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VwGH vom 18.03.1997, 96/14/0063

VwGH vom 18.03.1997, 96/14/0063

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der B in I, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. 23.046-2/96, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragte die am geborene Beschwerdeführerin durch ihren Sachwalter die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für die letzten fünf Jahre. Sie legte zugleich ein ärztliches Zeugnis des Psychiatrischen Krankenhauses des Landes Tirol vom vor, aus welchem sich ergibt, daß sie ungefähr seit ihrem 20. Lebensjahr an paranoider halluzinogener Schizophrenie leide. Es bestehe ein chronischer Verlauf mit völligem Fehlen des Realitätsbezuges und Gefahr der Verwahrlosung und des sozialen Abstieges. Die Beschwerdeführerin sei daher voraussichtlich dauernd nicht fähig, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Auf Anfrage gab der Sachwalter dem Finanzamt eine Aufstellung der Krankenhausaufenthalte der Beschwerdeführerin bekannt.

Gegen den Bescheid, mit welchem das Finanzamt den Antrag abwies, brachte die Beschwerdeführerin am Berufung ein. Mit Schreiben vom wandte sie sich an das Bundesministerium für Jugend und Familie, welches das Finanzamt anwies, weitere Erhebungen anzustellen. Mit Schreiben vom gab das Bundesministerium für Jugend und Familie der Beschwerdeführerin bekannt, es würden Erhebungen über ihre Erwerbstätigkeit in S angestellt. Mit Schreiben vom teilte dasselbe Bundesministerium der Beschwerdeführerin sodann mit, der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger sei zu entnehmen, daß sie vom bis zum , wenn auch mit unterschiedlich langen Unterbrechungen, erwerbstätig gewesen sei. Es sei daraus abzuleiten, daß sie über das vollendete 21. Lebensjahr hinaus erwerbstätig und in das Erwerbsleben in der freien Wirtschaft integriert gewesen sei. Demnach sei die in § 6 Abs. 2 lit. d FLAG geforderte voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten. Es bestehe daher kein Familienbeihilfenanspruch. Auch die lückenlosen polizeilichen Meldungen der Beschwerdeführerin bis zum würden dafür sprechen, daß sie bis zu diesem Zeitpunkt durchaus in der Lage gewesen sei, ihre persönlichen Angelegenheiten ordnungsgemäß zu regeln.

In der Folge wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung ab. Die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Antragstellung 32 Jahre alt gewesen. Wie sich aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ergebe, sei die Beschwerdeführerin bis zum November 1985 in einer Reihe von Dienstverhältnissen gestanden (insbesondere vom bis zum als Lehrling in der M-Buchhandlung; vom 11. Juli bis zum als Arbeiterin im Cafe M; vom 25. August bis zum als Arbeiterin in der Druckerei R; vom bis zum als Angestellte im Unternehmen K). Auch wenn diese Beschäftigungszeiten Unterbrechungen aufwiesen, ergebe sich aus ihnen, daß die Beschwerdeführerin über das 21. Lebensjahr hinaus erwerbsfähig gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei auch zu beachten, daß sie sich erst seit Ende des Jahres 1991 in laufender Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus befinde. Die belangte Behörde schließe daraus, daß die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei. Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 5 iVm Abs. 2 lit. d FLAG für die Gewährung der Familienbeihilfe seien daher nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG idF BGBl. 296/1981 haben Kinder, deren Eltern ihrer Unterhaltpflicht nicht nachkommen und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbehilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG in der ab September 1992 geltenden Fassung BGBl. 311/1992 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtpflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

§ 6 Abs. 2 FLAG bestimmt über den Anspruch volljähriger Vollwaisen, wobei im Falle der lit. d leg.cit. für den Anspruch volljähriger Vollwaisen neben dem Vorliegen der schon für minderjährige Vollwaisen normierten Bedingungen (Abs. 1) gefordert wird, daß sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Voraussetzung für den Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG ist sohin, daß das Kind wegen seiner vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerlegt eine mehrjährige berufliche Tätigkeit die Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 95/13/0007, und vom , 90/13/0129, und die zum inhaltlich gleichlautenden § 2 Abs. 1 lit. c FLAG ergangenen

hg. Erkenntnisse vom , 91/14/0197, und vom , 82/13/0222).

Die Beschwerdeführerin rügt, die belangte Behörde habe im Berufungsverfahren einen Auszug aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträge eingeholt und dieses Beweismittel in der Berufungsentscheidung verwertet, ihr aber keine Gelegenheit gegeben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Wäre das Recht auf Gehör gewahrt worden, hätte die Beschwerdeführerin bekanntgegeben, daß die Beschäftigungsverhältnisse lediglich vergebliche Versuche der Eingliederung in das Erwerbsleben gewesen seien. Die Lehre in der M-Buchhandlung sei nicht abgeschlossen, sondern abgebrochen worden. Im übrigen lägen - mit Ausnahme des längeren Dienstverhältnisses zum Unternehmen K - nur kurzfristige und erfolglose Arbeitsversuche vor. Die belangte Behörde hätte zudem aus der Tatsache einer abgebrochenen Lehre und acht Arbeitgebern innerhalb von sieben Jahren in Verbindung mit der medizinischen Prognose des psychiatrischen Krankenhauses zu dem Ergebnis kommen müssen, die Beschwerdeführerin sei wegen einer bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, nach Vollendung des 21. Lebensjahres gebe es eine durchgehende Beschäftigung nur mehr in der Dauer von sieben Monaten (vom Jänner 1983 bis August 1983 beim Unternehmen K). Die Auflistung der Arbeitsverhältnisse korrespondiere daher in auffälliger Weise mit dem ärztlichen Zeugnis. Es lasse sich feststellen, daß seit Beginn der Krankheit (seit dem 20. Lebensjahr) die Dauer der Versuche einer Eingliederung in das Erwerbsleben rapid abgenommen habe.

Gemäß § 183 Abs. 4 BAO ist den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.

Im gegenständlichen Fall wurde dem Sachwalter der Beschwerdeführerin die Kenntnis vom Ergebnis der Beweisaufnahme vor Bescheiderlassung zwar nicht durch die belangte Behörde, aber - in der Gegenschrift wird zu Recht darauf verwiesen - durch das Bundesministerium für Jugend und Familie als Oberbehörde verschafft. Bei dieser Konstellation liegt kein Verfahrensfehler vor, wenn die belangte Behörde nicht zusätzlich Mitteilung vom Ergebnis dieser Beweisaufnahme gemacht hat.

Mit ihrem weiteren, oben angeführten Vorbringen bekämpft die Beschwerdeführerin in Wahrheit die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Die Beweiswürdigung unterliegt insofern der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, als es sich um die Beurteilung handelt, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind.

Der belangten Behörde lag ein ärztliches Zeugnis vor, nach welchem die Krankheit der Beschwerdeführerin ungefähr seit dem 20. Lebensjahr bestehe. Die belangte Behörde konnte davon ausgehen, daß sich die Beschwerdeführerin erst seit Ende 1991, sohin erst seit ihrem 30. Lebensjahr in laufender Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus befunden hat und vor Vollendung des 21. Lebensjahres ca. zwei Jahre in einem Lehrverhältnis zur M-Buchhandlung und eineinhalb Jahre in einem Angestelltenverhältnis zum Unternehmen K - dieses Angestelltenverhältnis war nach der Vollendung des 21. Lebensjahres noch ca. sieben Monate aufrecht - tätig gewesen ist. Wenn die belangte Behörde bei dieser Sachlage - auch unter Berücksichtigung von zwei nur kurzfristigen Dienstverhältnissen vor Vollendung des 21. Lebensjahres und vier nur kurzfristigen Dienstverhältnissen nach diesem Zeitpunkt bis zum Ende des Jahres 1985 - zu dem Ergebnis gelangte ist, die Behinderung iSd § 6 Abs. 2 lit. d FLAG sei nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten, so kann darin nicht das Ergebnis einer unschlüssigen Beweiswürdigung erblickt werden. Der Umstand, daß die Lehre nach

ca. zwei Jahren abgebrochen worden ist, vermag daran nichts zu ändern. Die in der Beschwerde erwähnten kurzfristigen Dienstverhältnisse ("erfolglose Arbeitsversuche") liegen im wesentlichen nach Vollendung des 21. Lebensjahres.

Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.