VwGH vom 20.01.1992, 90/15/0085
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der B-GmbH in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom , Zl. 427/4-8/E-1990, betreffend Feststellung des gemeinen Wertes von Gesellschaftsanteilen zum , zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Das Stammkapital der beschwerdeführenden Gesellschaft m.b.H. beträgt S 4,100.000,--. Mit Notariatsakt vom wurde die Abtretung eines von einem der Gesellschafter gehaltenen Geschäftsanteiles von 50 %, entsprechend einer voll eingezahlten Stammeinlage von S 2,050.000,--, an vier diesen zu gleichen Teilen erwerbende Käufer um einen Abtretungspreis von S 36 Mio beurkundet. Dieser Abtretungspreis wurde von den Vertragspartnern gemäß Punkt IV der Vertragsurkunde unter Berücksichtigung des inneren Wertes des Unternehmens und auf der Grundlage der Bilanz zum , welche ein Eigenkapital in der Höhe von S 13,811.356,-- auswies, festgelegt. Der Abtretungspreis sollte sich erhöhen oder vermindern um die Hälfte jenes Betrages, um den das vorgenannte bilanzielle Eigenkapital gegenüber dem in der Bilanz zum ausgewiesenen differiere. Im Hinblick auf die zuletzt genannte Vertragsbestimmung wurde der Kaufpreis schließlich mit insgesamt S 35,293.570,50 festgestellt.
Mit Bescheid des Finanzamtes vom wurde der gemeine Wert der Anteile an der Beschwerdeführerin zum auf Grund einer Schätzung des Vermögenswertes und des Ertragswertes mit S 2.695,-- je S 100,-- des Stammkapitals festgestellt.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung beantragte die Beschwerdeführerin, den gemeinen Wert der Anteile mit S 1.752,-- je S 100,-- des Stammkapitals festzustellen. Sie legte unter anderem dar, die Annahme eines Ertragswertes in der Höhe des Sechsfachen des Vermögenswertes sei überhöht; dies zeige auch der für die Abtretung eines Geschäftsanteiles von 50 % des Stammkapitals am vereinbarte Preis von S 35,293.570,50.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung als unbegründet ab.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz begehrte die Beschwerdeführerin, den gemeinen Wert der Anteile aus dem am stattgefundenen Verkauf von 50 % der Anteile abzuleiten und mit S 1.721,-- festzustellen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit statt, als sie den gemeinen Wert der Anteile zum mit S 2.425,-- je S 100,-- des eingezahlten Stammkapitals feststellte; im übrigen wies sie die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage u. a. ausgeführt, bei dem mit Notariaktsakt vom beurkundeten Verkauf handle es sich um EINEN Erwerbsvorgang, bei dem die gleichen Überlegungen in der Kaufpreisbildung maßgeblich gewesen seien. Da somit nur EIN Verkauf stattgefunden habe, scheide diese Transaktion, wenngleich sie 50 % des Stammkapitals betroffen habe, aus der Betrachtung aus. Überdies liege der Verkauf schon erheblich vom Feststellungszeitpunkt entfernt. Ungewöhnliche oder persönliche Momente bei der Preisbildung seien auf Grund der Aktenlage nicht erkennbar. Der gemeine Wert sei daher im Schätzungswege zu ermitteln.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht
Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 13 Abs. 2 BewG ist (u.a.) für Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung der gemeine Wert (§ 10) maßgebend. Läßt sich der gemeine Wert aus Verkäufen nicht ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen.
Gemäß § 10 Abs. 1 BewG ist bei Bewertungen, soweit nicht anderes vorgeschrieben ist, der gemeine Wert zugrunde zu legen. Gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.
Gemäß § 65 Abs. 1 BewG sind für den Bestand und die Bewertung die Verhältnisse im Feststellungszeitpunkt maßgebend. Für die Bewertung von Wertpapieren, Anteilen und Genußscheinen an Kapitalgesellschaften gilt der Stichtag, der sich nach § 71 leg. cit. ergibt. Stichtag für die Bewertung (u.a.) von Anteilen an Gesellschaften m.b.H. ist gemäß § 71 Abs. 1 BewG der 31. Dezember des Jahres, das dem für die Hauptveranlagung zur Vermögensteuer maßgebenden Zeitpunkt vorangeht.
Im Beschwerdefall ist strittig, ob der gemeine Wert der Anteile aus dem am erfolgten Verkauf abzuleiten oder unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen war.
Die belangte Behörde vertritt zunächst die Auffassung, der gemeine Wert könne schon deshalb nicht "aus Verkäufen" im Sinne des § 13 Abs. 2 zweiter Satz BewG abgeleitet werden, weil es sich bei dem am erfolgten Erwerbsvorgang nur um "EINEN Verkauf" handle.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt im vorliegenden Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein einzelner Verkauf für die Ableitung des gemeinen Wertes von Anteilen (arg.: "aus Verkäufen") nicht genüge (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 5237/F, vom , Zl. 88/15/0077, und vom , Zlen. 89/15/0003, 0004). Dabei komme es nicht auf die Anzahl der bei den einzelnen Verkäufen zum Verkauf gelangenden Anteile an (vgl. die bereits zitierten hg. Erkenntnisse vom , Slg. 5237/F, und vom , Zl. 88/15/0077).
Ob diese Auffassung uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann, muß im Beschwerdefall nicht entschieden werden. Auch unter dem für die oben wiedergegebene Auffassung ausschlaggebenden Gesichtspunkt, daß in der Regel nur eine Mehrzahl von Verkäufen den Schluß auf das Vorliegen eines einem Kurswert ähnlichen Marktpreises der Gesellschaftsanteile mit einiger Sicherheit ermögliche (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom , Zl. 88/15/0077), kann nämlich der in Streit stehende Veräußerungsvorgang vom als (mehrere) "Verkäufe" im Sinne des § 13 Abs. 2 zweiter Satz BewG aufgefaßt werden. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang weder die Frage, ob zivilrechtlich ein oder mehrere Rechtsgeschäfte vorliegen, noch die Zusammenfassung allenfalls mehrerer Rechtsgeschäfte in einer Urkunde von ausschlaggebender Bedeutung. Maßgeblich ist vielmehr, ob - insbesondere im Hinblick auf die Beteiligung mehrerer Anbieter bzw. Interessenten - der Schluß gerechtfertigt erscheint, daß die unter Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage und des Ausgleiches widerstreitender Interessen mehrerer an den Verkaufsgeschäften Beteiligter gebildeten Kaufpreise einem "Marktpreis" nahekommen. Diese Voraussetzungen erscheinen in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Gesellschaftsanteile in erheblichem Umfang (50 % des Stammkapitals) an mehrere Erwerber veräußert wurden, erfüllt. Daß die Willensbildung der einzelnen Erwerber den Kaufpreis betreffend aus persönlichen oder sachlichen Gründen nicht unabhängig voneinander erfolgt wäre oder sonstige gemäß § 10 Abs. 2 BewG nicht zu berücksichtigende ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse vorgelegen wären, kann dem angefochtenen Bescheid ebensowenig entnommen werden wie Umstände, die gegen ein Zustandekommen der "Verkäufe" im gewöhnlichen Geschäftsverkehr sprächen (vgl. hiezu z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 17/3137/79, vom , Zl. 89/15/0124, und vom , Zlen. 89/15/0003, 0004).
Die belangte Behörde vertritt ferner die Auffassung, der gemeine Wert könne aus dem Verkauf vom auch wegen dessen zeitlicher Entfernung vom Feststellungszeitpunkt nicht abgeleitet werden. Auch diese Auffassung teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht. Im Erkenntnis vom , Zl. 17/3137/79, hat der Gerichtshof ausgesprochen, daß die Ableitung des gemeinen Wertes von Anteilen an einer Gesellschaft m.b.H. aus Verkäufen auch dann den Vorschriften des § 13 Abs. 2 BewG entsprechen kann, wenn diese Verkäufe in einem größeren zeitlichen Abstand vom Stichtag stattgefunden haben. Besteht in einem konkreten Fall die Möglichkeit, den "Stichtagswert" aus Verkäufen abzuleiten - was durchaus der Fall sein kann, wenn den Verkäufen trotz eines größeren zeitlichen Abstandes vom Stichtag eine zur Wertableitung ausreichende Aussagekraft zukommt -, so fordert § 13 Abs. 2 BewG in erster Linie die Anwendung dieser Bewertungsmethode. Ein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip kann unter diesen Umständen nicht angenommen werden (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/15/0077). Mit der Frage, ob dem am erfolgten, bei der Preisbildung auf eine zum erstellte Bilanz Bezug nehmenden Verkauf Aussagekraft betreffend den Wert der Gesellschaftsanteile am Bewertungsstichtag () zukommt, hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Allein wegen des vorliegenden zeitlichen Abstandes der Beurkundung des Verkaufes zum Bewertungsstichtag kann jedoch die Aussagekraft des bei dem Verkaufsgeschäft gebildeten Kaufpreises für die Ableitung des gemeinen Wertes nicht verneint werden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Der Ersatz der Umsatzsteuer neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand war nicht zuzuerkennen.