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VwGH vom 24.06.1991, 90/15/0183

VwGH vom 24.06.1991, 90/15/0183

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon sowie die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Steiner, Dr. Mizner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde

1.) des Dr. N und 2.) des Dr. O gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat IX, vom , GZ. 6/4 - 4056/89-o7, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 1979, 1980 und 1986 sowie betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1979 bis 1986,

Spruch

1. den Beschluß gefaßt:

Die Beschwerde wird, soweit sie die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 1986 betrifft, zurückgewiesen;

2. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 1979 und 1980 sowie betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1979 bis 1986 wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Rechtsanwälte und seit zu einer Kanzleigemeinschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts verbunden.

Mit Vorhalt vom , der auf die Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1979 bis 1984 Bezug nahm, ersuchte das Finanzamt um Erläuterung, wodurch die - nicht im Vorsteuerbereich gelegenen - Umsatzsteuergutschriften für die Jahre 1979 bis 1984 entstanden seien.

Mit Eingabe vom gaben die Beschwerdeführer bekannt, daß bei der Erstellung der einzelnen Umsatzsteuer-Voranmeldungen vom Abzug der 10 Prozent an durchlaufenden Posten für Rechtsanwälte im Sinne des § 4 Abs. 4 UStG 1972 nicht Gebrauch gemacht worden sei. Der Abzug sei erst anläßlich der Abgabe der Jahres-Umsatzsteuererklärungen vorgenommen worden.

Im Jahre 1988 führte das Finanzamt eine Betriebsprüfung u. a. hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 1981 bis 1985 durch. Dabei vertrat es den Standpunkt, daß eine Besteuerung nach der Pauschalregelung des § 4 Abs. 4 UStG 1972 nicht zulässig sei, weil sich die Beschwerdeführer "im Voranmeldungsstadium" für die "normale" Besteuerung entschieden hätten.

Auf Grund der Prüfungsfeststellungen wurden sodann die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 1981 bis 1984 sowie betreffend Umsatzsteuer für 1981 bis 1985 erlassen, in denen u.a. der dargestellten Auffassung zur Behandlung der durchlaufenden Posten Rechnung getragen wurde. In der Folge ergingen Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 1979 und 1980 und Bescheide über die Umsatzsteuer 1979 und 1980. In diesen Bescheiden und in dem sodann noch erlassenen Umsatzsteuerbescheid für 1986 wurde die Umsatzsteuer jeweils ohne Berücksichtigung der Pauschalregelung nach § 4 Abs. 4 UStG 1972 ermittelt.

Mit Schriftsatz vom erhoben die Beschwerdeführer Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide 1981 bis 1985 und beantragten die Anwendung der Pauschalregelung im Sinne des § 4 Abs. 4 UStG 1972. In der Rechtsmittelschrift wurde sinngemäß die Auffassung vertreten, die Anwendung des Erlasses des Bundesministerium für Finanzen vom , GZ. 09 0403/1-IV/9/77, betreffend einen vereinfachten Nachweis der durchlaufenden Posten durch solche Abgabenpflichtige, die von der Pauschalregelung des § 4 Abs. 4 UStG 1972 keinen Gebrauch machten, stelle keine Ausübung des dem Steuerpflichtigen zustehenden Wahlrechtes dar.

Im weiteren Schriftsatz ebenfalls vom wurden sowohl die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 1979 und 1980 als auch die Umsatzsteuerbescheide 1979 und 1980 angefochten. Zur Begründung wurde hinsichtlich Wiederaufnahme des Verfahrens insbesondere ausgeführt, anläßlich der Abgabe der Steuererklärungen 1979 und 1980 seien dem Finanzamt die Jahres-Bruttokanzleieinnahmen ebenso zur Verfügung gestanden wie der unter der Ausgabenzusammenstellung dargestellte Wertansatz der kleineren durchlaufenden Posten (insbesondere Gerichtskosten und Stempelmarken). Ein Vergleich der Differenz zwischen den um die geschuldete Jahresumsatzsteuer vermehrten steuerpflichtigen Erlöse laut Umsatzsteuervoranmeldungen und der Summe der erklärten Jahres-Brutto-Kanzleieinnahmen laut Erfolgsrechnung hätte ergeben müssen, daß dieser Differenzbetrag im wesentlichen der Summe der Gerichtskosten- und Stempelaufwände entspricht. Ferner wurde geltend gemacht, daß die - durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 85/15/0204 - eingetretene Änderung der Rechtsauslegung im Sinne des § 307 Abs. 2 BAO nicht zum Nachteil der Partei berücksichtigt werden dürfe. Zur Anfechtung der Umsatzsteuer für 1979 und 1980 wurde auf den vorgenannten Schriftsatz betreffend Umsatzsteuer 1981 bis 1985 hingewiesen.

In einem weiteren Schriftsatz vom wurde schließlich gegen den Umsatzsteuerbescheid 1986 Berufung eingelegt und ebenfalls die Anwendung des § 4 Abs. 4 UStG 1972 begehrt.

Abgesehen von dem nicht mehr den Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bildenden Streitpunkt eines das Jahr 1979 betreffenden Verspätungszuschlages wies die belangte Behörde die Berufungen mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihren Rechten auf Anwendung des § 307 Abs. 2 BAO bzw. Nichtanwendung des § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 1979, 1980 und 1986 sowie auf Anwendung des § 4 Abs. 4 UStG 1972 hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 1979 bis 1986 verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

I, WIEDERAUFNAHME DES VERFAHRENS HINSICHTLICH

"UMSATZSTEUER 1986"

Die angefochtene Berufungsentscheidung hat einen Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 1986 nicht zum Gegenstand, zumal es sich bei der beschwerdegegenständlichen Umsatzsteuerfestsetzung für 1986 durch die Abgabenbehörde erster Instanz um eine erstmalige Festsetzung handelt. Da der angefochtene Bescheid insoweit einen Inhalt der in der Beschwerde bezeichneten Art gar nicht aufweist, kann auch keine vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfbare Rechtsverletzung mit Aussicht auf Erfolg behauptet werden (vgl. den hg. Beschluß vom , Slg. Nr. 7445/A). In diesem Punkt war die Beschwerde somit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.

II. WIEDERAUFNAHME DES VERFAHRENS HINSICHTLICH

UMSATZSTEUER 1979 UND 1980

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Im Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens darf in der Sachentscheidung gemäß § 307 Abs. 2 BAO eine seit Erlassung des früheren Bescheides eingetretene Änderung der Rechtsauslegung, die sich auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes oder auf eine allgemeine Weisung des Bundesministeriums für Finanzen stützt, nicht zum Nachteil der Partei berücksichtigt werden.

Tatsachen im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/15/0118).

Erstmals durch die über eine entsprechende Anfrage erfolgte Eingabe vom wurde der Abgabenbehörde bekannt, daß die Beschwerdeführer in den einzelnen die Jahre 1979 bis 1984 betreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen von der Pauschalregelung des § 4 Abs. 4 UStG 1972 nicht Gebrauch gemacht hatten, den Abzug vielmehr erst anläßlich der Jahres-Umsatzsteuererklärung für die genannten Jahre vorgenommen hatten. Dies stellt eine neu hervorgekommene Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO dar, die - wie noch im folgenden darzustellen ist - zu einem anderen Ergebnis als in den erstmals erlassenen Umsatzsteuerbescheiden 1979 und 1980 zu führen hatte.

Der Wertung der Angaben in der Eingabe vom als neu hervorgekommene Tatsachen kann auch nicht entgegengehalten werden, daß das Finanzamt durch Gegenüberstellung von Angaben in den Umsatzsteuererklärungen und in den gleichzeitig eingereichten Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen erkennen hätte können, daß die Differenz zwischen den um die geschuldete Jahresumsatzsteuer vermehrten Erlösen laut Voranmeldungen und den Einnahmen "im wesentlichen" der Summe der Aufwendungen für Gerichtskosten und Stempelgebühren entspricht. Zum einen gestehen die Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen selbst zu, daß solcherart eine exakte Nachprüfung nicht möglich war, zum anderen wird das Hervorkommen neuer Sachverhaltselemente im Sinne des § 303 BAO durch die Möglichkeit mehr oder minder aufwendiger Schlußfolgerungen aus anderen Sachverhaltselementen nicht berührt.

Der Hinweis der Beschwerdeführer auf die Offenkundigkeit der Differenzen zwischen den Jahressummen der Voranmeldungen für die Jahre 1979 und 1980 und den jeweiligen Umsatzsteuererklärungen geht schon deswegen ins Leere, weil bei einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO ein allfälliges Verschulden der Behörde an der Nichtausforschung gegebener Sachverhaltselemente die Wiederaufnahme nicht ausschließt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/13/0245).

Der Hinweis auf § 307 Abs. 2 BAO vermag der Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Voraussetzung für die Anwendung dieser Gesetzesstelle ist, daß seit Erlassung des früheren Bescheides eine Änderung der Rechtsauslegung eingetreten ist. Eine solche Änderung ist aber in der Auslegung der hier maßgeblichen Gesetzesstelle des § 4 Abs. 4 UStG 1972 nicht eingetreten: Im hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/15/0204, ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß sich die Abgabenbehörde bei ihrer Rechtsauslegung auf die von der Literatur (Dorazil-Frühwald-Hock-Mayer-Paukowitsch, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz 1972, 12. Lfg., Anm. 9 I/§ 4) vertretene Ansicht gestützt hat. Im übrigen hat sich der Verwaltungsgerichtshof im letztgenannten Erkenntnis mit der beschwerdegegenständlichen Rechtsfrage erstmals befaßt; die erstmalige Äußerung einer Rechtsansicht erfüllt den Tatbestand des § 307 Abs. 2 BAO aber von vornherein nicht (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senats vom , Zlen. 3030, 3059/79, Slg. Nr. 5536/F, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 84/15/0221, Slg. Nr. 6106/F). III. UMSATZSTEUER 1979 BIS 1986

Gemäß § 4 Abs. 4 UStG 1972 sind Rechtsanwälte und Notare befugt, zur Abgeltung der zahlreichen kleinen Beträge an durchlaufenden Posten, insbesondere der Gerichtsgebühren und Stempelkosten einen Pauschalabzug von 10 v.H. der gesamten vereinnahmten Beträge nach Abzug der anderen Beträge an durchlaufenden Posten wie der Streit- oder Vergleichssummen und der Hypothekargelder vorzunehmen.

Die im Beschwerdefall strittige Frage, bis zu welchem Zeitpunkt bzw. Verfahrensabschnitt sich der jeweilige Rechtsanwalt oder Notar entscheiden muß, ob er "normal" versteuert oder die Regelung nach § 4 Abs. 4 UStG 1972 in Anspruch nimmt, wurde vom Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Zl. 85/15/0204, entschieden. Auf § 43 Abs. 2 VwGG wird in diesem Zusammenhang verwiesen.

Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß die Beschwerdeführer die Voranmeldungen an Umsatzsteuer in allen Streitjahren ohne Inanspruchnahme der Pauschalierung im Sinne des § 4 Abs. 4 UStG 1972 erstattet haben. Diese mit Abgabe der Voranmeldungen konkludent zum Ausdruck gebrachte Willenserklärung, wonach die Beschwerdeführer für den jeweiligen Abrechnungszeitraum von der ihnen in der angeführten Gesetzesstelle eingeräumten Befugnis der Pauschalierung keinen Gebrauch machen wollen, hat die Beschwerdeführer für die jeweiligen Streitjahre gebunden. Eine Inanspruchnahme des Pauschalabzuges in der jeweiligen (Jahres-)Umsatzsteuererklärung kam damit nicht mehr in Betracht.

Die Beschwerdeführer können auch aus ihrem Hinweis auf einen Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen, der einen vereinfachten Nachweis bzw. eine vereinfachte Verrechnung der durchlaufenden Posten für jene Rechtsanwälte und Notare vorsieht, die von der Pauschalregelung des § 4 Abs. 4 UStG 1972 keinen Gebrauch machen, nichts gewinnen. Der Umstand, daß die Beschwerdeführer in den jeweiligen Voranmeldungen ihre Umsätze nicht dem Gesetz entsprechend, sondern der vereinfachten Verrechnung des Erlasses - der schon mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt keine subjektive Rechte der Beschwerdeführer begründende Rechtsvorschrift darstellt - folgend ermittelt haben, ist für die streitgegenständliche Rechtsfrage nicht von Bedeutung. Schon deshalb, weil die Pauschalbesteuerung im Sinne des § 4 Abs. 4 UStG 1972 nicht aus Gründen der Steuerermäßigung, sondern der Verrechnungsvereinfachung normiert ist, muß die in dieser Gesetzesstelle eingeräumte Befugnis vom Abgabepflichtigen immer im vorhinein und nicht erst nach Durchführung der erspart bleiben sollenden Einzelberechnung gewählt werden (vgl. nochmals das Erkenntnis vom , Zl. 85/15/0204). Hat sich der Steuerpflichtige somit in der ersten Voranmeldung des Abrechnungszeitraumes nicht für die Inanspruchnahme des Pauschalabzuges entschieden, so ist es nicht mehr maßgeblich, auf welche Weise sonst die Ermittlung der Umsätze erfolgte. Somit erweist sich die Rechtsrüge der Beschwerdeführer als unbegründet.

Bei dieser Rechtslage kann auch keine Rede davon sein, daß der Sachverhalt von der belangten Behörde in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, sodaß auch eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht vorliegt.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.