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VwGH vom 08.03.1990, 90/16/0008

VwGH vom 08.03.1990, 90/16/0008

Beachte

Besprechung in:

ÖStZB 1990, 394;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Närr und Mag. Meinl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Boigner, über die Beschwerde der N gegen die am erfolgte Beschlagnahme einer Armkette und eines Ringes durch Organe des Zollamtes Brennerpaß, zu Recht erkannt:

Die am durch ein Organ des Zollamtes Brennerpaß erfolgte Beschlagnahme der der Beschwerdeführerin gehörenden Armkette und eines Ringes wird für rechtswidrig erkannt.

Spruch

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die vorliegende, auf Art. 131a B-VG gestützte Maßnahmebeschwerde wendet sich - nachdem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der zunächst an ihn wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums erhobene Beschwerde mit Beschluß vom , B 1107/89, abgelehnt und antragsgemäß nach Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte - dagegen, daß Organe des Zollamtes Brennerpaß am um 15.07 Uhr anläßlich ihrer Einreise nach Österreich im Zuge einer durchgeführten Nachrevision die der Beschwerdeführerin gehörenden beiden Schmuckstücke (eine Armkette und ein Ring) gemäß § 89 Abs. 2 FinStrG beschlagnahmten. Diese - in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzte - Maßnahme sei, so trägt die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vor, rechtswidrig, weil ihr entgegen der ausdrücklichen Anordnung des § 89 Abs. 2 FinStrG weder die Gründe für die Beschlagnahme noch für die Annahme von Gefahr im Verzug bekanntgegeben worden seien. Die Niederschrift (Tatbeschreibung) enthalte unter der Rubrik "Gründe für die Beschlagnahme" lediglich eine Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen. Diese Niederschrift müsse wie ein Bescheid in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüfbar sein, weil es um das verfassungsgesetzlich geschützte Recht des Eigentums gehe. Eine derartige Begründung sei jedoch dem Formblatt nicht zu entnehmen.

Das Zollamt Brennerpaß als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

Auf Grund des in der hier maßgebenden Hinsicht weitgehend übereinstimmenden Vorbringens beider Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sowie des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsaktes stellt der Verwaltungsgerichtshof folgenden Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin, eine österreichische Staatsangehörige, die im Zollgebiet wohnhaft und berufstätig ist, reiste am um 15.00 Uhr mit ihrem Ehegatten aus Italien über das Zollamt Brennerpaß nach Österreich ein. Hierbei wurde das von ihrem Ehegatten gelenkte Fahrzeug vorerst ohne Zollkontrolle durchgewunken. Zirka 50 m nach dem Zollamt wurde eine Nachrevision durchgeführt, wobei, wie der bei den Akten des Verwaltungsverfahrens erliegenden "Tatbeschreibung" zu entnehmen ist, bei der Beschwerdeführerin eine Armkette und ein Ring (mit 15 Steinen) vorgefunden wurden. Zu den beiden, mit keiner österreichischen Punze versehenen Schmuckstücken, gab die Beschwerdeführerin an, daß sie den Ring ca. zwei Jahre vor der verfahrensgegenständlichen Beanstandung in Regensburg (BRD) gekauft habe. Hinsichtlich der Kette gab sie an, diese rund ein Jahr vor der Beanstandung in Italien erworben zu haben. Hinsichtlich beider Schmuckstücke gab die Beschwerdeführerin zu, sie ohne Verzollung nach Österreich eingeführt zu haben. Die Unterlassung der Verzollung rechtfertigte sie damit, daß sie der Auffassung gewesen sei, daß Souvenirgegenstände zollfrei zu belassen seien. Die Beschwerdeführerin gab weiters an, daß sie den Ring um ungefähr 35.000 S und die Kette um 6.000 S käuflich erworben habe. Hierauf verfügte der die Zollabfertigung durchführende Organwalter die Beschlagnahme der streitverfangenen beiden Schmuckstücke.

In dem Vordruck "Tatbeschreibung" werden hiefür folgende vorgedruckten Gründe angeführt:

"Die umseits angeführten Gegenstände waren gem. § 89 Abs. 2 FinStrG zu beschlagnahmen, weil sie gem. §§ 17 Abs. 2, lit. a FinStrG vom Verfall bedroht sind oder als Beweismittel im Finanzstrafverfahren in Betracht kommen. Die Beschlagnahme erfolgte wegen Gefahr im Verzug ohne bescheidmäßige Beschlagnahmeanordnung, weil zu besorgen war, daß ein Zuwarten bis zur Beibringung eines von der zuständigen Finanzstrafbehörde zu erlassenden schriftlichen Bescheides den Zweck der Maßnahme gefährdet hätte."

Der Gerichtshof hat erwogen:

Der bekämpfte Verwaltungsakt wurde von einem Organ der Zollwache gesetzt. Dieser Verwaltungsakt ist jener Behörde zuzurechnen, deren Vollziehungsgewalt der einschreitende Zollwachebeamte gehandhabt hat.

Die angefochtene Maßnahme wurde auf Grund des § 89 Abs. 2 FinStrG durchgeführt. Sie ist daher dem Zollamt Brennerpaß zuzurechnen. Dieses ist die belangte Behörde.

Durch die Beschlagnahme der ihr gehörenden beiden streitverfangenen Schmuckstücke wurde in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin eingegriffen. Dies bedarf keiner weiteren Begründung. Sie ist beschwerdelegitimiert.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die von ihr erhobene Beschwerde zulässig.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Maßnahme ist § 89 Abs. 2 FinStrG idF der Finanzstrafgesetznovelle 1985, BGBl. Nr. 571. Darnach sind bei Gefahr im Verzug neben den Organen der Finanzstrafbehörden auch die Organe der Abgabenbehörden, der Zollwache und des öffentlichen Sicherheitsdienstes berechtigt, die im Abs. 1 bezeichneten Gegenstände auch dann in Beschlag zu nehmen, wenn eine Anordnung der Finanzstrafbehörde nicht vorliegt. In diesem Fall sind dem anwesenden Inhaber die Gründe für die Beschlagnahme und für die Annahme von Gefahr im Verzug mündlich bekanntzugeben und in einer Niederschrift festzuhalten. Die beschlagnahmten Gegenstände sind, falls nicht nach § 90 Abs. 1 zweiter Satz vorgegangen wird, der zuständigen Finanzstrafbehörde abzuführen. Dem Abs. 1 erster Satz des § 89 leg. cit. zufolge hat die Finanzstrafbehörde mit Bescheid die Beschlagnahme von verfallsbedrohten Gegenständen und von Gegenständen, die als Beweismittel in Betracht kommen, anzuordnen, wenn dies zur Sicherung des Verfalls oder zur Beweissicherung geboten ist.

Bei dem Rechtsinstitut der Beschlagnahme handelt es sich um eine Art VORLÄUFIGES Verfahren zur Regelung eines einstweiligen Zustandes, das der zwangsweisen Entziehung der Gewahrsame an einer Sache (Wegnahme) zum Zwecke ihrer Verwahrung dient, und in dem Entscheidungen im Verdachtsbereich und keine abschließenden Lösungen zu treffen sind. Das Wesen der Beschlagnahme besteht darin, daß die Verfügungsgewalt über eine Sache vom Berechtigten auf die Finanzstrafbehörde übergeht. Die Beschlagnahme fügt dem Betroffenen einen im nachhinein nicht wieder behebbaren rechtlichen Nachteil zu. Sie schränkt die Dispositionsbefugnis des Eigentümers bzw. (Rechts-)Besitzers über die beschlagnahmten Gegenstände ein. In solchen Fällen sachgerecht zu verfahren, ist deswegen besonders schwierig, weil in die Rechte der von der Beschlagnahme Betroffenen oft ohne ausreichende Aufklärung des Sachverhalts, unter Umständen auf Grund einseitiger Sachverhaltsdarstellung einer Partei, eingegriffen werden muß. Deswegen sieht § 89 Abs. 2 zweiter Satz FinStrG zum Schutz der davon Betroffenen vor, daß in diesen Fällen eine Niederschrift aufzunehmen ist, in der - wie im Bescheid nach Abs. 1 - die Voraussetzungen der Beschlagnahme zu begründen und außerdem die Gründe, aus welchen Gefahr im Verzug angenommen wurde, anzugeben sind (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 88/16/0199).

Die "Gefahr im Verzug" muß sich auf einen der beiden in § 89 Abs. 1 FinStrG genannten gesetzlichen Zwecke, den Beweismittelverlust oder die Verfallsvereitelung, beziehen. Eine "Verfallsgefährdung" setzt voraus, daß konkrete Umstände naheliegen, daß der vom Verfall bedrohte Gegenstand mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Zugriff der zuständigen Finanzstrafbehörde entzogen werden wird, wenn er nicht sogleich sichergestellt wird. Die Gefahr muß gewissermaßen schon greifbar sein.

Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "Gefahr im Verzug" ("periculum in mora") ist Rechtsanwendung, sodaß es bei einem bestimmten Sachverhalt nur eine richtige Lösung gibt. Sie unterliegt in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Dabei ist bei einer Maßnahmebeschwerde vom Verwaltungsgerichtshof aus einer ex-ante-Sicht zu beurteilen, ob bei der aus eigener Macht durch das Organ der Zollwache verfügten Beschlagnahme "Gefahr im Verzug" vorgelegen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, daß es - wie bereits oben dargelegt - in Gefahrenlagen, in denen höchste Eile geboten ist, schwierig sein mag, sachgerecht und richtig zu verfahren, weil in die Rechte der von der Beschlagnahme Betroffenen oft ohne ausreichende Aufklärung des Sachverhalts, unter Umständen auf Grund einseitiger Sachverhaltsdarstellung einer Partei, eingegriffen werden muß, um den Verfall oder den Beweis zu sichern.

Der Begriff "Gefahr im Verzug" ist im Hinblick auf den mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck der Hintanhaltung der "Verfalls- oder Beweisgefährdung" dahin zu verstehen, daß eine solche konkrete Gefahr dann anzunehmen ist, wenn durch eine bescheidmäßige Anordnung der Beschlagnahme ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge haben würde, daß die von der Finanzstrafbehörde grundsätzlich mit Bescheid auszusprechende Beschlagnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen.

"Gefahr im Verzug" kann nur dann anerkannt werden, wenn die vom Organ der Zollwache aus eigener Macht durchzuführende Beschlagnahme eine Gefährdung erlitte zufolge der Verzögerung, die durch die Erlassung eines die Beschlagnahme aussprechenden Bescheides eintreten würde (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/16/0163).

Diesbezügliche Feststellungen hat der Organwalter des Zollamtes Brennerpaß nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens nicht getroffen. Es widerspräche dem Sinn der in § 89 Abs. 2 zweiter Satz FinStrG getroffenen rechtsstaatlichen Sicherung und dem des Rechtsbegriffes "Gefahr im Verzug", wenn man - wie dies durch die vorgedruckte Begründung der Fall ist - für den Regelfall "Gefahr im Verzug" annehmen und deshalb generell die finanzstrafbehördliche Beschlagnahmeanordnung nach § 89 Abs. 1 FinStrG für entbehrlich halten wollte.

Gemäß § 98 Abs. 2 FinStrG bedürfen nur Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, keines Beweises. Das Gesetz stellt eine Vermutung dafür, daß Gefahr bestehe, daß jeder vom Verfall bedrohte Tatgegenstand (§17 Abs. 2 lit. a FinStrG) dem Zugriff der Finanzstrafbehörde entzogen werde, nicht auf. Dergleichen ist auch nicht offenkundig. Wäre dies der Fall, hätte der Gesetzgeber die Beschlagnahme bei "Gefahr im Verzug" in § 89 Abs. 2 FinStrG bei drohendem Verfall zwingend angeordnet.

Die Beschlagnahme setzt vielmehr voraus, daß die Sicherung des Verfalls oder des Beweises überhaupt GEBOTEN ist. Dies muß fallbezogen überprüft und die Gründe für die Beschlagnahme und für die Annahme von Gefahr im Verzug müssen dem anwesenden Inhaber der Gegenstände mündlich bekanntgegeben und in der aufzunehmenden Niederschrift festgehalten werden.

Diese individuelle Begründungspflicht wurde durch die nur allgemein gehaltene und vorgedruckte Begründung verletzt. Die oben wiedergegebene Begründung für die der belangten Behörde zuzurechnende Amtshandlung entspricht nicht den gesetzlichen Voraussetzungen und erweist sich solcherart als völlig unzulänglich.

Da bei sogenannten faktischen Amtshandlungen eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften von vorneherein ausscheidet (vgl. im Zusammenhang die Ausführungen im bereits zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/16/0163), war der angefochtene Verwaltungsakt gemäß § 42 Abs. 4 VwGG als rechtswidrig zu erklären.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom , BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren ist abzuweisen, weil neben dem für Schriftsatzaufwand allein vorgesehenen PAUSCHbetrag ein gesonderter Zuspruch für Umsatzsteuer im Gesetz nicht vorgesehen ist.