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VwGH vom 30.04.2003, 2002/16/0076

VwGH vom 30.04.2003, 2002/16/0076

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der H Getränkegesellschaft m.b.H. in L, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , GZ AO-7000/3-T3/00, betreffend Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.088 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom erstattete die M Ges.m.b.H., Vereinigte Weinkellereien, in Innsbruck Selbstanzeige, dass in den Jahren 1992, 1993 und 1994 im Rahmen des "Accordino-Abkommens" eingangsabgabenfrei eingeführte Mengen an Wein an Abnehmer außerhalb Tirols und Vorarlbergs verkauft worden seien.

Über eine daraufhin vorgenommene abgabenbehördliche Prüfung wurde am eine Niederschrift mit zwei Geschäftsführern der "P Getränkehandel Ges.m.b.H. (früher:

Vereinigte Weinkellerei M GesmbH. bzw M. & G GesmbH)" aufgenommen. Den von den Geschäftsführern auf die Niederschrift gesetzten Unterschriften war der Stempelaufdruck "Hermann P Getränke Ges.m.b.H.", L (= Beschwerdeführerin) beigefügt.

Das Hauptzollamt Innsbruck erließ am an die "P Getränkehandel Ges.m.b.H." in Innsbruck einen Bescheid betreffend die Festsetzung von kraft Gesetzes entstandenen Einfuhrabgaben.

Mit Schriftsatz vom erhob die "Hermann P Getränke Ges.m.b.H.", L, Berufung gegen den Bescheid vom , wobei unter anderem Verjährung der Abgaben eingewendet wurde.

Mit einer an die "Hermann P Getränke Gesellschaft mbH" in L gerichteten Berufungsvorentscheidung vom wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde unter anderem die Auffassung vertreten, zur Beurteilung des Eintritts der Verjährung seien im Beschwerdefall die Bestimmungen der §§ 207 Abs 2 erster Satz und 208 Abs 1 lit a BAO anzuwenden. Die Voraussetzungen für die Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist lägen "mangels Nachweisbarkeit eines vorsätzlichen Handelns" nicht vor.

In dem gegen die Berufungsvorentscheidung von der "Hermann P Getränke Gesellschaft mbH" erhobenen "Vorlageantrag" wurde unter anderem eingewendet, der Abgabenbescheid sei an eine nicht existierende "P Getränkehandel Ges.m.b.H." adressiert gewesen. Es gebe in der Firmengruppe P mehrere Gesellschaften. Zur Verjährung wurde die Auffassung vertreten, dass die dreijährige Verjährungsfrist längst abgelaufen sei.

In den Verwaltungsakten erliegen am hergestellte Auszüge aus dem Firmenbuch des Landesgerichtes Feldkirch. Danach waren bei diesem Gericht unter FN 64433 f eine Firma "Hermann P Getränke Gesellschaft mbH" mit der Geschäftsanschrift L, und unter FN 64440 s eine Firma "Getränkebetrieb Gesellschaft mbH" ebenfalls mit der Geschäftsanschrift L, eingetragen.

Mit dem angefochtenen - an die Hermann P Getränke Gesellschaft mbH in L gerichteten - Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurde unter anderem von der belangten Behörde eingeräumt, dass der erstinstanzliche Bescheid die Beschwerdeführerin nicht exakt bezeichnet habe. Die Beschwerdeführerin habe aber durch die Unterfertigung der Niederschrift von der beabsichtigten Abgabenvorschreibung gewusst. Sie habe den Bescheid auch erhalten. Die Beschwerdeführerin habe sich in der Berufung nur inhaltlich gegen die Abgabenvorschreibung gewandt. Die Identifizierung der "Personengesellschaft", die an dem mit der Anschrift bezeichneten Ort eine Niederlassung betreibe, sei durch die fehlerhafte Bezeichnung des Firmenwortlauts nicht in Frage gestellt worden. Hinsichtlich der Verjährung wurde die Auffassung vertreten, deswegen, weil die Vorschreibung am erfolgt sei, komme die "alte fünfjährige Verjährung" zur Anwendung.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1066/01, wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - in welcher allein die Frage aufgeworfen wurde, ob das so genannte Accordino (Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino - Alto Adige, BGBl. Nr. 125/1957) so zu interpretieren sei, dass die Zollbegünstigung (nachträglich) verloren geht, wenn die begünstigten Waren außerhalb Tirols und Vorarlbergs veräußert (verbraucht) werden - abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf "Nichtvorschreibung nicht geschuldeter Abgaben", "Identität des Bescheidadressaten" und "Beachtung der Verjährung" verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, dass der erstinstanzliche Abgabenbescheid an eine "nicht existierende" GmbH ergangen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass das "Deuten" eines bloß fehlerhaft bezeichneten Bescheidadressaten zulässig und geboten ist (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 94/17/0419). So ist eine unrichtige Bezeichnung einer im Firmenbuch eingetragenen Gesellschaft nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann unbeachtlich, wenn nach der Verkehrsauffassung keine Zweifel an der Identität des Empfängers bestehen (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2001/16/0273).

Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, es gebe zwei Gesellschaften, die als Adressaten des Erstbescheides in Betracht kämen, nämlich die Hermann P Getränke Gesellschaft m.b.H. einerseits und die Getränkebetrieb Gesellschaft m.b.H. andererseits. Damit übersieht die Beschwerdeführerin aber, dass sowohl in ihrem tatsächlichen Firmenwortlaut als auch in der (fehlerhaften) Bezeichnung des erstinstanzlichen Bescheides der Familienname des Gesellschafters P enthalten ist, also einer natürlichen Person, deren Name im Handelsverkehr für die Bezeichnung des in Rede stehenden Getränkekonzerns bestimmend ist. Überdies wurde der erstinstanzliche Bescheid an die in Innsbruck von der Beschwerdeführerin unterhaltene Betriebsstätte adressiert. Die Möglichkeit einer Verwechslung mit der in ihrem Firmennamen den Namen einer natürlichen Person gar nicht aufweisenden Holdinggesellschaft "Getränkehandel GmbH" mit dem Sitz in L erscheint damit aber ausgeschlossen, zumal die "Getränkehandel GmbH" nach dem Firmenbuchauszug keine operative Tätigkeit ausübt. Es konnte daher kein Zweifel an der Identität des Empfängers bestehen.

Soweit die Beschwerdeführerin jedoch Verjährung der in Rede stehenden Abgaben einwendet, ist davon auszugehen, dass es sich bei abgabenrechtlichen Verjährungsbestimmungen um Bestimmungen des Verfahrensrechts handelt, bei denen es nicht auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches, sondern auf die im Zeitpunkt von dessen Durchsetzung (Abgabenfestsetzung) gegebenen Verhältnisse ankommt (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 87/17/0271). Bei Änderungen verfahrensgesetzlicher Rechtsvorschriften ist im Allgemeinen das neue Recht ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens anzuwenden, und zwar auch auf solche Rechtsvorgänge, die sich vor Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechtes ereignet haben (vgl Stoll, BAO-Kommentar, 62).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem - auch von der belangten Behörde bezogenen - Erkenntnis vom , Zl 96/16/0073, mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, war auf Grund der Übergangsbestimmungen des § 122 Abs 2 ZollR-DG in seiner Stammfassung zunächst davon auszugehen, dass für vor dem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften entstandene Eingangsabgaben die vor dem in Kraft gestandenen Verjährungsbestimmungen - also § 207 Abs 2 BAO idF vor Inkrafttreten des BG BGBl Nr. 651/1994 - anzuwenden waren. Hingegen umfasst ab der im Bundesgesetzblatt am verlautbarten Änderung des § 122 Abs 2 ZollR-DG auf Grund der Novelle BGBl. Nr. 13/1998 der Begriff "Vorschreibung" nach dieser Bestimmung auch die Verjährung. Daher gilt ab dem angeführten Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung in dieser Fassung das Zollrecht im Sinne des § 2 ZollR-DG auch für die Beurteilung der Verjährung für vor dem Beitritt entstandene Abgabenschuldigkeiten. Nach § 2 ZollR-DG iVm § 1 Abs 2 Z 1 leg cit gehört zum Zollrecht insbesondere der Zollkodex (ZK). Nach Artikel 221 Absatz 3 ZK idF der seit geltenden Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (EG) Nr. 2700/2000 darf die Mitteilung des Abgabenbetrages an den Zollschuldner nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Diese Frist wird ab dem Zeitpunkt ausgesetzt, in dem ein Rechtsbehelf gemäß Artikel 243 ZK eingelegt wird, und zwar für die Dauer des Rechtsbehelfs.

Die Gesetzmäßigkeit eines vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides ist grundsätzlich nach der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides geltenden Rechtslage zu beurteilen. Die Rechtsmittelbehörde hat also im Allgemeinen - insbesondere abgesehen von dem bei der Anwendung materiellen Abgabenrechts zu beachtenden Grundsatz der Zeitbezogenheit der Abgaben - das im Zeitpunkt der Erlassung des Rechtsmittelbescheides geltende Recht anzuwenden (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 105 und die dort wiedergegebene hg Rechtsprechung). Hingegen kommt es auf den Zeitpunkt der Vorschreibung der Abgaben durch die Abgabenbehörde erster Instanz entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht an.

Da somit im Beschwerdefall die Verjährungsbestimmungen des Artikel 221 Abs 3 ZKG zur Anwendung kommen, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig.

Für das fortgesetzte Verfahren auf Folgendes hinzuweisen:

Für die Berechnung der Verjährungsfrist im Sinne der angeführten Kodexstelle ist die Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom (Fristenverordnung) maßgeblich. So beginnt nach Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe c dieser Verordnung eine nach Jahren bemessene Frist am Anfang der ersten Stunde des ersten Tages der Frist und endet mit Ablauf der letzten Stunde des Tages des letzten Jahres, der dieselbe Bezeichnung wie der Tag des Fristbeginns trägt.

Weiters ist davon auszugehen, dass im Zollkodex keine Bestimmungen über eine Unterbrechung der Verjährung enthalten sind. Der Bescheid vom war (gemäß § 74 Abs. 1 ZollK-DG) jene Mitteilung nach Artikel 221 Absatz 1 ZK, die iS des Artikel 221 Absatz 3 ZK für die Beurteilung der Verjährungsfrage maßgeblich ist. Eine drei Jahre vor der Zustellung dieses Bescheides entstandene Zollschuld durfte daher nicht mehr zum Gegenstand dieser "Mitteilung" gemacht werden.

Aus den oben angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben, wobei von der Durchführung der beantragten Verhandlung aus den Gründen des § 39 Abs 2 Z 6 VwGG abgesehen werden konnte.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am