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VwGH vom 03.03.1994, 93/18/0090

VwGH vom 03.03.1994, 93/18/0090

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 63-K 4/92/Str, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem oben angeführten im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (der belangten Behörde) wurden über den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Obmann des Vorstandes der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (in der Folge: PVArb) mit dem Sitz in Wien wegen Übertretungen von Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes (AZG) gemäß § 28 Abs. 1 leg. cit. Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Er habe es zu verantworten, daß beim Betrieb des Rehabilitationszentrums S die Bestimmungen des AZG insofern nicht eingehalten worden seien, als acht namentlich genannte Arbeitnehmer (Mitarbeiter des ärztlichen Personals) zu jeweils im einzelnen bezeichneten Zeiten beschäftigt worden seien, obwohl die tägliche Arbeitszeit von dreizehn Stunden nicht habe überschritten werden dürfen (§ 19 Abs. 2 zweiter Satz AZG) und nach Beendigung der Tagesarbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren gewesen sei (§ 12 Abs. 1 erster Satz AZG).

Die wesentliche Begründung des Bescheides läßt sich wie folgt zusammenfassen: Ob die gegenständliche Krankenanstalt ihren Betrieb und damit die ärztliche Versorgung in einem bestimmten Bereich hätte einstellen müssen, wenn der Beschwerdeführer gegen den Willen der Arbeitnehmer die Einhaltung des AZG durchgesetzt hätte, sei im vorliegenden Fall nicht zu prüfen, weil es nicht um die rechtliche Beurteilung fiktiver, sondern der tatsächlichen Geschehensabläufe gehe. Dem AZG entgegenstehende Kollektivvertragsbestimmungen sowie die Auffassung von Arbeitnehmern, die auf die Schutzbestimmungen des AZG keinen Wert legten, berechtigten die für die Einhaltung dieser Bestimmungen verantwortlichen Personen nicht, diese Vorschriften nicht zu befolgen. Im übrigen habe der Beschwerdeführer weder im erstinstanzlichen Strafverfahren noch in der Berufung dargelegt, welche konkreten Maßnahmen er seit seiner Übernahme der Funktion des Obmannes gesetzt habe, um die Einhaltung der Bestimmungen des AZG bei der Beschäftigung des ärztlichen Personals in der Krankenanstalt S sicherzustellen. Der bloße Hinweis, daß die Einhaltung dieser Vorschriften wegen des Mangels an ärztlichem Personal, aus finanziellen Gründen sowie deswegen, weil die betroffenen Arbeitnehmer die betreffenden Rechtsvorschriften gar nicht einhalten wollten, nicht möglich sei, sei jedenfalls nicht ausreichend, um das mangelnde Verschulden an der Übertretung der einschlägigen Vorschriften glaubhaft zu machen.

Zur Verfahrensrüge sei zu bemerken, daß die belangte Behörde in ihrer Entscheidung von der Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers ausgehe, sodaß auch die Vornahme der unterlassenen Verfahrenshandlungen zu keiner anders lautenden Entscheidung geführt hätte.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bestreitet ausdrücklich nicht die Tatbildmäßigkeit des von der belangten Behörde seiner Verantwortlichkeit zugerechneten inkriminierten Verhaltens. Er meint jedoch, daß es ihm aus einer Reihe von Gründen unmöglich sei, den Rehabilitationsbetrieb in der Anstalt S in dem durch die Anzahl der Patienten und die Behandlungserfordernisse notwendigen Umfang aufrecht zu erhalten, wenn gleichzeitig die hier in Rede stehenden Bestimmungen des AZG eingehalten werden müßten:

Es gebe weder in S noch in der näheren und weiteren Umgebung genug Fachärzte, um den Personalstand so weit aufstocken zu können, daß eine dem AZG entsprechende Diensteinteilung möglich werde; alle in den letzten Jahren von der PVArb unternommenen Bemühungen, mehr Fachärzte einzustellen, seien - mit einer Ausnahme - vergeblich gewesen. Dem Grundsatz der Kontinuität der fachärztlichen Betreuung und der Arzt-Patientenbeziehung komme in einer Rehabilitationsanstalt besondere therapeutische Bedeutung zu. Werde aber der kontinuierliche Einsatz der Ärzte mit höchstens dreizehn Stunden begrenzt, dann sei ein ständiger Wechsel des während der Therapiezeit anwesenden fachärztlichen Personals die zwangsläufige Folge. Die Diensteinteilung nach dem AZG scheitere aber auch am Widerstand der betroffenen Fachärzte; dieses Problem bestehe - unabhängig von der Anzahl der angestellten Fachärzte - darin, daß diese nicht bereit seien, Einbußen an Einkommen und Verlust an Zeit für zusätzliche Anfahrten und Rückwege hinzunehmen, welche eine Diensteinteilung entsprechend dem AZG nach sich zöge.

Unter diesen Voraussetzungen sei der Beschwerdeführer vor der Notwendigkeit gestanden, nach eigener Wertung zu entscheiden, welche der ihm obliegenden Aufgaben er verletze - entweder den aus dem ASVG kommenden Auftrag, die medizinische Rehabilitation in der anstaltseigenen Krankenanstalt zu gewährleisten, oder das Gebot, die Normen des AZG einzuhalten. Der Beschwerdeführer habe sich in diesem Konflikt dafür entschieden, das Rechtsgut der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der rehabilitationsbedürftigen Versicherten gegenüber jenem des Schutzes der Arbeitskraft der betroffenen Fachärzte höher zu werten und das zuletzt genannte Rechtsgut insoweit zurückzustellen, als dies zum Schutz des erstgenannten unumgänglich sei.

Zusammengefaßt fehle es daher dem Verhalten des Beschwerdeführers - ungeachtet der Tatbildmäßigkeit - an der Rechtswidrigkeit, denn es komme ihm als Rechtfertigungsgrund die Rettung eines zweifellos höherwertigen Gutes auf Kosten eines geringerwertigen zugute.

Dieser Rechtfertigungsgrund sei auch auf der Verschuldensebene von Bedeutung, werde man doch dem Beschwerdeführer zubilligen müssen, daß ihm ein dem AZG entsprechendes Verhalten nicht zumutbar gewesen sei. Sein Verhalten wäre demnach wohl tatbildmäßig, allenfalls sogar rechtswidrig, nicht aber schuldhaft.

2.1. Gemäß § 6 VStG - auf diese Bestimmung stützt der Beschwerdeführer wenngleich nicht explizit, so doch erkennbar seine unter II.1. dargestellte Argumentation - ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann unter Notstand im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht.

Wirtschaftliche Nachteile können nur dann Notstand begründen, wenn sie die Lebensmöglichkeiten selbst unmittelbar bedrohen. Desweiteren gehört es zum Wesen des Notstandes, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist und daß die Zwangslage nicht selbst verschuldet ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zlen. 92/18/0118 bis 0125, mwN).

2.2. Mit den oben II.1. wiedergegebenen Ausführungen gelingt es der Beschwerde nicht, das Vorliegen von Notstand i. S. des § 6 VStG darzutun. Dazu hätte es konkreter, auf die einzelne Tatanlastung abgestellter Behauptungen bedurft, die darlegen, daß die betreffende inkriminierte Arbeitszeitüberschreitung bzw. Nichtgewährung ununterbrochener Ruhezeit der einzige zumutbare Weg gewesen sei, um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen abzuwehren. Die allgemein gehaltenen Hinweise auf den bestehenden Fachärztemangel in S und Umgebung, das Postulat möglichst kontinuierlicher fachärztlicher Betreuung der Patienten, das für Rehabilitationsanstalten in besonderem Maße gelte, sowie die mangelnde Bereitschaft der betroffenen Fachärzte, Einkommenseinbußen hinzunehmen und folglich eine Diensteinteilung entsprechend den Vorschriften des AZG zu akzeptieren, vermögen eine konkrete Notstandssituation, welche die Verletzung von Bestimmungen des AZG rechtfertigen oder entschuldigen würde, nicht zu begründen.

3. Mit diesem Ergebnis ist der Verfahrensrüge dahingehend, daß die belangte Behörde aktenwidrig davon ausgegangen sei, der Beschwerdeführer habe kein die angebliche Notstandssituation stützendes konkretes Vorbringen erstattet, der Boden entzogen.

4. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 104/1991.