VwGH vom 20.11.1997, 96/15/0221
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Mizner, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der HF, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg (Berufungssenat I) vom , Zl. 121-GA3BK-DIn/92, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Umsatzsteuer 1983 und 1984 sowie die Einkommen- und Gewerbesteuer 1982 bis 1984, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des durch die Berufungsentscheidung vom abgeschlossenen Verfahrens betreffend die Umsatzsteuer 1983 und 1984 sowie die Einkommen- und Gewerbesteuer 1982 bis 1984 ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus: Die damaligen abgabenbehördlichen Prüfungsfeststellungen hätten ergeben, daß die Beschwerdeführerin mit einen Autohandels- und Kfz-Servicebetrieb von ihrem nunmehrigen Ehegatten übernommen habe und daß im Prüfungszeitraum in den Büchern nicht alle Geschäftsfälle erfaßt worden seien. Als Folge dieser Aufzeichnungsmängel seien Erlöszuschätzungen (zum Teil in Form einer Vermögensdeckungsrechnung) vorgenommen worden. Im Rahmen des Berufungsverfahrens vor der Abgabenbehörde zweiter Instanz seien der Beschwerdeführerin ihre niederschriftliche Aussage, niederschriftliche Aussagen verschiedener Personen (zum Teil von ihr namhaft gemachter Zeugen) vor der Bundespolizeidirektion Salzburg, das Protokoll über die öffentliche mündliche Verhandlung vom vor dem Bezirksgericht Salzburg sowie Schadensmeldungen, Rechnungen und Kfz-Kaufverträge zur Gegenäußerung vorgehalten worden. Zudem sei ihr mehrmals die Möglichkeit einer Akteneinsicht eingeräumt worden. Auch sei sie mehrmals aufgefordert worden, der Abgabenbehörde zweiter Instanz das Beweisthema für die von ihr beantragten Zeugenvernehmungen mitzuteilen. Dem sei die Beschwerdeführerin nicht nachgekommen.
Die gegen den Bescheid der Berufungsbehörde erhobene Beschwerde sei mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes zurückgewiesen worden.
In der Folge sei ein Finanzstrafverfahren gegen den nunmehrigen Ehegatten der Beschwerdeführerin eingeleitet worden; in diesem sei er von der Finanzstrafbehörde erster Instanz für schuldig erkannt worden, das Finanzvergehen einer Abgabenhinterziehung begangen zu haben. Im Rechtsmittelverfahren sei die Finanzstrafbehörde zweiter Instanz zur Ansicht gelangt, daß im diesbezüglichen Finanzstrafverfahren noch ergänzende Ermittlungen vorzunehmen seien, und habe das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben. Im nachfolgenden ergänzenden Finanzstrafverfahren seien die vom Beschuldigten namhaft gemachten Zeugen vernommen und es sei daraufhin das Finanzstrafverfahren eingestellt worden.
Nach Wiedergabe des Inhaltes des Wiederaufnahmeantrages und des § 303 Abs. 1 BAO führte die belangte Behörde weiters aus, bei der beantragten Wiederaufnahme des Verfahrens stellten Tatsachen und Beweismittel nur dann Wiederaufnahmegründe dar, wenn sie im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten. Maßgebend sei das Verschulden im Sinne des bürgerlichen Rechts; der Grad des Verschuldens der Partei sei hiebei nicht bedeutsam. Der Beschwerdeführerin sei im gegenständlichen Fall das Kontrollmaterial zum Zweck der Gegenäußerung vorgehalten worden. Zudem sei sie aufgefordert worden, der Abgabenbehörde zweiter Instanz das jeweilige Beweisthema zu den von ihr beantragten Zeugeneinvernahmen bekanntzugeben. Dabei sei der Beschwerdeführerin mehrmals die Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Akteneinsicht eingeräumt worden. Diese Möglichkeit habe die Beschwerdeführerin nicht genützt. Die Aussagen der von der Beschwerdeführerin beantragten Zeugen seien der Abgabenbehörde zweiter Instanz bekannt gewesen, jedoch im Rahmen des Beweisverfahrens anders gewürdigt worden. Eine solche Beweiswürdigung könne nur durch Beschwerde bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts bekämpft werden, nicht jedoch durch einen Wiederaufnahmeantrag. Wenn nun die Aussagen der genannten Personen im Finanzstrafverfahren eine Änderung erfahren hätten, seien dies Tatsachen und Beweismittel, welche neu nach Erlassung der Berufungsentscheidung entstanden seien und somit keine Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 303 BAO. Die in der Berufung angeführten Tatsachen und Beweismittel seien naturgemäß der Beschwerdeführerin vor der Erlassung des Abgabenbescheides zweiter Instanz bekannt gewesen und stellten keine neuen Tatsachen dar. Die angebotenen neuen Zeugen hätten von der Beschwerdeführerin schon im abgeschlossenen Verfahren namhaft gemacht werden können. Die erstmalige Nennung einer Person als Zeuge stelle nur dann einen Wiederaufnahmegrund dar, wenn ihre Einvernahme nicht bereits im abgeschlossenen Verfahren hätte beantragt werden können. Die Beschwerdeführerin hätte daher entweder die Person des Zeugen oder den Umstand, daß der Zeuge zweckdienliche Aussagen hätte machen können, erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides erfahren müssen. Beides sei im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Beweismittel, welche der Abgabenbehörde im abgeschlossenen Verfahren bekannt gewesen, aber im Rahmen der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden seien, stellten keine neuen Tatsachen und Beweismittel und damit keinen Wiederaufnahmegrund dar. Sei das Beweisthema trotz Aufforderung der Abgabenbehörde von der Abgabepflichtigen nicht bekanntgegeben worden, könne in der Ablehnung von vorhandenen Beweismitteln mangels eines dargelegten Beweisthemas kein Wiederaufnahmegrund erblickt werden.
Auch die Voraussetzung des § 303 Abs. 1 lit. c BAO sei nicht gegeben. Bei einer Vorfrage handle es sich um eine Frage, für die die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig sei, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bilde und daher von ihr bei ihrer Entscheidung berücksichtigt werden müsse. Bei der Vorfrage müsse es sich demnach um eine Frage handeln, die Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde (Gericht) sei. Im gegenständlichen Fall sei von der Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht eine Rechtsfrage als Vorfrage gelöst, sondern eine Beweiswürdigung vorgenommen worden. Ebenso habe die Finanzstrafbehörde von sich aus den Sachverhalt festzustellen. So wie die Finanzstrafbehörde nicht an den von der Abgabenbehörde zweiter Instanz festgestellten Sachverhalt gebunden sei und eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen habe, so sei umgekehrt auch die Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht an die Feststellungen der Finanzstrafbehörde gebunden. Das (auf Einstellung lautende) Erkenntnis der Finanzstrafbehörde sei aber auch keine neue Tatsache oder kein neues Beweismittel im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO. Abgesehen davon, daß das Erkenntnis "nicht neu hervorgekommen ist, sondern neu entstanden ist," sind Tatsachen im Sinn der zuletzt zitierten Gesetzesstelle ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei entsprechender Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Das angeführte Erkenntnis stelle selbst keine Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar. Auch die angeführten Zeugenaussagen vermögen daran nichs zu ändern, weil diese damals schon bekannten Vorgänge in der Berufungsentscheidung bereits entsprechend gewürdigt worden seien. Die Beschwerdeführerin bekämpfe in Wahrheit die Beweiswürdigung bzw. die rechtliche Würdigung, ob eine Schätzungsberechtigung gegeben sei. Mittels eines Wiederaufnahmeantrages könne eine andere Beweiswürdigung nicht erzwungen werden. Die Bekämpfung der rechtlichen Würdigung der Berufungsentscheidung vom sei nur bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts möglich, nicht jedoch mit einem Wiederaufnahmeantrag.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - unter Abstandnahme von der begehrten Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG - erwogen:
Das Beschwerdevorbringen zielt darauf ab, daß das abgeschlossene Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO wieder aufzunehmen gewesen wäre.
Gemäß dieser Bestimmung ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Ein Wiederaufnahmeantrag nach der genannten Bestimmung kann nur auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber erst nachträglich möglich wurde. Es müssen also neu hervorgekommene Tatsachen bzw. neu hervorgekommene Beweismittel vorliegen, von denen aber nur dann die Rede sein kann, wenn die Tatsachen oder Beweismittel zur Zeit des nunmehr abgeschlossenen Verfahrens bereits existent waren, aber im Verfahren nicht berücksichtigt worden sind. Die nach der Bescheiderlassung neu entstandenen Tatsachen oder später zustandegekommenen Beweismittel bilden als solche hingegen keine taugliche Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens (Stoll, BAO-Kommentar, 2919 f).
Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Ablehnung der Wiederaufnahme durch die belangte Behörde als rechtswidrig zu beurteilen.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe mehrmals die Ausfolgung der Akten in Kopie beantragt und habe die Termine für eine Akteneinsicht aus verschiedenen Gründen vorerst nicht einhalten können. Als sie dann zu einem weiteren Zeitpunkt bei der Behörde eingetroffen sei, habe sie keine Akteneinsicht nehmen können, weil im angegebenen Zimmer niemand anwesend gewesen sei. Unmittelbar darauf sei über ihre Berufung im Abgabenverfahren abweisend entschieden worden. Sie habe also keine Gelegenheit gehabt, den für ihre Rechtfertigung benötigten Akteninhalt zur Kenntnis zu nehmen. Welche Tatsachen oder Beweismittel wegen der nach Angaben der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesenen Akteneinsicht ohne ihr Verschulden konkret neu hervorgekommen wären, legt auch die Beschwerde nicht dar. Dies gilt auch für das weitere Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführerin sei - was die Bekanntgabe des jeweiligen Beweisthemas zu den von ihr geforderten Zeugenvernehmungen betrifft - die Möglichkeit genommen worden, sich am Verfahren zu beteiligen, um sich insbesondere vom aktuellen Verfahrensstand Kenntnis zu verschaffen, sodaß sie auch in ihrem Anspruch auf "richterliches Gehör" verletzt worden sei. Überdies wird hier ebenso wie beim Hinweis auf eine Verletzung der Anleitungspflicht durch die belangte Behörde in untauglicher Weise ein behaupteter Verfahrensmangel zur Begründung eines Wiederaufnahmeantrages herangezogen.
Das Hauptargument der Beschwerde besteht darin, daß das nachfolgende Finanzstrafverfahren gegen den nunmehrigen Ehegatten der Beschwerdeführerin eingestellt wurde. Demgemäß bringt die Beschwerdeführerin vor, daß durch die Vernehmung der von ihr bereits im Abgabenverfahren beantragten Zeugen Beweisergebnisse hervorgetreten seien, die zur Einstellung des Finanzstrafverfahrens geführt hätten. Erst dadurch habe die Beschwerdeführerin Kenntnis "von deren Aussagen samt Beweiskraft" erhalten. Nachdem das Abgabenverfahren bereits vor Einstellung des Finanzstrafverfahrens rechtskräftig beendet gewesen sei, habe sie die zweckdienlichen Aussagen dieser Zeugen im Abgabenverfahren nicht mehr geltend machen können. Es seien daher im Finanzstrafverfahren Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen, die im abgeschlossenen Abgabenverfahren nicht mehr geltend gemacht hätten werden können. Diese Tatsachen und Beweismittel seien während des wiederaufzunehmenden Abgabenverfahrens vorhanden gewesen.
Die Beschwerdeführerin zeigt jedoch nicht auf, welche Tatsachen durch das Beweisverfahren in Finanzstrafverfahren neu hervorgekommen seien. Indem sie darauf hinweist, daß sie die Zeugen bereits im Abgabenverfahren beantragt hätte, gesteht die Beschwerdeführerin zu, daß es sich bei diesen Zeugenvernehmungen um keine neu hervorgekommenen Beweismittel im Sinn des genannten Wiederaufnahmetatbestandes handelt. Einen Wiederaufnahmegrund sieht die Beschwerdeführerin offensichtlich darin, daß im nachfolgenden Finanzstrafverfahren die Beweiswürdigung zu einem für ihren Standpunkt günstigeren Ergebnis geführt habe. Dem ist zu entgegnen, daß das Hervorkommen von Gründen, die in bezug auf den vorgelegenen Sachverhalt eine abweichende Beweiswürdigung, auch eine andersartige Beweiswürdigung als die, die im abgeschlossenen Verfahren vorgenommen und dem rechtskräftigen Bescheid zugrundegelegt wurde, zur Folge haben können, bei gleicher Tatsachenlage noch keine neu hervorgekommene Tatsache ist und daher keinen Wiederaufnahmegrund bildet (Stoll, aaO, 2920, unter Hinweis auf die hg. Rechtsprechung). Selbst wenn aufgrund eines Urteiles eines Gerichtes oder aufgrund eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde eine andere als die bisher vorgenommene Tatsachenwürdigung eines gegebenen Sachverhaltes oder dessen rechtliche Beurteilung nachträglich unter Umständen zutreffender erscheint als die Würdigung, die im abgeschlossenen Verfahren vorgenommen wurde, liegt keine "neu hervorgekommene Tatsache" - und auch kein neu hervorgekommenes Beweismittel - im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO vor (Stoll, aaO).
Da sich die Beschwerde letztlich in der Behauptung von Verfahrensmängeln im abgeschlossenen Verfahren und einer dort unzutreffend vorgenommenen Beweiswürdigung erschöpft, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.