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VwGH vom 19.03.2003, 2002/16/0255

VwGH vom 19.03.2003, 2002/16/0255

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der L, vertreten durch Dr. Leopold Grohmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 4, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. ABK - B 18/02, betreffend Getränkesteuer für den Zeitraum 1995 bis 2000, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid betreffend Vorschreibung der Getränkesteuer für den Zeitraum 1998 und 1999 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom schrieb der Magistrat der Bundeshauptstadt Wien der Beschwerdeführerin die Getränkesteuer für das Jahr 1995 mit EUR 15.587,95 (S 214.494,86), für das Jahr 1996 mit EUR 12.787,43 (S 175.958,87), für das Jahr 1997 mit EUR 10.164,38 (S 139.864,91), für das Jahr 1998 mit EUR 7.788,49 (S 107.171,95), für das Jahr 1999 mit EUR 10.678,18 (S 146.934,96) und für das Jahr 2000 mit EUR 3.766,85 (S 51.832,98) vor. Dies mit der Begründung, auf Grund des Prüfberichtes des Finanzamtes vom sei festgestellt worden, dass Warenzukäufe bei Bier und alkoholfreien Getränken in den Jahren 1995 bis 1997 nicht ordnungsgemäß in der Buchhaltung erfasst worden seien. Es komme daher zu entsprechenden Hinzurechnungen bei den Umsätzen auf Bier und alkoholfreien Getränken. Auf die Erlöse der übrigen Getränke werde ein Sicherheitszuschlag von 10 % "verhängt", weil angenommen werden könne, dass nicht nur die nachgewiesenermaßen nicht verbuchten Vorgänge, sondern auch noch weitere Vorgänge nicht aufgezeichnet worden seien.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, die Vorschreibung für alkoholische Getränke widerspreche dem Gemeinschaftsrecht. Die Begründung, es hätte ein Rechtsbehelf erhoben werden müssen, greife im Beschwerdefall nicht, da die Steuerbeträge erst nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vorgeschrieben worden seien. Für die Jahre 1998 und 1999 fehle es an der Berechtigung zur Zuschätzung. Es sei willkürlich ein Sicherheitszuschlag verhängt worden, obwohl keinerlei Änderungen in der Bemessungsgrundlage gefunden worden seien. Die Bescheiderlassung sei daher für diese Jahre unzulässig. Für das Jahr 2000 werde die Berechtigung der Getränkesteuer auf alkoholische Getränke bestritten. Die Getränkesteuer für nichtalkoholische Getränke sei im Übrigen ordnungsgemäß abgeführt worden. Für den Zeitraum Jänner 2000 und die folgenden Zeiträume bestehe keine Getränkesteuerpflicht für alkoholische Getränke.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde die Festsetzung des Bescheides erster Instanz und schrieb folgende Getränkesteuer vor: Für das Jahr 1995 EUR 15.587,91, 1996 EUR 12.787,51, 1997 EUR 10.164,37, 1998 EUR 7.788,49, 1999 EUR 10.678,12 und 2000 EUR 1.990,07. Festgestellt wurde, dass die Abgaben bereits fällig gewesen seien. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung heißt es, aus Spruchpunkt 3. des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom ergebe sich, dass der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes dann gelte, wenn die Getränkesteuer für alkoholische Getränke nicht vor dem entrichtet oder fällig geworden sei. Dies treffe auf die im Bescheid erster Instanz mitumfassten Steuerzeiträume Jänner 2000 bis März 2000 zu, weil diese Abgaben erst nach dem fällig geworden und auch nicht vor diesem Zeitpunkt entrichtet worden seien. Die auf diese Zeiträume entfallenden, alkoholische Getränke betreffenden Abgabenbeträge seien daher aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden gewesen. Die Beschwerdeführerin habe vor dem keinen Rechtsbehelf für die vor diesem Zeitpunkt fällig gewesenen Abgaben erhoben. Die Vorschreibung der vor dem fällig gewesenen Getränkesteuer für alkoholische Getränke sei daher auch nach dem zitierten Urteil des EuGH zulässig. Soweit die Beschwerdeführerin die rechtliche Grundlage für die bescheidmäßige Vorschreibung der Getränkesteuer für die Jahre 1998 und 1999 bestreite, sei festzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch ohne Hinzurechnung des 10 %igen Sicherheitszuschlages die im Rahmen der Revision am erhobenen Getränkesteuerbemessungsgrundlagen mit den von der Beschwerdeführerin in ihren Getränkesteuererklärungen enthaltenen Bemessungsgrundlagen - wenn auch nur in geringfügiger Weise - nicht übereinstimmten. Darüber hinaus sei die ziffernmäßige Richtigkeit sämtlicher Bemessungsgrundlagen inklusive des erhobenen Sicherheitszuschlages im Zuge der Revision nicht bestritten worden. Auch sei angesichts der Umstände, dass für das Jahr 1993 keine Unterlagen vorgelegt werden konnten, die Warenzukäufe im Zeitraum 1995 bis 1997 nicht ordnungsgemäß in der Buchhaltung erfasst worden seien und keinerlei Inventurunterlagen vorgelegt werden könnten, die Schätzung der Bemessungsgrundlagen auch für die Jahre 1998 und 1999 zu Recht erfolgt. Dabei seien die für die Jahre 1998 und 1999 ermittelten Bemessungsgrundlagen teilweise unter den für die Jahre 1995 bis 1997 erhobenen Bemessungsgrundlagen geblieben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Nichtfestsetzung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Abgabe und Nichteinbeziehung eines Sicherheitszuschlages bei der Schätzung der Bemessungsgrundlage für die Jahre 1998 und 1999 verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde trat im Beschwerdefall gemäß § 3 Wiener Getränkesteuergesetz in Verbindung mit der mit der Beschwerdeführerin getroffenen Vereinbarung die Fälligkeit der Getränkesteuer mit dem 15. des zweitfolgenden Monats ein. Für den Steuerzeitraum Jänner 2000 ergab dies die Fälligkeit der Getränkesteuer am . Für alle vorangegangenen Steuerzeiträume trat die Fälligkeit der Getränkesteuer am bzw. jeweils am 15. des vorangegangenen Monate ein.

Kommt im Fall einer Prüfung der Getränkesteuer hervor, dass diese Steuer nicht im gesetzlichen Ausmaß erklärt und entrichtet worden ist, und kommt es deswegen nachträglich zu einer bescheidmäßigen Festsetzung für die bestimmten vorangegangenen Zeiträume, dann ändert sich dadurch der Fälligkeitszeitpunkt der in diesem Zeitraum entstandenen, aber nicht entrichteten Steuer nicht. Die Fälligkeit tritt nicht erst mit Bescheiderlassung oder Ablauf einer danach gesetzten Zahlungsfrist, sondern - im Beschwerdefall - am 15. des dem Abrechnungszeitraum zweitfolgenden Monats ein. Dies gilt auch für den einen Teil der Bemessungsgrundlage bildenden "Sicherheitszuschlag", der ein Element der Schätzung ist (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/13/0004) und bei nachgewiesenermaßen nicht verbuchten Vorgängen weitere wahrscheinlich nicht aufgezeichnete Vorgänge erfassen soll.

Nach Punkt 3. des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom , Rs C-437/97, kann sich niemand auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

Die Beschwerdeführerin hat vor dem keine diesbezüglichen Rechtsbehelfe gegen die vor Erlass des Urteils fällig und durch eine Betriebsprüfung des Finanzamtes bereits im Jahr 1999 offenkundig gewordene Getränkesteuerschuld eingelegt. Sie kann sich daher für die vor dem fällig gewordene Getränkesteuerschuld nach dem nicht auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/12 berufen.

Ein redlicher Abgabepflichtiger, der die Auffassung vertreten hatte, die Getränkesteuer verstoße gegen Gemeinschaftsrecht hatte die Möglichkeit, durch Offenlegung der Bemessungsgrundlagen und entsprechende Erklärungen die Getränkesteuer im Rechtsweg zu bekämpfen. Nur im Fall der Erhebung eines "Rechtsbehelfes" vor dem konnte ein Abgabepflichtiger nach Punkt 3. des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom die Gemeinschaftsrechtwidrigkeit der Getränkesteuer wirksam geltend machen. Erhob ein Abgabepflichtiger keinen oder einen nach dem 9. März 200 eingebrachten Rechtsbehelf, dann bleibt die gemeinschaftsrechtswidrige Getränkesteuer einbehalten, weil kein Rechtsbehelf vor Erlass des genannten Urteils eingelegt wurde.

Punkt 3. des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom begünstigt nur die Fälle, in denen Rechtsbehelfe vor dem eingelegt waren, nicht aber die Fälle, in denen ein Rechtsbehelf nach Erlass des Urteils eingelegt wird. Es wäre unsachlich, die redlichen Abgabepflichtigen, die vor dem keinen Rechtsbehelf eingelegt haben und nach dem nicht mehr wirksam einlegen können, gegenüber den unredlichen Abgabepflichtigen zu benachteiligen, die vor dem fällig gewordene Abgaben verkürzt und gegen die Vorschreibung der Getränkesteuer erst nach dem einen Rechtsbehelf eingelegt haben.

Die Nacherhebung der vor dem fällig gewesenen Getränkesteuer erfolgte mit dem Bescheid vom . Mit einem Rechtsmittel gegen diesen Bescheid konnte sich die Beschwerdeführerin nach Punkt 3. des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom nicht mehr wirksam auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/12 berufen. Die Ursache dafür ist aber der Beschwerdeführerin zuzurechnen, die anstelle einer gesetzmäßigen Offenlegung der Bemessungsgrundlagen und Erhebung entsprechender Rechtsbehelfe in den jeweiligen Fälligkeits- und Erklärungszeitpunkten die gesetzmäßigen Verfahrenschritte unterlassen und dadurch sich selbst die Möglichkeit genommen hat, die Gemeinschaftsrechtwidrigkeit der Getränkesteuer nach Punkt 3. des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom wirksam geltend zu machen.

Die belangte Behörde konnte daher mit Recht die vor dem fällig gewesenen Getränkesteuerschulden auch für alkoholische Getränke mit Bescheid vom vorschreiben.

Die von der Beschwerdeführerin gerügte Schätzungsbefugnis der belangten Behörde für die Jahre 1998 und 1999 wurde im angefochtenen Bescheid mit "geringfügigen" Abweichungen der erklärten Bemessungsgrundlagen und mit den Abweichungen in den anderen Abrechnungszeiträumen begründet.

Die Befugnis zur Schätzung beruht allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen. Formelle Mängel von Büchern oder Aufzeichnungen berechtigen nur dann zu einer Schätzung, wenn sie derart schwerwiegend sind, dass das Ergebnis der Bücher bzw. Aufzeichnungen nicht mehr glaubwürdig erscheint (Ritz, BAO-Kommentar2, Rz 6 und 9 zu § 184 BAO).

Die sachliche Richtigkeit ordnungsgemäß geführter Bücher und Aufzeichnungen wird im Allgemeinen nur dann in Zweifel zu ziehen sein, wenn beim Umsatz das Ergebnis der Aufschreibungen nicht nur geringfügig abweicht (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/14/0110).

Die belangte Behörde nahm die Schätzungsbefugnis für die Jahre 1998 und 1999 auf Grund der nur geringfügigen Abweichungen der erklärten Bemessungsgrundlagen für diesen Zeitraum und der Abweichungen in anderen Abrechnungszeiträumen in Anspruch und verkannte damit die Rechtslage. Die Schätzungsbefugnis war unter den dargestellten Voraussetzungen für die Abrechnungszeiträume 1998 und 1999 nicht gegeben.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Vorschreibung der Getränkesteuer für die Jahre 1998 und 1999 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Da die Beschwerdeführerin im Übrigen eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzeigte, war die Beschwerde gegen die Getränkesteuerfestsetzung für die Jahre 1995 bis 1997 und 2000 gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den 20 %igen Zuschlag zum Schriftsatzaufwand, der nicht gesondert zuzusprechen war.

Wien, am