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VwGH vom 19.12.2001, 96/13/0112

VwGH vom 19.12.2001, 96/13/0112

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zehetner, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien I, Gonzagagasse 3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GA 8 - 1562/96, betreffend Schulfahrtbeihilfe für das Schul(Studien-)jahr 1994/95, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, dessen Sohn A. (geboren am ) in Straßburg, Frankreich, in den Schul(Studien-)jahren 1993/94 und 1994/95 studierte, stellte beim Finanzamt hinsichtlich dieses Kindes für das Schul(Studien-)

jahr 1994/95 den Antrag auf Gewährung einer Schulfahrtbeihilfe. Der Sohn des Beschwerdeführers besuche die Schule in Straßburg nicht vom Hauptwohnort (an der selben Anschrift wie der des Beschwerdeführers selbst), sondern von einer Zweitunterkunft in der Nähe des Schulortes aus. Die Entfernung zwischen der Wohnung im Hauptwohnort und der Zweitunterkunft in einer Richtung betrage 890 km. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag damit, dass die von seinem Sohn in Straßburg besuchte Fachhochschule in Österreich insoweit keine Entsprechung habe, als die Studienform "Fachhochschule" in Österreich erst mit dem Studienjahr 1994/95 eingeführt worden sei, der Sohn des Beschwerdeführers sein Studium in Straßburg jedoch bereits im Studienjahr 1993/94 begonnen habe und sich im ersten Jahr, in dem in Österreich diese Ausbildungsform vorgesehen sei, bereits im zweiten Studienjahr befunden habe. Es sei daher, weil im Studienjahr 1994/95 in Österreich das zweite Studienjahr noch nicht angeboten worden sei, die Fortführung der Studien des Sohnes des Beschwerdeführers an einer "gleichartigen" Schule im Ausland allein offen geblieben.

Das Finanzamt wies diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 30a Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 - FLAG, dass

a) eine öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule im Inland als ordentlicher Schüler, oder

b) eine gleichartige Schule im grenznahen Gebiet im Ausland als ordentlicher Schüler besucht wird, die für das Kind günstiger zu erreichen ist als eine inländische Schule,

nicht gegeben seien.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Sohn zwingend eine dem österreichischen Schulgesetz entsprechende gleichartige Schule im Ausland zu besuchen gehabt hätte, weil es eine der gewählten Schule entsprechende Studienrichtung und ein entsprechendes Niveau im Inland nicht gegeben habe. Die Gesetzesauflage "günstiger zu erreichen" (im § 30a Abs. 1 lit. b FLAG) sei erfüllt, da es sich "im Vergleich mit einer nicht existenten Inlandseinrichtung" handle. Weiters sei zu beachten, dass es sich um ein Hochschulstudium handle und das Angebot dieser Weiterbildung sich auf Ballungszentren beschränke, die sich selten in Grenzesnähe präsentieren, und dass der Begriff "grenznahe" im Gesetzestext nicht definiert sei.

Im Vorlageantrag gegen die abweisende Berufungsvorentscheidung brachte der Beschwerdeführer vor, dass die "EU-Gesetzgebung" unberücksichtigt geblieben sei. Neben Art. 73 (gemeint wohl: der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates) sei das "" anzuwenden, dass, wenn steuerliche Vorschriften eines Mitgliedstaates auf seine sozialrechtlichen Vorschriften verweisen, für die Gewährung und Höhe einer Leistung die Voraussetzung als erfüllt anzusehen sei, wenn das Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohne.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Hinsichtlich des Anspruches auf Familienbeihilfe und der vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe "Schule" und "Schüler" bestehe kein Streit. Es sei jedoch eine weitere Voraussetzung des § 30a Abs. 1 FLAG nicht erfüllt. Der dort verwendete Begriff "im grenznahen Gebiet" sei im Gesetz nicht näher bestimmt. In Anlehnung an die Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffes der "Reise" und des "Nahebereiches von der Betriebsstätte" gehe die belangte Behörde davon aus, dass eine Schule im grenznahen Gebiet gelegen sei, wenn die Entfernung zwischen Grenze und dem Schulort nicht größer als 20 bis 25 km sei. Daher stehe die beantragte Schulfahrtbeihilfe nicht zu, weil die Entfernung Staatsgrenze - Straßburg diese Entfernung weit übersteige.

Mit dem Hinweis auf die EU-Gesetzgebung und -Rechtsprechung könne der Beschwerdeführer nichts für sich gewinnen, weil es sich bei Schulfahrtbeihilfe und Schülerfreifahrten um Leistungen handle, die trotz Zuerkennung auch an Schüler einer grenznahen Schule im Ausland "auf das Inland radiziert" seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde unter Bedachtnahme auf eine Replik des Beschwerdeführers erwogen:

§ 30a Abs. 1 FLAG in der für den Streitzeitraum anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 511/1994 lautet:

"§ 30a. (1) Anspruch auf Schulfahrtbeihilfe haben Personen für Kinder, für die ihnen Familienbeihilfe gewährt oder ausgezahlt (§ 12) wird oder für die sie nur deswegen keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, weil sie Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben (§ 4 Abs. 1), wenn das Kind

a) eine öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule im Inland als ordentlicher Schüler besucht oder

b) eine gleichartige Schule im grenznahen Gebiet im Ausland als ordentlicher Schüler besucht, die für das Kind günstiger zu erreichen ist als eine inländische Schule, wenn bei Pflichtschulen hiefür die schulbehördliche Bewilligung vorliegt, oder

c) .....

und der kürzeste Weg zwischen der Wohnung im Inland und der Schule in einer Richtung (Schulweg) mindestens 2 km lang ist. ....."

§ 30c Abs. 4 FLAG leg. cit. in der für den Streitzeitraum anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 511/1994 lautete bis zu seiner Aufhebung durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 297/1995:

"§ 30c. (4) Die Schulfahrtbeihilfe beträgt, wenn der Schüler

für Zwecke des Schulbesuches eine Zweitunterkunft außerhalb seines

inländischen Hauptwohnortes am Schulort oder in der Nähe des

Schulortes bewohnt, bei einer Entfernung zwischen der Wohnung im

Hauptwohnort und der Zweitunterkunft

a) bis einschließlich 50 km monatlich

.................................................. 260 S,

b) über 50 km bis einschließlich 100 km monatlich

.......................... 440 S,

c) über 100 km bis einschließlich 200 km monatlich

........................... 520 S,

d) über 200 km bis einschließlich 400 km monatlich

........................... 600 S,

e) über 400 km bis einschließlich 600 km monatlich

........................... 660 S,

f) über 600 km bis einschließlich 800 km monatlich

........................... 720 S,

g) über 800 km monatlich

....................................................................

800 S,

Die Entfernung ist nach der Wegstrecke des zwischen der Wohnung im Hauptwohnort und der Zweitunterkunft verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels zu messen. Sofern ein öffentliches Verkehrsmittel auf der Strecke nicht verkehrt, ist die Entfernung nach der kürzesten Straßenverbindung zu messen."

Die vom Sohn des Beschwerdeführers besuchte Schule liegt nicht im Inland (§ 30 Abs. 1 lit. a FLAG). Wenn die belangte Behörde bei einer Entfernung zwischen der Staatsgrenze und dem Schulort von mehreren hundert Kilometern davon ausgegangen ist, dass es sich bei der betreffenden Schule im Ausland nicht um eine solche "im grenznahen Gebiet" handle (§ 30a Abs. 1 lit. b FLAG), kann darin keine Rechtswidrigkeit erkannt werden.

Der Beschwerdeführer sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin gelegen, dass er zwingendes EG-Recht verletze.

Nach Art. 48 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung vor der Änderung durch den Vertrag von Amsterdam vom , ABl EG Nr. C 340 vom , S. 1, (Art. 48 EGV, nunmehr Art. 39 EG) umfasst die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Sie gibt - vorbehaltlich hier nicht interessierender Beschränkungen - den Arbeitnehmern u.a. das Recht, sich in einem Mitgliedsstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben. Nach Art. 51 EGV (nunmehr Art. 42 EG) beschließt der Rat die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen.

Auf dieser Grundlage wurde die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom , ABl EG Nr. L 149 vom , S. 2, erlassen.

Nach Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom , ABl EG Nr. L 331 vom , S. 1, hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Schulfahrtbeihilfe nach § 30a FLAG um eine Familienleistung im Sinn des Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 handelt, wie sie der in den Rechtssachen Hoever und Zachow, Rs. C-245/94 und C-312/94, Slg I- 4895, beschrieben hat, nämlich um eine Leistung, die unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit ohne weiteres den Personen gewährt wird, die bestimmte objektive Voraussetzungen erfüllen, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient.

Für die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 wird nämlich durch deren Art. 1 Buchstabe h der Begriff "Wohnort" als der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts und mit deren Art. 1 Buchstabe i der Begriff "Aufenthalt" als der vorübergehende Aufenthalt definiert. Der Swaddling, Rs. C-90/97, Slg I-1075, ausgesprochen, dass der Ausdruck "Wohnort" im Sinn dieser Verordnung eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung hat. Im Zusammenhang mit dem Begriff des "Wohnmitgliedstaats" im Art. 10a der Verordnung wird damit der Staat bezeichnet, in dem der Betroffene gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befindet. Die Dauer des Wohnens ist (nur) in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Bereits im hat der EuGH in der Rechtssache Knoch, Rs. C-102/91, Slg I-4341, ausgesprochen (21. Erwägungsgrund), dass der Begriff des "Mitgliedstaats ..., in dessen Gebiet sie wohnen" auf den Staat zu beschränken ist, in dem der Arbeitnehmer, obgleich in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt, weiterhin gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befindet. Diese zu Art. 71 der Verordnung Nr. 1408/71 ergangene Aussage trifft nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch auf Art. 73 der zitierten Verordnung zu.

Da der Sohn des Beschwerdeführers - wie aus dem in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Antrag auf Gewährung der Schulfahrtbeihilfe ersichtlich - den Hauptwohnort unverändert an der Anschrift seines Vaters in Österreich hatte und der Schulbesuch von einer Zweitunterkunft aus erfolgte, welche wohl nur für die Dauer des Schulbesuches in Anspruch genommen wurde, und da der Beschwerdeführer in einer Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde die Absicht des Sohnes einräumt, nach Schulende an den Familienwohnort zurückzukehren, kann die von den übrigen Gesichtspunkten losgelöste Anführung der Dauer des Aufenthaltes (der Beschwerdeführer spricht von 20 Monaten innerhalb der letzten 24 Monate) nicht ausschlaggebend sein und kann nicht von einem vorübergehenden Aufenthalt des Sohnes des Beschwerdeführers am Schulort zu einem gewöhnlichen Aufenthalt und damit zu einem Wohnort im Sinne des Art. 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 führen.

Bestärkt wird diese Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes dadurch, dass der Verordnung Nr. 1408/71 nach dem streitigen Schul(Studien-)jahr mit der Verordnung (EWG) Nr. 1290/97 vom , ABl EG Nr. L 176 vom , S. 1, ein Art. 22c eingefügt wurde, womit Personen, die sich aus Studien- oder Berufsbildungsgründen in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen aufhalten, Anspruch gemäß den Bestimmungen des Art. 22 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung 1408/71 (Leistungen im Krankheitsfall) gewährt werden soll. Dies wäre nicht nötig gewesen, wenn ein solcher Aufenthalt im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 ohnehin schon dem Begriff des "Wohnens" gleichzuhalten wäre.

Da somit der Sohn des Beschwerdeführers nicht in einem anderen Mitgliedstaat seinen Wohnort im Sinn der Verordnung Nr. 1408/71 hatte, war die Bestimmung des Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 schon deshalb nicht anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Zweifel in der Auslegung der erwähnten Gemeinschaftsvorschriften und hält es deshalb nicht für erforderlich, eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 EG einzuholen.

Da die Beschwerde somit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen vermochte, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am