TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 08.04.1991, 90/15/0015

VwGH vom 08.04.1991, 90/15/0015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Wetzel, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der Stadtgemeinde St. Veit/Glan, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom , Zl. 103-2/88, betreffend Nachsicht von Abgabenbschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Zuge einer bei der beschwerdeführenden Stadtgemeinde durchgeführten, die Jahre 1981 bis 1983 betreffenden abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin im Jahre 1981 Vorsteuern im Betrage von S 1,004.883,-- geltend gemacht hatte, die in Rechnungen ausgewiesen waren, die in den Jahren 1977 bis 1980 über in diesem Zeitraum erbrachte Leistungen ausgestellt worden waren. Der Betriebsprüfer vertrat die Auffassung, gemäß § 20 Abs. 2 UStG 1972 könne der Vorsteuerabzug nur in jenem Veranlagungszeitraum geltend gemacht werden, in dem die Leistung erbracht und die Rechnung ausgestellt worden sei.

Das Finanzamt nahm das Verfahren unter anderem betreffend die Umsatzsteuer für 1981 wieder auf und erließ einen der Auffassung des Prüfers folgenden neuen Sachbescheid, der in Rechtskraft erwuchs. Die Tilgung der aus dem neuen Umsatzsteuerbescheid für 1981 resultierenden Abgabenverbindlichkeit der Beschwerdeführerin erfolgte durch Verrechnung mit Umsatzsteuergutschriften.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Nachsicht der Abgabenschuld mit der Begründung, die die gegenständlichen Vorsteuern ausweisenden Rechnungen bauausführender Unternehmer seien vom Bauamt der Beschwerdeführerin auf ihre sachliche und rechnerische Richtigkeit überprüft und der Buchhaltung der Beschwerdeführerin erst im Jahre 1981 "wieder retourniert worden". Die Vorsteuern seien daher erstmals in der Umsatzsteuererklärung für 1981 geltend gemacht worden. Die Beschwerdeführerin verfüge über keine Barmittel bzw. Einnahmen, um den Rückstand abstatten zu können. Sämtliche Einkunftsquellen seien zur Gänze erschöpft.

Das Finanzamt wies diesen Antrag mit der Begründung ab, § 236 BAO biete die Möglichkeit, eine im Einzelfall eingetretene und vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Strenge der Abgabenvorschriften durch Billigkeitsmaßnahmen zu beseitigen oder zu mildern. Diese Bestimmung biete aber keine Möglichkeit dafür, die Rechtmäßigkeit einer Abgabenvorschreibung zu beseitigen. Durch die Gewährung der beantragten Nachsicht würde aber § 20 Abs. 2 UStG 1972 umgangen werden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen, wonach sie über keine Barmittel bzw. Einnahmen verfüge, um den sich ergebenden Rückstand abstatten zu können.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage im wesentlichen ausgeführt, die von der Beschwerdeführerin durchgeführte Rechnungskontrolle ändere nichts daran, daß der Vorsteuerabzug in jenem Zeitraum hätte vorgenommen werden müssen, in dem alle für einen Vorsteuerabzug maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt seien. Ändere sich auf Grund einer Rechnungskorrektur die Bemessungsgrundlage für den steuerpflichtigen Umsatz, so habe gemäß § 16 Abs. 1 Z. 1 UStG 1972 auch der Unternehmer, an dem dieser Umsatz ausgeführt worden sei, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen. Die Versäumnisse der Beschwerdeführerin könnten daher nicht durch eine Abgabennachsicht behoben werden. Steuerliche Auswirkungen, die ausschließlich als Folge einer generellen Norm mit umfassendem personellem Geltungsbereich anzusehen seien, könnten nicht durch Billigkeitsmaßnahmen umgangen werden. Unter den gegebenen Umständen könne auch nicht von einer in der Besonderheit des Einzelfalles begründeten Unbilligkeit die Rede sein. Die Beschwerdeführerin habe es selbst in der Hand gehabt, die abziehbaren Vorsteuern rechtzeitig geltend zu machen.

Der aus der Einbuchung des Umsatzsteuerbescheides 1981 resultierende Abgabenrückstand sei innerhalb kürzester Zeit abgedeckt worden. Wenn dies auch durch Umsatzsteuergutschriften geschehen sei, so könne nicht behauptet werden, daß die Beschwerdeführerin nicht über die Mittel verfügt habe, um die Abgabenschuldigkeiten zu entrichten.

Eine Unbilligkeit liege somit nicht vor. Der belangten Behörde sei es daher verwehrt, eine Ermessensentscheidung nach den Grundsätzen des § 20 BAO zu treffen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit seinem Beschluß vom , Zl. B 1105/89, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die ergänzte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0076).

Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall bereits die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung Handbuch 583 und die dort angeführte hg. Rechtsprechung). Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtwerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus "persönlichen" Gründen) nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschulden mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme.

Eine "sachliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus "persönlichen" Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0088).

Es ist Sache des Nachsichtwerbers, einwandfrei und unter Ausschluß jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0076).

Die Beschwerdeführerin hat ihren Nachsichtantrag im Verfahren vor den Abgabenbehörden ausschließlich damit begründet, daß sie über keine Barmittel bzw. Einnahmen verfüge, um den Rückstand abstatten zu können. Sämtliche Einkunftsquellen seien zur Gänze erschöpft. Damit hat die Beschwerdeführerin ausschließlich in den Bereich der "persönlich" bedingten Unbilligkeit fallende Gründe geltend gemacht.

Über eine Abgabennachsicht ist auf Grund der bei der Bescheiderlassung gegebenen Sach- und Rechtslage abzusprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0076). Die Parteien des Beschwerdeverfahrens gehen übereinstimmend davon aus, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Abgabenverbindlichkeit bereits (durch Verrechnung) getilgt war. Schon aus diesem Grund kann nicht davon gesprochen werden, daß - infolge des Fehlens zur Abgabenentrichtung ausreichender Mittel im maßgebenden Zeitpunkt - eine "persönlich" bedingte Unbilligkeit vorläge.

In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang ferner geltend gemacht, bei der Beschwerdeführerin seien durch die Entrichtung der Abgaben durch Verrechnung mit Gutschriften, die ansonsten zur Zahlung anderer Verbindlichkeiten gedient hätten, "finanzielle Engpässe" entstanden. Eine Abgabennachsicht sei schon dann zu gewähren, wenn durch die Abgabenentrichtung einer wirtschaftlich bzw. finanziell bedrängten Gemeinde die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erschwert oder unmöglich gemacht werde.

Eine Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen erübrigt sich schon deshalb, weil nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht schon das Vorliegen eines "finanziellen Engpasses" eine "persönliche" Unbilligkeit begründet; daß durch den infolge der Abgabenentrichtung eingetretenen finanziellen Engpaß die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erschwert oder unmöglich geworden wäre, hat die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen. Diese Ausführungen stellen somit im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerungen dar.

Die Beschwerdeführerin macht weiters geltend, sie habe einen "legalen Anspruch" auf Geltendmachung von Vorsteuern in Millionenhöhe gehabt, den sie erst habe geltend machen können, als ihr eine im öffentlichen Interesse erforderliche langwierige Kontrolle dies erlaubt habe.

Damit geht die Beschwerdeführerin offenbar von der unzutreffenden Annahme aus, daß die von ihr durchgeführte langwierige Kontrolle Voraussetzung der Geltendmachung des Vorsteuerabzuges gewesen wäre. Im übrigen ist ihren Ausführungen zu erwidern, daß eine Unbilligkeit nach Lage des Falles im Sinne des § 236 BAO nicht gegeben ist, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einziehung nach der Lage des Falles unbillig (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/15/0139). Daß die Beschwerdeführerin von den im Jahr 1981 angefallenen Umsatzsteuern nicht in die Jahre 1977 bis 1980 fallende Vorsteuern abziehen konnte, ist eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage (§ 20 Abs. 2 UStG 1972). Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber den Abzug von nicht in den jeweiligen Veranlagungszeitraum fallenden Vorsteuern ausgeschlossen; es ist daher nicht ersichtlich, daß die Anwendung des Gesetzes im vorliegenden Fall zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis - und somit zu einer "sachlich" bedingten Unbilligkeit - geführt hätte.

Als Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin geltend, die belangte Behörde habe gegen ihre sich aus § 115 BAO ergebende Ermittlungspflicht verstoßen, weil sie die Beschwerdeführerin nicht aufgefordert habe, ihr Vorbringen näher zu erläutern und zu beweisen, und nicht ermittelt habe, welche Folgen der Verlust eines Millionenbetrages auf die Erfüllung der Aufgaben der Beschwerdeführerin habe.

Damit verkennt die Beschwerdeführerin, daß es im Nachsichtverfahren ihre Sache gewesen wäre, einwandrei und unter Ausschluß jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0076). Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.