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VwGH vom 11.11.1993, 93/18/0472

VwGH vom 11.11.1993, 93/18/0472

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. St 153-2/93, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Liberia, vom , die Behörde möge feststellen, daß seine Abschiebung nach Liberia unzulässig sei, da stichhaltige Gründe i. S. des § 37 Abs. 1 und 2 des Fremdengesetzes-FrG vorlägen, gemäß § 54 leg. cit. als unzulässig zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Der Beschwerdeführer sei dem § 54 Abs. 2 FrG entsprechend am anläßlich seiner Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Linz auf die Möglichkeit, einen Antrag nach § 54 Abs. 1 leg. cit. zu stellen, hingewiesen worden. Mit Bescheid dieser Behörde vom sei gegen den Beschwerdeführer ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Bis zum Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung am ) dieses Bescheides dem Beschwerdeführer gegenüber sei von diesem ein solcher Antrag nicht eingebracht worden; vielmehr sei dieser erst mit der Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid gestellt worden. Damit habe der Beschwerdeführer den Antrag nicht, wie vom Gesetz verlangt, während des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gestellt.

Zwar könnte man - so die belangte Behörde weiter - bei isolierter Betrachtung des § 54 Abs. 2 FrG zur Auffassung gelangen, daß der Antrag gemäß § 54 Abs. 1 leg. cit. bis zur rechtskräftigen Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes, also auch noch während eines allfälligen Berufungsverfahrens, eingebracht werden könne. Eine systematische Interpretation führe allerdings zu einem anderen Ergebnis: Gemäß § 27 Abs. 3 FrG sei einer Berufung gegen die Ausweisung nach § 17 Abs. 1 leg. cit. die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich sei. Der Berufung gegen eine Ausweisung nach § 17 Abs. 2 leg. cit. komme ex lege keine aufschiebende Wirkung zu. Gemäß § 27 Abs. 4 FrG dürfe bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot ausgeschlossen werden, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich sei. Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung der Berufung im Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsverfahren bewirke die Durchsetzbarkeit der verfügten Maßnahme. Da Fremde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG in den betreffenden Staat nicht abgeschoben werden dürften (§ 54 Abs. 4 leg. cit.), wäre das Instrument des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung sinnlos. Dem Gesetzgeber könne aber die Schaffung sinnloser bzw. unwirksamer Bestimmungen nicht unterstellt werden. Daraus ergebe sich, daß ein Antrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Ausweisungs- bzw. Aufenthaltsverbotsbescheides eingebracht werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach § 54 Abs. 1 FrG hat die Behörde auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 bedroht ist. Zufolge des § 54 Abs. 2 leg. cit. kann der Antrag nur während des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes eingebracht werden; hierüber ist der Fremde rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

2. Entscheidend für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens ist die zwischen der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer strittige Auslegung der im § 54 Abs. 2 FrG gebrauchten Wortfolge "während des Verfahrens zur Erlassung ... eines Aufenthaltsverbotes." Im Gegensatz zur - oben dargestellten - Rechtsansicht der belangten Behörde vertritt die Beschwerde die Auffassung, daß die Stellung des in Rede stehenden Antrages bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens, also auch noch im Rahmen des zweitinstanzlichen Aufenthaltsverbotsverfahrens, zulässig sei.

3. Der Verwaltungsgerichtshof vermag der Rechtsmeinung der belangten Behörde nicht beizupflichten.

Zunächst spricht der Wortlaut der besagten Wendung eindeutig für die Zulässigkeit eines auf § 54 Abs. 1 FrG gestützten Antrages vom Zeitpunkt der Einleitung eines Aufenthaltsverbotsverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluß. Eine die Erhebung einer "wirksamen Beschwerde" i.S. des Art. 13 MRK (vgl. die Erl zur RV betreffend ein Fremdengesetz 692 BlgNR 18 GP, 55) derart gravierend treffende Einschränkung wie die Befristung der Antragstellung mit dem Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheides hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedurft.

Die im angefochtenen Bescheid angestellten systematischen Erwägungen, die nach Ansicht der belangten Behörde eine solche Einschränkung gebieten sollen, überzeugen nicht. Der Umstand, daß ein erstinstanzlicher Aufenthaltsverbotsbescheid infolge Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer dagegen erhobenen Berufung durchsetzbar ist (sofern die Durchsetzbarkeit nicht mittels eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 22 FrG hinausgeschoben wird), ist für die Frage, bis wann zulässigerweise ein Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG gestellt werden kann, ohne Relevanz. Die Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes in solchen Fällen bereits mit Erlassung des betreffenden erstinstanzlichen Bescheides bleibt auch in jenen Fällen, in denen, wie vorliegend, erst mit der Berufung der Antrag gestellt wird, bestehen; lediglich die Abschiebung in den im Antrag bezeichneten Staat ist ab diesem Zeitpunkt gemäß § 54 Abs. 4 FrG ausgeschlossen. Je länger der Fremde mit einer Antragstellung zuwartet, umso größer wird für ihn das Risiko einer vorherigen Abschiebung in diesen Staat. Es ist daher nicht zu erkennen, weshalb, wie die belangte Behörde meint, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung "sinnlos" bzw. "unwirksam" sein sollte, wenn der Fremde bis zum rechtskräftigen Abschluß des Aufenthaltsverbotsverfahrens einen Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG stellen dürfe. Die belangte Behörde scheint mit ihrer Argumentation darüber hinaus zu übersehen, daß die Stellung eines solchen Antrages, auch wenn dies - wie von ihr als allein zulässig erachtet - längstens bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheides geschieht, der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung gegen diesen Bescheid nicht entgegensteht - was zur Folge hat, daß eine Abschiebung des Fremden in jeden anderen Staat als den von ihm in seinem Antrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG bezeichneten zulässig bleibt; nur die Abschiebung in diesen Staat ist ab Stellung des Antrages bis zur rechtskräftigen Entscheidung über denselben untersagt (§ 54 Abs. 4 FrG). Auch insofern ist das Instrument der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid - verstanden im Rechtssinn - weder sinnlos noch unwirksam.

4. Da nach dem Gesagten die belangte Behörde infolge Verkennens der Rechtslage den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers vom im Instanzenzug als unzulässig zurückgewiesen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 104/1991.

6. Angesichts der Entscheidung in der Hauptsache erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.