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VwGH vom 21.02.2001, 96/14/0139

VwGH vom 21.02.2001, 96/14/0139

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Urtz, über die Beschwerde des K M in I, vertreten durch Dr. Peter Lechner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 2/I, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. 23.058- 2/96, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und eines Kinderabsetzbetrages, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Beschwerdefall ist die Rückforderung von Familienbeihilfe für die Zeit vom August 1991 bis Jänner 1993 und des Kinderabsetzbetrages für Jänner 1993 in Bezug auf die am geborene Tochter des Beschwerdeführers strittig.

Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt die erwähnte Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 4 lit. a bzw. § 57 Abs. 2 Z. 3 lit. a EStG 1988 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Tochter habe mit die Schule abgebrochen und befinde sich seither nicht mehr in einer Berufsausbildung.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, der Anspruch auf Familienbeihilfe gründe sich im Streitzeitraum nicht auf die Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, sondern auf den Tatbestand der lit. c leg.cit. Die Tochter habe die Schulausbildung wegen einer Polytoxikomanie abbrechen müssen und sei - wie der beigefügten amtsärztlichen Bestätigung vom zu entnehmen sei - in der Zeit vom März 1991 bis Juli 1994 "voraussichtlich dauernd außerstande" gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung ab und führte begründend aus, eine dauernde Erwerbsunfähigkeit der Tochter könne auf Grund ihrer seit aufgenommenen Beschäftigung nicht angenommen werden.

Der Beschwerdeführer beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und legte ein weiteres amtsärztliches Zeugnis vor, wonach aus "damaliger Sicht" davon auszugehen gewesen sei, dass die Tochter dauernd außerstande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Auch der behandelnde Arzt bestätigte, dass zu Behandlungbeginn (Anfang 1991) "der Zustand eine dauernde Erwerbsunfähigkeit" erwarten ließ. Wegen "günstiger Umstände in der Behandlung" habe sich "wider Erwarten eine Besserung dzt." ergeben. Die Besserung sei zu Behandlungsbeginn nicht abzusehen gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab auch die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Der Beschwerdeführer habe es unterlassen, das Finanzamt vom Schulabbruch der Tochter zu verständigen und weiterhin die Familienbeihilfe bezogen. Erst im Zuge einer behördlichen Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen habe sich ergeben, dass die Tochter letztmalig am zu einer Prüfung angetreten sei. Dem in der Berufung erstmalig erstatteten Vorbringen, die Tochter sei infolge ihrer Drogenabhängigkeit im Streitzeitraum voraussichtlich dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, stehe der Umstand entgegen, dass sie bereits seit als Angestellte in einer Rechtsanwaltskanzlei voll berufstätig sei. Nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 müsse zum Zeitpunkt der Beurteilung, ob ein Anspruch auf Familienbeihilfe im Sinne dieser Bestimmung gegeben sei, feststehen, dass das Kind voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Infolge der zwischenzeitig aufgenommenen Erwerbstätigkeit der Tochter handle es sich bei ihrer "Indisposition in der Zeit von März 1991 bis Juni 1994" um eine vorübergehende Erwerbsunfähigkeit, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe begründe.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung, im Folgenden: FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die

(lit. b) das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

(lit. c) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass mit Ablauf Juli 1991 die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG infolge des Schulabbruches der Tochter nicht mehr gegeben waren; strittig ist allein, ob ab diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Familienbeihilfe auf den Tatbestand der lit. c leg.cit. gestützt werden kann. Die belangte Behörde verneinte den Familienbeihilfenanspruch nach dieser Gesetzesstelle, da "im Zeitpunkt der Beurteilung" jedenfalls festgestanden sei, dass die Erwerbsunfähigkeit der Tochter nur eine solche vorübergehender Natur gewesen sei. Die belangte Behörde hat demnach die ärztlichen Bestätigungen, wonach im Rückforderungszeitraum davon auszugehen gewesen sei, dass die Tochter dauernd außerstande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, von vornherein als unerheblich angesehen. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, das Wort "voraussichtlich" beinhalte eine Zukunftsprognose und schließe deshalb eine ex post Betrachtung nach Kenntnis des weiteren Behandlungsverlaufes aus. Dieser Ansicht ist im Ergebnis aus folgenden Gründen beizupflichten:

Im Erkenntnis vom , 95/14/0119, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die Frage, ob für einen bestimmten (in der Vergangenheit gelegenen) Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, - will man den Beihilfenanspruch nicht von zufälligen (behördlicher Entscheidungszeitpunkt) oder willkürlich beeinflussbaren Umständen (Zeitpunkt der Antragstellung) abhängig machen - anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten wie sie bei der Tatbestandsverwirklichung bestanden haben, zu beantworten ist. Ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienbeihilfe erfüllt sind oder nicht, bestimmt sich somit - unabhängig vom Zeitpunkt der behördlichen "Beurteilung" - nach den Verhältnissen im Anspruchszeitraum.

Die Besonderheit der Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG besteht darin, dass der Anspruch nach dieser Gesetzesstelle von einer Zukunftsprognose abhängig ist. Das Kind muss demnach nicht nur (ab einem näher bezeichneten in der Vergangenheit gelegenen Zeitpunkt und) im jeweiligen Anspruchszeitraum außerstande sein, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sondern es muss die Behinderung darüber hinaus von einer Art sein, welche es erwarten lässt, dass das Kind dauernd, also auch in Hinkunft, nicht in der Lage sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass eine nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG anzustellende Prognose von den im Anspruchszeitraum bestehenden Behinderungen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit auszugehen und unter Berücksichtigung vorhandener Therapiemöglichkeiten ein Urteil darüber abzugeben hat, wie sich die festgestellte Behinderung auf die zukünftigen Erwerbsmöglichkeiten des Kindes auswirken werde. Nach dem Anspruchszeitraum eingetretene Umstände haben dabei außer Betracht zu bleiben.

Erfolgt die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen, wie im Beschwerdefall, zu einem Zeitpunkt, zu dem das Kind unstrittig die Fähigkeit erlangt hatte, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, muss eine ärztliche Begutachtung, um damit das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG zu beweisen, auch schlüssig darlegen, welche nach dem Anspruchszeitraum eingetretenen Umstände die seinerzeitige Annahme, das Kind werde dauernd außerstande sein, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, zum Wegfall gebracht haben.

Ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, eine im Zeitpunkt der behördlichen Beurteilung gegebene Erwerbsfähigkeit des Kindes schließe jedenfalls für die Vergangenheit das Bestehen eines Anspruches auf Familienbeihilfe nach lit. c leg.cit. aus, hat sich die belangte Behörde mit den vorgelegten Gutachten nicht auseinander gesetzt. Die belangte Behörde hat daher auch nicht die Ergänzung der unzureichenden amtsärztlichen Gutachten veranlasst. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein ärztliches Zeugnis, soll damit eine Behinderung im Sinne des FLAG dargetan werden, Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens, sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. zum Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe u.a. das hg. Erkenntnis vom , 92/15/0215). Die Gutachten beschränken sich darauf, die Drogenabhängigkeit des Kindes zu attestieren, ohne Feststellungen darüber zu treffen, welche drogenbedingten Schädigungen bei der Tochter des Beschwerdeführers vorgelegen haben und in welchen Bereichen dadurch die Arbeitsfähigkeit des Kindes derartig beeinträchtigt war, dass davon auszugehen war, das Kind werde voraussichtlich dauernd nicht imstande sein, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. dazu OLG Wien vom , 7 Rs 12/97d).

Der angefochtene Bescheid war - da der Kinderabsetzbetrag an den Anspruch auf Familienbeihilfe anknüpft - zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am