch F) in B, geboren 1966, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner und Mag. Dr. Michael Mayer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Steyrergasse 103/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 224.303/0-VIII/22/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als mit ihm in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien für zulässig erklärt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Armeniens, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am beschrieb er als Fluchtgrund detailliert den Versuch von Verbrechern, ihn - als Leiter von Gefangenentransporten - dazu zu zwingen, an der Befreiung zweier Gefangener mitzuwirken. Würde der Beschwerdeführer nach Armenien zurückkehren, so würden ihn diese Leute, deren Ansinnen er sich widersetzt habe, finden und "sicher nicht leben lassen".
Das Bundesasylamt legte dieses Vorbringen - soweit erkennbar, nicht nur hypothetisch, sondern in der Annahme, es entspreche den Tatsachen - der Entscheidung zugrunde, wies in Spruchpunkt I des Bescheides vom den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte in Spruchpunkt II die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es begründete die Abweisung des Asylantrages u.a. mit dem Fehlen eines Zusammenhanges mit einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe und führte zur Versagung des Abschiebungsschutzes gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG u.a. aus:
"Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung
erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen,
durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der
relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat ... Wie sich aus
diesem Rechtssatz ergibt, muss die Bedrohung vom Staat ausgehen,
oder zumindest von diesem gebilligt werden ... Diese Voraussetzung
ist jedoch in Ihrem Fall nicht gegeben. Sie haben nämlich vorgebracht, Verfolgung lediglich von Seiten Dritter, nämlich von kriminellen Einzelpersonen, zu befürchten. Dabei handelt es sich um Bedrohungen von Privatpersonen. Da Sie auch nicht vorgebracht haben, dass der Staat diese Maßnahmen gebilligt hat, kann von einer Bedrohungssituation im Sinne des § 57 FrG nicht ausgegangen werden. Dabei muss noch erwähnt werden, dass auch nicht verlangt werden kann, dass ein Staat in jedem Fall in der Lage sein muss, alle möglichen Angriffe Dritter präventiv zu verhindern."
Mit dem angefochtenen, ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Auch die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde und ging in Bezug auf die Abweisung des Asylantrages - wie das Bundesasylamt - vom Fehlen eines Zusammenhanges mit einem Konventionsgrund aus. Im vorliegenden Fall handle es sich (nur) um "kriminelle Machenschaften".
Zu § 8 AsylG führte die belangte Behörde - nach einem Hinweis auf das Erfordernis eines Konventionsgrundes auch in Bezug auf § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 2 FrG - in rechtlicher Hinsicht aus:
"Über die grundsätzlichen Ausführungen zu Spruchteil II. in dem angefochtenen Bescheid hinaus, auf welche verwiesen wird, ist zu Spruchteil II. ergänzend Folgendes festzuhalten:
Hinsichtlich § 57 Abs. 1 FrG wird in , ausgeführt: 'Führt eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG 1992 umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt wird, so ist dies im Rahmen eines Antrages gemäß § 54 FrG 1992 beachtlich. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 MRK unzulässig erschiene.' (vgl. bereits ). Diese Sichtweise entspricht auch der Jud des EGMR (vgl. etwa EGMR H.L.R., ÖJZ 1998, 309; dazu auch Rohrböck, Asylgesetz Rz 328).
In Armenien herrscht derzeit - notorischerweise - weder eine Bürgerkriegssituation, noch auf Grund bewaffneter Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, keine (gemeint wohl: eine) Gefahr für Leib und Leben in hohem Maße drohe.
Es war daher auch die Entscheidung zu Spruchteil II. zu bestätigen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die übereinstimmende Beurteilung des Bundesasylamtes und der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers enthalte keine substantiellen Hinweise auf einen Zusammenhang der befürchteten Bedrohung mit einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe, trifft nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes - ungeachtet der Ausführungen in der Beschwerde über politische Hintergründe der Straftaten, an denen die beiden Gefangenen offenbar beteiligt gewesen sein sollen - im vorliegenden Fall zu.
In der Beurteilung der Voraussetzungen des § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG hat die belangte Behörde hingegen die Rechtslage verkannt. Sie hat im Ergebnis die Auffassung vertreten, nur die in dem von ihr (dem Wortlaut nach nicht in allen Einzelheiten richtig) zitierten Erkenntnis zum Fremdengesetz 1992 genannten Fälle des Bürgerkriegs oder einer "extremen Gefahrenlage" seien im hier gegebenen Zusammenhang den vom Bundesasylamt erwähnten Fällen einer "vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung" gleichgestellt. Fallbezogen würde dies bedeuten, die Abschiebung einer Person in einen Zielstaat, in dem sie - außerhalb eines Bürgerkrieges oder einer "praktisch jedem" drohenden extremen Gefahrenlage und ohne "Billigung" des Staates - mit hoher Wahrscheinlichkeit oder gar mit Gewissheit ermordet würde, sei rechtmäßig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG - an der sich die belangte Behörde allerdings nicht orientiert hat - ist dies nicht der Fall. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG kann dazu auf die zusammenfassenden (in die Zeit vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides zurückreichenden) Judikaturnachweise in den hg. Erkenntnissen vom , Zl. 99/20/0509 und Zl. 99/20/0571, sowie zuletzt etwa auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/20/0573, sowie vom , Zl. 2002/20/0335 und Zl. 2003/20/0474, verwiesen werden.
Die belangte Behörde hat dies verkannt und daher nicht konkret geprüft, ob der Beschwerdeführer - sofern seine Angaben, wie bislang angenommen, der Wahrheit entsprechen - in Armenien mit ausreichenden Chancen einer "präventiven Verhinderung" oder nur allenfalls mit der nachträglichen Ahndung seiner im Sinne eines "real risk" (vgl. zu diesem Maßstab etwa das Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0573) zu erwartenden Ermordung rechnen könnte. Auf Letzteres dürfte er, im Gegensatz zu der offenbar von der belangten Behörde übernommenen Betrachtungsweise des Bundesasylamtes, nicht verwiesen werden.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am