VwGH vom 24.02.2000, 96/15/0187
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des WR in K, vertreten durch Dr. Gernot Hain und Dr. Joachim Wagner, Rechtsanwälte in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 14, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 8-2298/95, betreffend Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer machte in seiner Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 1994 außergewöhnliche Belastungen für die auswärtige Berufsausbildung seiner Tochter Manuela an der PÄDAK in Baden und seiner Tochter Renate an der Universität Wien in Form des Pauschbetrages gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 geltend.
Das Finanzamt anerkannte die Berufsausbildung der Kinder des Beschwerdeführers nicht als außergewöhnliche Belastung, weil ihr Ausbildungsort im Einzugsbereich des Wohnortes liege.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er aus, Unterrichtsbeginn an der PÄDAK (Manuela) sei im vierten Semester um
10.20 Uhr, im fünften Semester um 09.15 Uhr und Unterrichtsende in jedem Semester um 16.05 Uhr gewesen.
Seine Tochter Renate habe das Studium an der Universität Wien ernsthaft betrieben. Die letzte Vorlesung habe um 20.30 Uhr geendet. Ab 21.30 Uhr führe von Wiener Neustadt kein öffentliches Verkehrsmittel zum Wohnort.
Das Finanzamt führte in seiner abweisenden Berufungsvorentscheidung aus, bei Schülern, die eine mehr als 25 Kilometer vom Wohnort entfernte Schule besuchten, stelle der Besuch dieser Schule nur dann eine außergewöhnliche Belastung dar, wenn die Unterbringung in einem Internat erfolge.
In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gab der Beschwerdeführer den Tagesablauf seiner Töchter detailliert bekannt. Er führte aus, dass die Wohnung an der Peripherie von Katzelsdorf gelegen sei und daher mit öffentlichen Verkehrsmitteln ungünstig bzw. schwer zu erreichen sei. Bei Unterrichtsbeginn um 10.20 Uhr an der PÄDAK in Baden ergebe sich für seine Tochter Manuela folgende Situation: Weg zur Bushaltestelle ca. 10 Minuten, Abfahrt Bus um 08.20 Uhr, Ankunft Bahnhof Wiener Neustadt 08.27 Uhr, Abfahrt Bahnhof Wiener Neustadt (Zug) 08.30 Uhr, Ankunft Bahnhof Baden 08.47 Uhr, tatsächliche Ankunft am Institut 09.02 Uhr. Die nächste Busfahrmöglichkeit wäre um 12.48 Uhr; die Alternative sei ein 40-minütiges Gehen von der Wohnung zum Bahnhof Wiener Neustadt. Unterrichtsende um 16.05 Uhr, Abfahrt Bahnhof Baden 16.25 Uhr, Ankunft Bahnhof Wiener Neustadt
16.49 Uhr, Abfahrt Bus Wiener Neustadt 17.30 Uhr, Ankunft Bus
17.43 Uhr.
Zum Studium der Tochter Renate an der Universität Wien führte er aus, dass die Vorlesungen von Montag bis Freitag jeweils um 08.00 Uhr begännen. Wegzeit bis zur Bushaltestelle ca. 10 Minuten, Abfahrt Bus von der Landeshauptstraße um 6.16 Uhr, Ankunft Bahnhof Wiener Neustadt 06.23 Uhr, Abfahrt Bahnhof Wiener Neustadt (Zug) 06.30 Uhr, Ankunft Bahnhof Wien Meidling 7.00 Uhr. Anschließend U 6 bzw. Straßenbahnlinie 40, Ankunft am Institut Währinger Straße 40 um 07.40 Uhr. Zur Rückkehr der Tochter Renate führte er aus, sie müsse eine verbindliche Lehrveranstaltung im neuen Institutsgebäude oder im Hauptgebäude der Universität Wien besuchen mit Beginn
18.30 Uhr und Ende 20.00 Uhr. Von der Universität würde sie mit der U 2 und U 1 zum Südbahnhof fahren und von dort um 20.52 Uhr mit der Bahn nach Wiener Neustadt, Ankunft um 21.30 Uhr. Vom Bahnhof müsse sie bis zur Wohnung zu Fuß gehen (Gehzeit ca. 40 Minuten), weil um diese Zeit kein öffentliches Verkehrsmittel mehr im Einsatz sei.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung wurde nach Zitierung des § 34 Abs. 8 EStG 1988 und Hinweisen auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, die Entfernung zwischen Katzelsdorf und Baden betrage ca. 30 Kilometer und die Entfernung zwischen Katzelsdorf und Wien etwas über 50 Kilometer. Die Fahrtdauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln liege nach Angaben des Beschwerdeführers bei ca. 1 Stunde (Katzelsdorf-Baden) bzw. 1 1/2 Stunden (Katzelsdorf-Wien). Im Hinblick auf das ebenfalls in die Beurteilung einzubeziehende Alter der Kinder von 18 bzw. 20 Jahren müsse eine derartige Entfernung, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in weniger als 1 1/2 Stunden zurückgelegt werden könne, als zumutbar und daher als im Einzugsbereich liegend angesehen werden. Dies gelte umso mehr, als eine Vielzahl von Schülern aus der Umgebung des Beschwerdeführers den täglichen Schulbesuch bzw. Hochschulbesuch in Baden bzw. Wien wählten und daher im Vergleich zu den üblichen Belastungen anderer Steuerpflichtiger das Merkmal der Außergewöhnlichkeit fehle. Als zusätzliches Indiz dafür, dass die Ausbildungsorte Baden und Wien im Einzugsbereich von Katzelsdorf lägen, könne der Umstand angesehen werden, dass Katzelsdorf in der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung zum Studienförderungsgesetz unter jenen Gemeinden aufgezählt werde, von denen die tägliche Hin- und Rückfahrt sowohl zum und vom Ausbildungsort Baden als auch zum und vom Ausbildungsort Wien zeitlich zumutbar sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer macht geltend, bei Prüfung der Frage der Zumutbarkeit der täglich zurückzulegenden Wegstrecke sei auf die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen. Es sei aber unzulässig, die reinen Fahrzeiten bzw. die Entfernungen in Kilometern ausschließlich als Beurteilungskriterium heranzuziehen. Die Feststellungen im angefochtenen Bescheid über die Fahrdauer seien aktenwidrig. Er habe im Verfahren den zeitlichen Tagesablauf seiner Kinder eingehend geschildert. So müsse seine Tochter Manuela, um zum Unterrichtsbeginn an der PÄDAK in Baden um 10.20 Uhr rechtzeitig anwesend zu sein, bereits um ca. 8.10 Uhr die elterliche Wohnung verlassen, sodass bis zum Unterrichtsbeginn eine Zeitspanne von rund 2 Stunden als Anreisezeit aufzuwenden sei. Unterrichtsende sei um 16.05 Uhr, die Tochter könne bei den geschilderten Möglichkeiten um 17.53 Uhr in die elterliche Wohnung zurückkehren. Für die Heimreise sei somit ein Zeitaufwand von 1 Stunde und 48 Minuten erforderlich.
Die Anreisezeit seiner Tochter Renate zum Ausbildungsort Universität Wien betrage 1 Stunde und 54 Minuten gerechnet vom Verlassen der elterlichen Wohnung um 06.06 Uhr und Beginn der Vorlesung um 08.00 Uhr. Für die Rückreise am Abend sei ein Zeitaufwand von 2 Stunden und 10 Minuten erforderlich. Die letzte Vorlesung ende am Montag, Dienstag und Donnerstag um 20.00 Uhr, am Mittwoch und Freitag um 20.30 Uhr. Von der Universität gelange seine Tochter mit den Linien U 1 und U 2 des Wiener U-Bahnnetzes zum Südbahnhof und von dort fahre sie mit der Bahn um 20.52 Uhr ab und komme um 21.30 Uhr im Bahnhof Wiener Neustadt an. Von dort müsse sie zur elterlichen Wohnung zu Fuß gehen, wofür ein Zeitaufwand von etwa 40 Minuten erforderlich sei.
Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 gelten Aufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht. Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von S 1.500,-- pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt.
Die zu § 34 Abs. 8 EStG 1988 ergangene Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 624/1995, ist für das Streitjahr nicht anzuwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , 93/14/0078, vom , 93/15/0104, und vom , 97/15/0043, 98/15/0100 und 98/15/0115, jeweils mit weiteren Nachweisen) werden Aufwendungen für eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes (§ 34 Abs. 8 EStG 1988) aus dem Titel der Unterhaltsverpflichtung getragen. § 34 Abs. 8 EStG 1988 trifft eine Regelung für jene Mehraufwendungen (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , 93/15/0104) im Rahmen der Unterhaltspflicht, die durch die auswärtige Berufsausbildung erwachsen. Demnach erfolgt die steuerliche Berücksichtigung der Mehraufwendungen auf Grund auswärtiger Berufsausbildung des Kindes durch einen Pauschbetrag pro Monat der Berufsausbildung. Eine Kürzung der gesetzlichen Pauschbeträge um einen Selbstbehalt im Sinne des § 34 Abs. 4 leg. cit. erfolgt nicht (Abs. 6 zweiter Rechtsfall), doch steht dem Steuerpflichtigen andererseits auch kein Wahlrecht dahin zu, etwa nachweisbare höhere Kosten geltend zu machen.
Bei der Beurteilung des Einzugsbereiches im Sinne des § 34 Abs. 8 EStG 1988 müssen das Alter des Kindes sowie die zur Verfügung stehenden Verkehrsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Nach der zitierten Rechtsprechung lässt sich der Begriff "Einzugsbereich des Wohnortes" am ehesten mit der Zumutbarkeit der täglich zurückzulegenden Wegstrecke und der dafür mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuwendenden Zeit umschreiben. Als zumutbar ist ein Verhalten anzusehen, das von einer für das spezifische Verhalten repräsentativen Anzahl von Menschen, die sich in gleicher oder ähnlicher Situation befinden, erwartet werden kann. Bei Prüfung dieser Frage ist vom menschlichen Erfahrungsgut auszugehen, d. h. es ist das konkrete Verhalten von Menschen in vergleichbaren Fällen zu erforschen. Die Zumutbarkeit in diesem Sinne kann jedoch nicht nach schematisierten Kriterien, die auf die Besonderheit des Einzelfalles keine Rücksicht nehmen, beurteilt werden. Da sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Zeitaufwand für Fahrten zwischen Wohnung und Schule (Universität) nicht auf die bloße Fahrzeit beschränkt, sind bei der Beurteilung, ob die Bewältigung der Entfernung vom Wohnort zur Schule (Universität) und zurück einem Schüler (Studenten) zumutbar ist, auch Wartezeiten zwischen verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln und auf den Schulbeginn bzw. auf den Beginn der Rückreise nach Schulende zu berücksichtigen.
Im angefochtenen Bescheid ging die belangte Behörde, ohne auf das detaillierte Vorbringen des Beschwerdeführers konkret Bezug zu nehmen, davon aus, dass die Fahrtdauer für die Strecke Katzelsdorf - Baden ca. 1 Stunde und für die Strecke Katzelsdorf - Wien ca. 1 1/2 Stunden betrage. Dieser angenommene Zeitaufwand berücksichtigt nicht die behaupteten und nach der dargestellten Judikatur zu beachtenden Wartezeiten. Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am