VwGH vom 21.02.2007, 2002/17/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde der E und des CM in Nickelsdorf, beide vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen den Gemeinderat der Großgemeinde Nickelsdorf, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheiten Kanalbenützungsgebühr, zu Recht erkannt:
Spruch
In Anwendung des § 42 Abs. 4 VwGG wird die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Großgemeinde Nickelsdorf vom betreffend die Vorschreibung von Kanalbenützungsgebühr für das Jahr 2001 gemäß § 213 Abs. 2 Burgenländische Landesabgabenordnung, BGBl. Nr. 2/1963 in der geltenden Fassung, und § 11 Abs. 1 des Burgenländischen Kanalabgabegesetzes 1984, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990, in Verbindung mit der Verordnung des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf vom
als unbegründet abgewiesen.
Die Großgemeinde Nickelsdorf hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Die vorliegende Säumnisbeschwerde richtet sich gegen die Säumnis des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf mit der Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Großgemeinde Nickelsdorf vom betreffend die Vorschreibung von Kanalbenützungsgebühr für 2001 für eine näher bezeichnete Liegenschaft. Die Vorschreibung stützte sich auf die Verordnung des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf vom über die Einhebung einer Kanalbenützungsgebühr, die in § 2 Abs. 1 als Sockelbetrag pro Objekt S 2.031,-- und als Betrag pro m2 Berechnungsfläche S 9,90 vorsah. Sie erging spruchgemäß ausdrücklich "für das Jahr 2001".
Die Beschwerdeführer erhoben Berufung, in der sie sich insbesondere gegen die fehlende Begründung für die in der Verordnung des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf festgelegten Beträge wendeten. Der Bescheid enthalte keine Angaben über die Gesamtkosten gemäß § 11 Abs. 1 lit. a des Burgenländischen Kanalabgabegesetzes 1984, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990 (in der Folge: Bgld KanalAbgG), die Aufteilung der Gesamtkosten gemäß § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG auf den Sockelbetrag bzw. die Berechnungsfläche, die Gesamtzahl der Objekte, auf die sich der Sockelbetrag beziehe, und die Gesamtsumme der Berechnungsfläche.
1.2. Da über diese Berufung nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurde, erhoben die Beschwerdeführer zunächst einen Devolutionsantrag an die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See, welcher im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Devolution in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zurückgewiesen wurde.
Daraufhin wurde die vorliegende Säumnisbeschwerde eingebracht.
1.3. Mit Verfügung vom forderte der Verwaltungsgerichtshof die belangte Behörde auf, den versäumten Bescheid binnen drei Monaten nachzuholen und eine Abschrift des Bescheids dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie mitteilte, weshalb ihrer Ansicht nach keine Verletzung der Entscheidungspflicht gegeben sei, und legte die Verwaltungsakten vor. Sie vertrat die Auffassung, dass sie auf Grund der Zahlung des Abgabenbetrages durch die Beschwerdeführer und eines E-Mails an die Gemeinde, in dem davon die Rede gewesen sei, dass sich die Berufung gegen die "rechtswidrige Bescheidform" richte, von der Zurückziehung der Berufung ausgehen habe können.
Die Beschwerdeführer erstatteten eine ergänzende Äußerung.
1.4. Gemäß § 189 Abs. 2 Bgld LAO gelten für die Einbringung von Berufungen gegen Bescheide in Angelegenheiten der Landes- und Gemeindeabgaben und deren Wirkung an Stelle der Bestimmungen des § 191 und 198 Bgld LAO die §§ 57, 63 Abs. 1 und 5 und 64 Abs. 1 AVG. Gemäß § 64 Abs. 1 AVG kommt Berufungen aufschiebende Wirkung zu. Im Verfahren betreffend die vorliegende Gemeindeabgabe kam der Berufung der Beschwerdeführer somit aufschiebende Wirkung zu.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kommt jedoch der Zahlung einer Abgabenschuld, gegen deren Vorschreibung eine Berufung eingebracht wurde, auch in einem Fall, in dem die Berufung aufschiebende Wirkung hat, nicht von vornherein und ohne eine weitere Willenserklärung der Partei die Bedeutung zu, dass der Abgabenschuldner auf die Berufung verzichten wolle. Die belangte Behörde hat diesbezüglich keine Willenserklärung der Beschwerdeführer eingeholt. Es wurde im Gegenteil in dem E-Mail vom vom Zweitbeschwerdeführer darauf hingewiesen, dass sich seine Berufung gegen die "rechtswidrige Bescheidform" richte. Was immer man als konkreten Inhalt dieser Aussage annehmen mag, liegt in ihr keinesfalls auch nur eine implizite Zurückziehung der Berufung (auf welche im Gegenteil mit dieser Formulierung ausdrücklich hingewiesen wird). Die Beschwerdeführer wollten somit ihr Rechtsmittel keineswegs zurückziehen. Es brauchen daher keine näheren Feststellungen zu der von der belangten Behörde bezüglich der Zahlung des Abgabenbetrages aufgestellten Behauptung getroffen werden. Es ist vielmehr vom Vorliegen einer nach wie vor aufrechten Berufung auszugehen.
1.5. Sowohl gemäß § 76 Abs. 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 1965, LGBl. Nr. 37/1965 idF vor der Wiederverlautbarung LGBl. Nr. 55/2003 (im Folgenden: Bgld GdO 1965) als auch gemäß § 48 Bgld LAO geht der Instanzenzug gegen Bescheide des Bürgermeisters in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist, an den Gemeinderat, gegen dessen Entscheidung eine weitere Berufung nicht zulässig ist.
Die belangte Behörde war daher auch konkret zuständig, über die eingebrachte Berufung zu entscheiden.
Da somit der von der belangten Behörde geltend gemachte Grund, weshalb keine Säumnis vorliege, unzutreffend ist und auch die übrigen Voraussetzungen - wie insbesondere die Zuständigkeit der bezeichneten Behörde - gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.
1.6. Da die belangte Behörde den ausstehenden Bescheid nicht nachgeholt hat, ist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG zuständig, in der Sache über die Berufung der Beschwerdeführer zu entscheiden.
2.1. § 11 Abs. 1 des Gesetzes vom über die Einhebung von Kanalabgaben (Kanalabgabegesetz - KAbG), LGBl. für das Burgenland Nr. 41/1984 idF LGBl. Nr. 37/1990 (in der Folge: Bgld KanalAbgG), lautete:
"§ 11
Höhe der Gebühr
(1) Die Kanalbenützungsgebühren dürfen das jährliche Erfordernis für
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a) | den Betrieb und die Instandhaltung der Kanalisationsanlage, | |||||||||
b) | die Zinsen für Darlehen, die für die Errichtung oder Änderung der Kanalisationsanlage aufgenommen worden sind, | |||||||||
c) die Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Kanalisationsanlage entsprechenden Lebensdauer und | ||||||||||
d) die Bildung einer Erneuerungsrücklage von höchstens drei vH der Errichtungskosten (§ 2 Abs. 1 und 2) | ||||||||||
nicht übersteigen." | ||||||||||
Gemäß § 11 Abs. 5 Bgld KanalAbgG in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990 gilt die Festsetzung der Kanalbenützungsgebühr mit ihrem Jahresbetrag nach § 11 Abs. 4 Bgld KanalAbgG auch für die folgenden Jahre, soweit nicht infolge einer Änderung der Voraussetzungen für die Festsetzung des Jahresbetrages ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen ist. |
2.2. Mit Erkenntnis vom , G 76/02, G 375/02, V 22- 26/02 und V 86/02, hob der Verfassungsgerichtshof § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG über Antrag des Verwaltungsgerichtshofes aus Anlass anderer Beschwerdefälle als verfassungswidrig auf (Spruchpunkt I.). Der Verfassungsgerichtshof sprach aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft träten (vgl. die Kundmachung der Aufhebung unter LGBl. für das Land Burgenland Nr. 28/2005). Einen Ausspruch über die Ausdehnung der Anlassfallwirkung enthält das Erkenntnis nicht.
Mit Spruchpunkt II. des genannten Erkenntnisses gab der Verfassungsgerichtshof den Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung von Teilen der Verordnungen des Gemeinderates der Gemeinde Pamhagen über die Einhebung einer Kanalbenützungsgebühr wegen Überschreitung des jährlich zulässigerweise einzuhebenden Höchstbetrages nicht Folge.
2.3. Der vorliegende Beschwerdefall ist kein Anlassfall des verfassungsgerichtlichen Verfahren. Da der Verfassungsgerichtshof auch nicht ausgesprochen hat, dass § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG etwa in den beim Verwaltungsgerichtshof zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden sei, ist § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG im Beschwerdefall noch anzuwenden.
Im Hinblick auf den Inhalt des § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG wäre für die Beschwerdeführer auch nichts gewonnen, wenn das vorliegende Verfahren als Anlassfall anzusehen wäre, da die Wirksamkeit der Aufhebung des § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG nur bedeuten würde, dass der Gemeinderat dann nicht an die in § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG vorgesehene Beschränkung auf das Jahreserfordernis für die Kanalanlage gebunden gewesen wäre, sondern unter den vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Slg. 16.319, umschriebenen Voraussetzungen auch über dieses Jahreserfordernis hinausgehen hätte können. Eine Gesetzwidrigkeit der Verordnung des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf vom über die Einhebung einer Kanalbenützungsgebühr wäre daher in diesem Fall umso weniger anzunehmen.
2.4. Hinsichtlich der Rüge, dass der mit Berufung bekämpfte Bescheid keine Angaben über die Gesamtkosten gemäß § 11 Abs. 1 lit. a Bgld KanalAbgG, die Aufteilung der Gesamtkosten gemäß § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG auf den Sockelbetrag bzw. die Berechnungsfläche, die Gesamtzahl der Objekte, auf die sich der Sockelbetrag beziehe und die Gesamtsumme der Berechnungsfläche enthalte, sind die Beschwerdeführer zunächst auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach im Abgabenbescheid keine Begründung für die Höhe des in der Kanalabgabenordnung festgesetzten Einheitssatzes erforderlich ist. Die Pflicht der Abgabenbehörde zur Begründung ihrer Bescheide erstreckt sich nicht auf die Darlegung der für den Verordnungsgeber bei Erlassung der Verordnung bestimmend gewesenen Faktoren (vgl. die hg. Entscheidungen vom , Zl. 2002/17/0014, mwN, und vom , Zl. 2004/17/0008). Es ist daher auch in der Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 213 Abs. 2 Bgld LAO die in der Berufung urgierte Darstellung, wie sich der Sockelbetrag und der Satz von S 9,90 für das Objekt der Beschwerdeführer errechneten, nicht detaillierter erforderlich.
Für den auf Grund der Säumnisbeschwerde zur Entscheidung über die Berufung in der Sache zuständigen Verwaltungsgerichtshof besteht zwar keine unbedingte Bindung an geltende Verordnungen, wie sie für Verwaltungsbehörden bis zu einer allfälligen Aufhebung der anwendbaren generellen Rechtsvorschriften besteht, sondern der Verwaltungsgerichtshof hätte gegebenenfalls die Aufhebung einer bei der Entscheidung anzuwendenden Verordnungsbestimmung durch den Verfassungsgerichtshof zu beantragen, wenn Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung bestünden. Insoweit ist im Fall der Säumnisbeschwerde eine andere Rechtslage gegeben als im Bescheidbeschwerdeverfahren, in dem die ausschließliche Geltendmachung von Bedenken gegen die von der belangten Behörde angewendeten generellen Rechtsgrundlagen zur Zurückweisung der Beschwerde führt (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2004/17/0008).
Die Beschwerdeführer haben sich jedoch darauf beschränkt, den Verfahrensmangel des Bescheids der Behörde erster Instanz geltend zu machen und in unbestimmter Weise die Plausibilität der auch für das Jahr 2001 zu Grunde gelegten Berechnung durch Hinweis auf Veränderungen der Berechnungsgrundlagen zwischen 1995 und 2001 durch Bautätigkeit und Veränderung der Anzahl der Objekte anzuzweifeln. Mit diesen nicht näher substanziierten Hinweisen in der ergänzenden Stellungnahme haben sie keine konkreten Sachverhaltselemente aufgezeigt, die zu Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der anzuwendenden Verordnung führen müssten. Nach den Ergebnissen der Volkszählung 2001 ging die Bürgeranzahl der Großgemeinde Nickelsdorf gegenüber dem Jahr 1991 um 64 zurück. Zwischen 1995 und 2000 wurden nach Angaben des Statistischen Zentralamtes in der Gemeinde Nickelsdorf jährlich im Schnitt 6,16 Gebäude fertiggestellt. Die Anzahl der Wohnungen betrug 754 (womit unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in einem Gebäude mehrere Wohnungen liegen können, ebenfalls kein signifikanter Anstieg gegenüber 1995, für welches 650 Gebäude angenommen wurden, angezeigt wird), die Anzahl der Wohnungen mit Hauptwohnsitz 632. Vor diesem Hintergrund sind die nicht näher konkretisierten Behauptungen der Beschwerdeführer nicht geeignet, Bedenken gegen die Verordnung des Gemeinderats vom hervorzurufen.
2.5. Die Verordnung des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf vom über die Einhebung einer Kanalbenützungsgebühr war daher der vorliegenden Entscheidung zu Grunde zu legen.
2.6. Da die Beschwerdeführer die Richtigkeit der vorgenommenen Abgabenberechnung auf dem Boden der genannten Verordnung für das gegenständliche Objekt nicht bestreiten, erweist sich der mit Berufung bekämpfte Bescheid als rechtmäßig.
2.7. Die Berufung war daher gemäß § 213 Abs. 2 Bgld LAO in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Bgld KanalAbgG und der Verordnung des Gemeinderats der Großgemeinde Nickelsdorf vom über die Einhebung einer Kanalbenützungsgebühr als unbegründet abzuweisen.
Festzuhalten ist ergänzend, dass nach dem (hiemit bestätigten) Spruch des erstinstanzlichen Bescheids lediglich eine Vorschreibung der Kanalbenützungsgebühr für das Jahr 2001 vorliegt.
2.8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am