VwGH vom 15.11.2000, 99/01/0427
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des H B in M, vertreten durch Dr. Michael Kinberger und Dr. Alexander Schuberth, Rechtsanwälte in 5700 Zell am See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. UVS-1999/11/115-7, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Postaufgabe erhob der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (der belangten Behörde) nachstehende, auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG iVm § 67a Abs. 1 Z. 2 und §§ 67c ff. AVG gestützte "Maßnahmebeschwerde":
Er sei am gegen 7.00 Uhr mit einem näher bezeichneten PKW von Innsbruck Stadt in Richtung Inntalautobahn und in der Folge auf der Inntalautobahn unterwegs gewesen. Laut Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Tirol, Verkehrsabteilung, hätte er beim Linksabbiegen an einer näher beschriebenen Kreuzung ein gefährliches Fahrmanöver gesetzt, während der fortgesetzten Fahrt diverse Übertretungen der StVO (insbesondere Geschwindigkeitsüberschreitungen) begangen und schließlich den von ihm gelenkten PKW auf einem Parkplatz abgestellt. Dies wäre gemäß der erwähnten Anzeige von einem namentlich genannten Polizeibeamten wahrgenommen worden, der sich nach Beendigung seines Dienstes auf der Heimfahrt befunden hätte; jener Polizeibeamte hätte sich nach dem Linksabbiegemanöver des Beschwerdeführers in Dienst gestellt, die Polizei mit dem Handy verständigt und wäre zur Absicherung der laufenden Standortfeststellung für die verständigte Funkstreife dem Beschwerdeführer nachgefahren. Auf dem Parkplatz hätte er das zur Nachfahrt verwendete Fahrzeug in größerem Abstand hinter dem Fahrzeug des Beschwerdeführers abgestellt und das Einschreiten des zuständigen Gendarmeriepostens veranlasst.
Die geschilderte Verhaltensweise des Polizeibeamten stelle eine faktische Amtshandlung dar. Soweit ein "in den Dienst stellen" nach den Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes überhaupt möglich sei, gehe es jedenfalls nicht an, dass der Polizeibeamte die zur notwendigen Gefahrenabwehr erforderlichen Schritte, nämlich eine unverzügliche Anhaltung des Beschwerdeführers (etwa bei einer in der Anzeige genannten "Rotlichtphase"), nicht sofort gesetzt habe, um diesen vor eigenen Verletzungen und um vorbeugend Rechtsgüter anderer Personen zu schützen. Ein Aufschub des Einschreitens im Sinn des § 23 SPG sei nur in bestimmten Ausnahmefällen zulässig, ansonsten sei bei Gefahr in Verzug unverzüglich einzuschreiten. Dies habe der betreffende Polizeibeamte unterlassen, dem es offensichtlich einzig darum gegangen sei, im Zuge einer längeren Nachfahrt eine Reihe von strafbaren Einzelhandlungen "zu sammeln". Er hätte unverzüglich spätestens bei der "Rotlichtphase" einschreiten müssen. Indem der Beamte eine rechtzeitige Sofortmaßnahme (sofortiges Einschreiten) unterlassen habe, liege ein Fall qualifizierter Untätigkeit eines "Exekutivvorganges" vor. Es werde daher der Antrag gestellt, festzustellen, "dass durch die ... gesetzte Maßnahme, nämlich am gegen 7:00 Uhr Morgens nach Erkennen verkehrsgefährdenden Verhaltens und des sich in Dienstsetzens nicht unverzüglich jene zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen, (beispielsweise: Anhalten des Fahrzeuges ... und dadurch veranlasste Unterbindung der Weiterfahrt) den Einschreiter in seinem einfachen gesetzlich gewährleisteten Recht auf unverzügliche Gefahrenabwehr im Sinne der §§ 21, 23 SPG verletzt wurde".
Ergänzend brachte der Beschwerdeführer vor, dass er "von diesen Vorgängen" durch Zustellung bei seinem ehemaligen Rechtsvertreter am 16. Juni "1998" (richtig: 1999) Kenntnis erhalten habe.
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde die dargestellte Beschwerde "gemäß § 67c Abs. 4 AVG" zurück. Als "Beschwerdezeitpunkt im Sinne des § 67c Abs. 1 AVG" sei unzweifelhaft vom auszugehen. Die für die Erhebung einer Beschwerde nach § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG offen stehende sechswöchige Frist sei daher am abgelaufen; spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre die Beschwerde einzubringen gewesen. Tatsächlich sei sie erst am eingebracht worden, sodass die verspätete Beschwerde gemäß § 67c Abs. 4 AVG habe zurückgewiesen werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte den bei ihr geführten Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 67c Abs. 1 AVG sind Beschwerden nach § 67a Abs. 1 Z. 2 innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat, sofern er aber durch sie behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, ab dem Wegfall dieser Behinderung, bei dem unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde.
Die belangte Behörde hat die eben erwähnte Bestimmung richtig wiedergegeben. Sie hat auch zutreffend erkannt, dass der Beschwerdeführer als (behauptete) Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpfte, dass nicht unverzüglich die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen, wie etwa das Anhalten seines Fahrzeuges, gesetzt worden seien. Sie hat weiters ausgeführt, dass dem von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck geführten Verwaltungsstrafakt zu entnehmen sei, dass die Aufforderung zur Rechtfertigung betreffend die ihm vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen am versendet und gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Dr. F. und Dr. L. vom dem Beschwerdeführer am zugestellt worden sei. Dennoch ging sie ohne weitere Erwägungen und ungeachtet des in der Beschwerde enthaltenen Vorbringens (vgl. § 67c Abs. 2 Z. 6 AVG), dass der Beschwerdeführer von den in Beschwerde gezogenen Vorgängen (erst) am 16. Juni "1998" (gemeint: 1999) Kenntnis erhalten habe, davon aus, dass - im Folgenden der angefochtene Bescheid wörtlich - "als Beschwerdezeitpunkt im Sinne des § 67c Abs. 1 AVG" der anzusehen sei. Das ist zwar der Tag, an dem die behauptete "Maßnahme" gesetzt worden ist, doch damit keineswegs automatisch auch jener, an dem der Beschwerdeführer von dieser "Maßnahme" (d.i. die Untätigkeit des nachfahrenden Polizeibeamten) Kenntnis erlangte. Schon das eingangs dargestellte Beschwerdevorbringen, in dem nicht davon die Rede war, dass der "unterlassende", die Nachfahrt durchführende Polizeibeamte dem Beschwerdeführer gegenüber überhaupt in Erscheinung getreten ist, legte vielmehr einen späteren Zeitpunkt der maßgeblichen Kenntnisnahme nahe. Jedenfalls hätte die belangte Behörde vor einer Zurückweisung der bei ihr erhobenen Beschwerde als verspätet nähere Feststellungen in diese Richtung treffen müssen. Sollte sie dagegen ohnehin der Auffassung gewesen sein, dass dem Beschwerdeführer der seiner Beschwerde zugrunde liegende Sachverhalt erst am bekannt geworden sei - in diese Richtung könnten allenfalls ihre Ausführungen über die Zustellung der am versendeten Aufforderung zur Rechtfertigung an den Beschwerdeführer gedeutet werden; andernfalls bliebe die Darstellung dieses Gesichtspunktes völlig unklar -, so käme eine Zurückweisung der Beschwerde vom wegen Verspätung, die im Übrigen richtig auf § 67c Abs. 3 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 zu stützen gewesen wäre, keinesfalls in Betracht.
Die nach dem Gesagten verfehlte Zurückweisung der Beschwerde als verspätet verletzte den Beschwerdeführer indes nicht in seinen subjektiven Rechten. Einerseits kann nämlich eine behördliche Untätigkeit, wie sie im gegenständlichen Fall in Beschwerde gezogen wurde, nicht als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt verstanden werden: Ein derartiger Akt liegt nicht vor, wenn die Behörde bloß untätig blieb, weil sie nicht von ihrer Befehls- und Zwangsgewalt Gebrauch gemacht hat; das Unterlassen einer Amtshandlung für sich allein ist noch nicht als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 67a AVG sub. E 81. ff. wiedergegebene hg. Judikatur). Andererseits kann die in Frage stehende Untätigkeit - entgegen der offenkundigen Ansicht des Beschwerdeführers, der sich auf die §§ 21 und 23 SPG gestützt hat -
nicht der Sicherheitspolizei zugeordnet werden; diese umfasst nämlich nur die Abwehr allgemeiner, nicht bereichsspezifischer Gefahren (Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht, Rz 76), während es im gegenständlichen Fall um Agenden im Rahmen der Straßenpolizei geht. Davon ausgehend liegt keine "Besorgung der Sicherheitsverwaltung" (vgl. deren Umschreibung in § 2 Abs. 2 SPG) vor, weshalb die Beschwerde schon deshalb auch nicht auf § 88 Abs. 2 SPG - unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob im Rahmen der genannten Bestimmung auch Unterlassungen angefochten werden können (vgl. dazu Wiederin, aaO., Rz 734, und Hauer/Keplinger, Handbuch zum Sicherheitspolizeigesetz, Anm. 14 zu § 88 SPG) - gestützt werden konnte.
Im Ergebnis wäre die bei der belangten Behörde erhobene Beschwerde daher mangels eines im vorliegenden Zusammenhang anfechtbaren Verwaltungsaktes unabhängig von der Frage ihrer Rechtzeitigkeit zurückzuweisen gewesen. Dass die Zurückweisung der Beschwerde - nach dem oben Gesagten zu Unrecht - auf die Nichteinhaltung der Beschwerdefrist gestützt wurde, vermochte den Beschwerdeführer nicht in Rechten zu verletzen, weil beide Zurückweisungsgründe (anders als etwa in dem dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/01/0001, zugrunde liegenden Fall) letztlich idente Rechtsfolgen nach sich ziehen. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am