VwGH vom 04.10.1991, 90/18/0230
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, DDr. Jakusch und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Dr. NN in W, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom , Zl. Vs 1968/90, betreffend Umbestellung eines Verteidigers, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der belangten Behörde wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom bestellte die Abteilung III des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien anstelle von Rechtsanwalt Dr. W den Rechtsanwalt Dr. G zum Verteidiger des Beschwerdeführers in einem anhängigen Strafverfahren.
Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung wurde vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben.
Dagegen richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltendmachende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, sich selbst vor Gericht vertreten zu können, verletzt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erblickt die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, daß ihm durch die Beigebung eines Rechtsanwaltes das nach Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf "Selbstverteidigung" vor Gericht genommen worden sei; weiters sei die belangte Behörde auf seine Argumentation nicht eingegangen, "daß zwischen Verteidiger und Angeklagtem ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen müsse, welches nur dann verläßlich beurteilt werden könnte, wenn Letzterem zuvor der Name des in Aussicht genommenen Pflichtverteidigers bekanntgegeben wird"; auch habe sich die belangte Behörde nicht mit seiner Berufungsausführung auseinandergesetzt, wonach zwischen ihm "und der Wiener Rechtsanwaltschaft im allgemeinen" kein Vertrauensverhältnis bestehe und "ein Klima der Voreingenommenheit und Befangenheit herrsche, welches eine interessenwahrende Vertretung durch ein Mitglied der Wiener Rechtsanwaltskammer in der Regel ausschließe".
Zur geltend gemachten inhaltlichen Rechtswidrigkeit führt der Beschwerdeführer aus, daß nicht nur die Beigebung, sondern auch die Bestellung eines Rechtsanwaltes durch das Gericht erfolgen müsse; da der Rechtsanwaltskammer Tribunal-Eigenschaft im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK nicht zukomme, seien die die Bestellung eines Rechtsanwaltes regelnden Bestimmungen der §§ 28 Abs. 1 lit. i, 45 Abs. 1 und 46 Abs. 1 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) verfassungswidrig; der Beschwerdeführer beantragte daher die Anfechtung dieser Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof.
§ 41 Abs. 2 StPO regelt, unter welchen Voraussetzungen Beschuldigten (Angeklagten) über ihren Antrag vom Gericht ein Verteidiger unentgeltlich beizugeben ist. Nach Abs. 3 leg. cit. ist Angeklagten insbesondere für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornen - oder dem Schöffengericht - von Amts wegen ein Verteidiger auf seine Kosten beizugeben, es sei denn, daß die Voraussetzungen nach Abs. 2 vorliegen.
Hat das Gericht die Beigebung eines Verteidigers beschlossen, so ist der Ausschuß der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit er einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestelle (§ 42 StPO).
§ 45 Abs. 1 RAO legt fest, daß eine Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwaltes durch die Rechtsanwaltskammer besitzt, wenn das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwaltes beschlossen hat. Nach § 28 Abs. 1 lit. i leg. cit. ist für die Bestellung nach § 45 RAO der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer zuständig. Nach § 46 Abs. 1 leg. cit. haben die Ausschüsse der Rechtsanwaltskammern bei der Bestellung nach festen Regeln vorzugehen; diese haben eine möglichst gleichmäßige Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte unter besonderer Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu gewährleisten. Diese Regeln sind in den Geschäftsordnungen der Ausschüsse festzulegen.
Von dieser Rechtslage ausgehend ist zu den einzelnen Beschwerdeausführungen festzuhalten:
Soweit die Beschwerde eine Verletzung des gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK gewährleisteten Rechts auf Selbstverteidigung geltend macht sowie die Verfassungswidrigkeit der §§ 28 Abs. 1 lit. i und 45 RAO behauptet, ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 10326, hinzuweisen; derselbe Beschwerdeführer bekämpfte damals - ebenfalls unter Berufung auf Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK - § 41 Abs. 3 StPO sowie die §§ 28 Abs. 1 lit. i und 45 RAO als verfassungswidrig: In diesem Erkenntnis sprach der Verfassungsgerichtshof wie folgt ab:
"3.2.2. Gemäß der Verfassungsbestimmung des Art. 6 Abs. 3 MRK hat der Angeklagte mindestens (englischer Text) insbesondere (französischer Text) die in den lit. a bis e festgelegten Rechte, nach lit. c das Recht, "sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist".
3.3.1. Von dieser Rechtslage ausgehend ist den Beschwerdeausführungen zunächst entgegenzuhalten, daß der angefochtene Bescheid wohl auf einem Gerichtsbeschluß beruht, mit welchem dem Beschwerdeführer für ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren unter Anwendung des § 41 Abs. 2 StPO ein Verteidiger beigegeben wurde, daß diese Bestimmung von der belantgen Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht angewendet wurde.
Die Entscheidung, OB einem Angeklagten ein Rechtsanwalt als Verteidiger beizugeben ist, obliegt nämlich nach § 41 Abs. 2 StPO ausschließlich dem Gericht, während der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer gemäß § 28 Abs. 1 lit. i in Verbindung mit § 45 RAO zu bestimmen hat, WER aus dem Kreise der Rechtsanwälte als Verteidiger bestellt wird. Der belangten Behörde kam auch nicht zu, aus Anlaß der Erlassung des bekämpften Bescheides zu prüfen, ob § 41 Abs. 3 StPO vom Gericht anzuwenden war, ein Vorgehen, das auf eine - nach Art. 94 B-VG unzulässige - Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch die Verwaltungsbehörde hinausgelaufen wäre. § 41 Abs. 3 StPO ist auch vom Verfassungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides nicht anzuwenden, er ist für das Beschwerderverfahren somit nicht präjudiziell. Damit konnte sich dem Verfassungsgerichtshof aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens auch gar nicht die Frage stellen, ob gegen § 41 Abs. 3 StPO verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
Auch der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, durch den Vollzug in den aus Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK erfließenden subjektiven Recht verletzt zu sein, richtet sich insofern nicht gegen den angefochtenen Bescheid, sondern gegen den Beschluß des Gerichtes, der dem Beschwerdeführer einen Verteidiger für das Strafverfahren beigegeben hat, sodaß auf dieses Vorbringen vom Verfassungsgerichtshof nicht einzugehen war.
3.3.2. Zu § 45 RAO, dessen Abs. 1 die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides idF BGBl. Nr. 383/1983 angewendet hat, genügt es, auf VfSlg. 9535/1982 zu verweisen, in welchem Erkenntnis zum - wortgleichen - § 45 Abs. 1 RAO idF BGBl. Nr. 570/1973 dargelegt wurde, daß diese Bestimmung zu Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK nicht in Widerspruch steht... Die in VfSlg. 9535/1982 dargelegten Erwägungen treffen auch auf § 45 Abs. 1 RAO idgF zu.
Der Verfassungsgerichtshof sieht sich durch die Beschwerdeausführungen somit zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 45 Abs. 1 RAO idgF. nicht veranlaßt.
3.3.3. Warum § 28 Abs. 1 lit. i RAO - eine ausschließliche Zuständigkeitsnorm - wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK verfassungsrechtlich bedenklich sein sollte, ist auch nach den Beschwerdeausführungen unerfindlich... Die Beschwerde war daher abzuweisen."
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Er vermag daher der Beschwerdeausführung nicht zu folgen, wonach § 45 RAO zu Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK im Widerspruch stehen sollte. Aus den bereits vom Verfassungsgerichtshof angeführten Gründen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu einer Antragsstellung beim Verfassungsgerichtshof nicht veranlaßt.
Soweit die Beschwerde aus Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK ein "Selbstverteidigungsrecht" ableitet, richtet sie sich - wie der Verfassungsgerichtshof dargelegt hat - inhaltlich gegen den Beschluß eines Gerichtes. Die Überprüfung derartiger gerichtlicher Rechtsakte fällt jedoch nicht in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes. Es erübrigt sich daher ein diesbezügliches weiteres Eingehen auf die Beschwerdeausführungen.
Ergänzend ist festzuhalten, daß es dem Beschwerdeführer unbenommen bleibt, in der Hauptverhandlung alles, was zu seiner Verteidigung dienlich ist, vorzubringen. Er wird daher in seinem "Selbstverteidigungsrecht" durch die Beigebung eines Amtsverteidigers nicht beschränkt.
Desgleichen gehen die Beschwerdeausführungen ins Leere, wonach die §§ 28 Abs. 1 lit. i, 45 Abs. 1 und 46 Abs. 1 RAO, die die Bestellung eines Rechtsanwaltes regeln, verfassungswidrig seien, da nach Art. 6 Abs. 1 MRK die "Beigabe" eines Rechtsanwaltes ein Akt der Gerichtsbarkeit sei, der Rechtsanwaltskammer Tribunal-Eigenschaft jedoch nicht zukomme. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom , VfSlg. 9535 ausgeführt (und in seinem in der tragenden Begründung oben wiedergegebenen Erkenntnis vom , VfSlg. 10326 nochmals bekräftigt).
"Daß der Begriff 'Bestellung', der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Gegensatz zum Begriff 'Beistand' gebraucht wurde, in § 45 Abs. 1 RAO anders zu verstehen ist, nämlich in einem die Verpflichtung zur Beigebung eines Rechtsanwaltes vollziehenden Sinn, womit an die Rechtsanwaltskammer das Gebot gerichtet ist, alle Verwaltungsakte zu setzen, die dafür erforderlich sind, daß eine diesem Verfassungsgebot entsprechende Pflichtverteidigung sichergestellt ist. Die verfassungskonforme Auslegung gebietet folglich unter 'Bestellung' nicht nur die einmalige Bestellung eines Pflichtverteidigers, sondern auch die Vornahme einer - zB. bei einer im Kollisionsfall unzulässig werdenden Vertretung - erforderlichen Enthebung und Neubestellung (künftig: Umbestellung) eines Verfahrenshelfers zu verstehen. Daß der Begriff 'Bestellung' in § 45 Abs. 1 RAO in diesem Sinne vom Gesetzgeber auch tatsächlich gebraucht wurde, geht überdies aus den bereits zitierten Materialien (847 BlgNR XIII GP) deutlich hervor."
Diesen Erwägungen schließt sich der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls an. Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch die vom Beschwerdeführer gegen § 46 Abs. 1 RAO unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Determiniertheit geäußerten Bedenken nicht zu teilen. Den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen konnte daher kein Erfolg beschieden sein.
Zur Beschwerdeausführung, "daß zwischen Verteidiger und Angeklagtem ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen müsse, welches nur dann verläßlich beurteilt werden kann, wenn Letzterem zuvor der Name des in Aussicht genommenen Pflichtverteidigers bekanntgegeben wird", ist festzuhalten, daß eine derartige vorherige Nominierungsverpflichtung im Gesetz keine Deckung findet. Es besteht daher auch kein Rechtsanspruch auf vorherige Bekanntgabe des in Aussicht genommenen Vertreters. Hingegen sieht die Rechtsordnung insofern ein Korrektiv vor, als § 45 Abs. 4 RAO nicht nur eine Antragslegitimation des bestellten Rechtsanwaltes, sondern auch der Partei zur Enthebung vorsieht. Auch dieser Verfahrensrüge muß daher ein Erfolg versagt bleiben.
Soweit die Beschwerde ausführt, "daß zwischen dem Beschwerdeführer einerseits und der Wiener Rechtsanwaltschaft im allgemeinen andererseits kein Vertrauensverhältnis bestehe, weil wegen der im Strafverfahren AZ 10 Vr 949/82 des Kreisgerichtes Korneuburg erfolgten Verurteilung wegen angenommener vorsätzlicher Tötung des gewesenen Rechtsanwaltes Dr. XY ein Klima der Voreingenommenheit und Befangenheit herrsche, welches eine interessenwahrende Vertretung durch ein Mitglied der Wiener Rechtsanwaltskammer in der Regel ausschließe", ist darauf hinzuweisen, daß eine derartige pauschale Ablehnung ohne Angabe detaillierter und konkreter Ablehnungsgründe nicht geeignet ist, den angefochtenen Bescheid als rechtswidrig erscheinen zu lassen (vgl. OGH in Evidenzblatt 1989/18).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte von der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, da die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz einschließlich der Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.