VwGH vom 26.11.1990, 90/15/0005
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Wetzel, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde des Dr. N gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 11-147/9/89, betreffend Stempelgebührenrückzahlung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Notar, erteilte Parteien eine beglaubigte Abschrift eines Notariatsaktes. Die Beglaubigung der Abschrift lautet wie folgt:
"Vorstehende Kopie stimmt mit der in meinen Akten erliegenden Urschrift vollkommen überein."
Der Beschwerdeführer entrichtete zunächst für die beglaubigte Abschrift in Stempelmarken eine Gebühr von S 30,--, begehrte aber in der Folge gemäß § 241 Abs. 2 BAO deren Rückzahlung.
Gemäß § 311 Abs. 2 BAO zuständig geworden, gab die belangte Behörde dem Rückzahlungsantrag mit Bescheid vom , Zl. GA 11-304/3/88, keine Folge.
Mit seinem Erkenntnis vom , Zl. 88/15/0099 (Vorerkenntnis), hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf. Der Gerichtshof hielt eine Gebührenpflicht der Abschrift nach § 14 TP 1 GebG 1957 nicht für gegeben. Die näheren Entscheidungsgründe sind dem Vorerkenntnis zu entnehmen.
Der nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtene Bescheid wies den Rückzahlungsantrag des Beschwerdeführers ebenfalls ab. Die belangte Behörde ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe im Vorerkenntnis offengelassen, ob nicht die Beglaubigung der Abschrift als Zeugnis der Gebühr nach § 14 TP 14 Abs. 1 GebG 1957 unterliege. Die belangte Behörde bejahte diese Frage, weil beglaubigte Abschriften lediglich den Sonderfall eines Zeugnisses im Sinne der letztgenannten Gesetzesstelle darstellten.
Vorliegende Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit
des angefochtenen Bescheides geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt vor, daß die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an das Vorerkenntnis gebunden gewesen wäre.
Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde gemäß Art. 131 oder 131a B-VG stattgegeben hat, sind die Verwaltungsbehörden gemäß § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Die im § 63 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommende Bindung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes kann allerdings nur eintreten, wenn der Gerichtshof im aufhebenden Erkenntnis zu einer bestimmten Frage eine Rechtsanschauung auch tatsächlich geäußert hat (siehe Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 733 Absätze 4 und 5 und die dort zitierte Vorjudikatur). Dies trifft im Beschwerdefall für die Frage, ob notariell beglaubigte, nichtamtliche Abschriften, die die Parteien nicht selbst verfaßten, zwar nicht nach dem im Vorerkenntnis bereits wiedergegebenen § 14 TP 1 GebG 1957 als Abschriften, aber doch gemäß TP 14 Abs. 1 der Gesetzesstelle als Zeugnisse gebührenpflichtig sind, entgegen der Rechtsmeinung des Beschwerdeführers nicht zu. Wohl ist dem Beschwerdeführer zuzubilligen, daß der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis ausgesprochen hat, bei einer vom Notar selbst verfaßten und von ihm zu beglaubigenden Abschrift handle es sich weder um eine amtliche Abschrift nach § 14 TP 1 Z. 1 GebG 1957 noch um eine von den Parteien selbst verfaßte nichtamtliche Abschrift nach Z. 2 dieser Tarifpost, "und ist daher, weil nicht unter die zitierte Tarifpost fallend, nicht gebührenpflichtig (siehe z.B. Wagner, Die Vergebührung einer beglaubigten Abschrift, NZ 1978, Seite 105 f)". Daraus ließe sich ableiten, daß der Verwaltungsgerichtshof die strittige, vom Notar selbst verfaßte und beglaubigte Abschrift (überhaupt) nicht als gebührenpflichtig erachtete, weil sie nicht unter § 14 TP 1 GebG 1957 fällt.
Diesem Verständnis des Vorerkenntnisses steht jedoch
entgegen, daß der Verwaltungsgerichtshof dort ausdrücklich nur
die Beantwortung der Frage als streitentscheidend bezeichnet
hat, "ob ... die von einem öffentlichen Notar - nicht als
Parteienvertreter verfaßte, sondern gemäß §§ 91 f NO
'erteilte' - beglaubigte Abschrift eines von ihm ...
aufgenommenen Notariatsaktes nach § 14 TP 1 (Z. 2 lit. b)
GebG 1957 gebührenpflichtig ist oder ... nicht". Dies zeigt
aber, daß der Verwaltungsgerichtshof zur Frage, ob allenfalls Gebührenpflicht nach § 14 TP 14 leg. cit. besteht, seine Rechtsanschauung nicht geäußert hat. Auch Wagner, aaO, auf den der Verwaltungsgerichtshof, wie angeführt, hingewiesen hat, nimmt zu dieser Frage keine Stellung.
Daran, daß der Gerichtshof zur Gebührenpflicht gemäß § 14 TP 14 GebG 1957 im Vorerkenntnis keine Rechtsanschauung geäußert hat, ändert es entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nichts, daß es im Beschwerdefall um eine Gebührenrückzahlung gemäß § 241 Abs. 2 BAO geht. Denn eine solche Rückzahlung hätte die belangte Behörde auch dann zu Recht verweigert, wenn eine Abgabenschuld gemäß § 14 TP 14 GebG 1957 bestünde, weil damit die Voraussetzung des § 241 Abs. 2 BAO für eine Gebührenrückzahlung, daß (insoweit) eine Abgabenschuld nicht besteht, nicht erfüllt wäre.
In der Sache selbst ist die Beschwerde allerdings begründet:
Wenn auch das Schrifttum in durchaus vertretbarer Weise in beglaubigten Abschriften den Sonderfall eines gebührenpflichtigen Zeugnisses erblickt (vgl. Frotz-Hügel-Popp, § 14 TP 1 B I 3, B IV 1, und Warnung-Dorazil, Stempel- und Rechtsgebühren4, Seiten 45 und 51), wird doch dieser Sonderfall nicht der Gebührenpflicht für Zeugnisse unterzogen, sondern eben in einer eigenen Tarifpost - TP 1 - für "Abschriften" geregelt. Dazu kommt, worauf Frotz-Hügel-Popp, aaO, § 14 TP 1 B IV 1, zutreffend hinweisen, daß die TP 1 nicht nur Abschriften mit Zeugnischarakter umfaßt - es sind dies die beglaubigten Abschriften -, sondern auch Abschriften, die - als amtliche UNBEGLAUBIGTE Abschriften (§ 14 TP 1 Abs. 1 Z. 1) - keinen solchen Charakter aufweisen und die für das Entstehen der Gebührenschuld den amtlichen Ausfertigungen (§ 14 TP 2 GebG 1957) gleichzuhalten sind. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber in § 14 TP 1 GebG 1957 die Abschriften als solche als Schriften vergebühren wollte, und daß Schriften, die das Tatbestandsmerkmal einer Abschrift aufweisen, dem Enumerationsprinzip des Gebührengesetzes folgend eben nur der für Abschriften - und nicht für andere Schriften - vorgesehenen Gebühr unterliegen sollen, und dann keiner Gebühr, wenn die für Abschriften eigens normierte Tarifpost für eine Abschrift keine Gebühr vorsieht.
Frotz-Hügel-Popp, aaO, § 14 TP 1 B I 3, auf welche Belegstelle sich die belangte Behörde beruft, sagen zwar, es handle sich, soweit die Gebührenpflicht nach TP 1 beglaubigte Abschriften betreffe, um einen Sondertatbestand des gebührenpflichtigen Zeugnisses, OHNE DEN die Beglaubigung von Abschriften nach TP 14 gebührenpflichtig WÄRE. Sie betonen aber in dieser Kommentarstelle die eigenständige Gebührenpflicht auch der beglaubigten Abschriften durch den Hinweis, durch die Schaffung des Sondertatbestandes "Abschriften" könne auf diese NICHT die zum Tatbestand des gebührenpflichtigen Zeugnisses entwickelte Auslegung Anwendung finden, daß ein "Bekunden" und damit ein gebührenpflichtiges Zeugnis dann nicht vorliege, wenn die Schrift, die alle übrigen Merkmale eines gebührenpflichtigen Zeugnisses enthalte, an eine vom Ausstellungswerber verschiedene Person adressiert sei. Nach der gesetzlichen Tatbestandsumschreibung sei das "Bekunden" nicht Tatbestandsmerkmal der TP 1. Unter § 14 TP 14 B I 9 ihres Kommentars legen Frotz-Hügel-Popp dar, Beglaubigungsklauseln von Ausfertigungen von Notariatsakten und von Abschriften überhaupt unterlägen neben einer ALLFÄLLIGEN Gebühr für den Notariatsakt oder für die Abschrift KEINER gesonderten Gebühr als Zeugnis; diese Klauseln seien Bestandteile der Schrift, die diese erst zu einer beglaubigten Abschrift oder Ausfertigung machen.
Nach Warnung-Dorazil, aaO, haben Abschriften und einige andere Schriften des § 14 GebG 1957 den Charakter von Zeugnissen, DIE IN BESONDEREN TARIFPOSTEN GEREGELT SIND (Seite 44 f) bzw. handelt es sich um Zeugnisse, DIE NICHT IN TP 14, sondern in gesonderten Tarifposten geregelt sind (Seite 51). "Bestätigungen und Bescheinigungen, die zwar auch unter den oben näher umschriebenen Begriff des gebührenpflichtigen Zeugnisses fallen, die aber der Tarif mit Rücksicht auf ihren Inhalt unter einem besondern Tarifschlagwort anführt, unterliegen der Gebühr nur nach dieser besonderen Tarifbestimmung" (Seite 126).
Wären beglaubigte Abschriften grundsätzlich schon als Zeugnisse gebührenpflichtig, bedürfte es auch der besonderen Anordnung nicht, nichtamtliche Abschriften, von den Parteien selbst verfaßte, seien, wenn sie von Privatpersonen beglaubigt werden, "wie Zeugnisse" gebührenpflichtig (§ 14 TP 1 Abs. 1 Z. 2 lit. c GebG 1957). Frotz-Hügel-Popp, aaO, § 14 TP 1 B III 1, führen dazu aus, Abschriften, die von Privatpersonen beglaubigt würden, unterlägen nach Abs. 1 Z. 2 lit. c (der TP 14) der Gebühr "wie Zeugnisse". Von der Systematik her sei diese Bestimmung so zu verstehen, daß der Hinweis auf die Zeugnisse nur den Gebührensatz betreffe und nicht auch die gesamte tatbestandsmäßige Einordnung mit allen sich dort ergebenden Konsequenzen (Gebührenfreiheit durch Adressierung) bedeute. Von Privatpersonen beglaubigte Abschriften würden demnach tatbestandsmäßig NICHT Zeugnisse nach TP 14, sondern blieben tatbestandsmäßig Abschriften nach TP 1, lediglich der Gebührensatz richte sich nach TP 14.
Daraus, daß Gebührenschuld und Gebührenschuldner (§§ 11 und 13 GebG 1957) bei beglaubigten Abschriften nur in sinngemäßer Anwendung der für Zeugnisse vorgesehenen Regelungen bestimmt werden können, ergibt sich nicht, daß (beglaubigte) Abschriften dem Gebührentatbestand für Zeugnisse unterliegen.
Die belangte Behörde hat somit die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG absehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung vom , BGBl. Nr. 206.