VwGH vom 28.09.1995, 93/17/0317
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-05/25/00010/93, betreffend Übertretung des Wiener Getränkesteuergesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Magistrat der Bundeshauptstadt Wien erkannte mit Straferkenntnis vom den Beschwerdeführer schuldig, er habe als Masseverwalter eines näher bezeichneten Gemeinschuldners (Konkurseröffnung ) die (durch Schätzung seitens der Abgabenbehörde ermittelte) Getränkesteuer "für die Monate September bis Dezember 1991, fällig bis zum 10. Tag des folgenden Monats, bis zum nicht entrichtet und dadurch vier Verwaltungsübertretungen begangen". Er habe dadurch § 7 Abs. 1 des Getränkesteuergesetzes (Wr GtrStG) und § 54 Abs. 1 der WAO verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen würden über ihn gemäß § 10 Abs. 2 Wr GtrStG Geldstrafen in der Höhe von je S 200,-- - insgesamt S 800,-- - (Ersatzfreiheitsstrafe von je 5 Stunden, insgesamt somit 20 Stunden) verhängt. Weiters habe er S 80,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu zahlen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe der ihm als Masseverwalter obliegenden Überwachungspflicht genüge getan. Ein Anlaßfall, die Behauptung des Gemeinschuldners, es seien sämtliche fälligen Masseforderungen berichtigt worden, zu bezweifeln und über das normale Maß hinausgehende Kontrollen durchzuführen, sei zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben gewesen. Dem aufgetretenen Mißstand sei mit dem Schließungsantrag vom begegnet worden. Vor einer Entscheidung und einem Auftrag des Konkursgerichtes, das gemeinschuldnerische Unternehmen zu sperren und zu versiegeln, habe überhaupt keine rechtliche Handhabe bestanden, eine Sperre des Betriebes zu veranlassen und insbesondere Barverkäufe zu verhindern. Das Straferkenntnis verkenne die Bestimmungen der Konkursordnung, wonach bis zur Beschlußerlassung über den Schließungsantrag ein Unternehmen stets fortzuführen sei. Eine Fortführung bis zu dem genannten Zeitpunkt könne durch keine Maßnahme verhindert werden. Die von der Erstbehörde angenommene Verpflichtung einer inhaltlichen Kontrolle gehe über das zumutbare Maß hinaus und sei nicht Aufgabe des Masseverwalters. Die Erstbehörde verkenne auch, daß der Masseverwalter bei Barverkäufen des Gemeinschuldners keine Möglichkeit habe, im Zeitpunkt der Entrichtung über diese Beträge entsprechend zu verfügen und Getränkesteueranteile sicherzustellen. Wenn der Ansicht der Erstbehörde gefolgt werde, würde dies bedeuten, daß ein Masseverwalter gleichsam als Aufsichtsperson im Betrieb des jeweiligen Gemeinschuldners ständig während der Geschäftszeiten eine persönliche Kontrollfunktion ausüben müßte. Der Annahme der Erstbehörde über widmungsfremde und schuldhafte Verwendung von Geldmitteln durch den Masseverwalter sei entgegenzuhalten, daß dieser über die Zahlungseingänge des Gemeinschuldners bei Barverkäufen gar nicht verfügen konnte.
Die belangte Behörde gab nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung dieser Berufung keine Folge und bestätigte das Straferkenntnis. Dies mit der Begründung, es sei im Zeitraum September bis Dezember 1991 eine Getränkesteuerpflicht in der Höhe von S 23.440,-- entstanden, die bis nicht einmal teilweise beglichen worden sei. Der Beschwerdeführer habe in seiner Funktion als Masseverwalter den Gemeinschuldner beauftragt, Erlöse aus dem Weiterbetrieb ihm zu übergeben. Der Gemeinschuldner habe jedoch nicht alle Erlöse übergeben. Rechnungen betreffend den Verkauf von Getränken habe der Gemeinschuldner - anders als solche über den Verkauf von Teigwaren - nicht gehabt, da er Getränke ohne Rechnung abgegeben habe. Ein einsichtiger und besonnener Mensch an der Stelle und aus dem Verkehrskreis des Beschwerdeführers hätte seine Kontrolltätigkeit gezielt auf eine Überprüfung gerichtet, ob im Laufe eines Monats vom Gemeinschuldner Getränke verkauft wurden, er hätte den Warenbestand zu Beginn und zu Ende des Monats verglichen. Auch wenn dem Beschwerdeführer der Verkauf von Getränken nicht bekannt gewesen sei, hätte sich ein einsichtiger und besonnener Mensch dann um die Sicherung von Getränkesteuer bemüht, wenn er erkennt, daß Aufzeichnungen nicht vorhanden sind. Gelegenheit, Mißstände zu beseitigen, hätte der Beschwerdeführer ab September 1991 gehabt, als er das Geschäftslokal des Gemeinschuldners gefunden hatte. Der Beschwerdeführer habe sich fahrlässig verhalten, wobei der Grad der Fahrlässigkeit nicht gering sei, weil nicht erkennbar sei, daß die Verwirklichung des Tatbestandes bei gehöriger Aufmerksamkeit nur schwer hätte vermieden werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht verletzt, "entgegen den Bestimmungen des § 7 Abs. 1 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971 i.V.m. § 54 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung (WAO) nicht bestraft zu werden bzw. darin keine Übertretung zu erblicken".
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als verspätet zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. In der Gegenschrift vertritt die belangte Behörde die Ansicht, bei der Frage der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof komme es im Falle einer mündlichen Verkündung des bekämpften Bescheides nicht darauf an, wann die schriftliche Ausfertigung zugestellt, sondern der Bescheid mündlich verkündet worden sei. Da die mündliche Verkündung am erfolgt und die schriftliche Ausfertigung des Bescheides erst am zugestellt worden sei, habe die Beschwerdefrist am geendet. Die am zur Post gegebene Beschwerde erweise sich daher als verspätet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß dem nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 67g AVG ist im Verfahren vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten der Bescheid stets öffentlich zu verkünden. Überdies ist allen Parteien eine schriftliche Ausfertigung zuzustellen. Wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, dann kann von der öffentlichen Verkündung des Bescheides Abstand genommen werden, wenn die Einsichtnahme in den Bescheid jedermann gewährleistet ist.
Gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG sechs Wochen. Sie beginnt in den Fällen des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer BLOß mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung.
Die Beschwerdefrist nach § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG beginnt somit in den Fällen, in denen der Bescheid bloß verkündet wird und die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung in der Folge nicht vorgesehen ist, schon mit dem Tag der Verkündung der Entscheidung. In den Fällen, in denen den Parteien von Gesetzes wegen nach mündlicher Verkündung auch eine schriftliche Ausfertigung zuzustellen ist, wird der Bescheid nicht BLOß verkündet, sodaß die Beschwerdefrist nach § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG erst mit der Zustellung des Bescheides zu laufen beginnt und nicht schon mit der Verkündung (vgl. auch hg. Beschluß vom , Zl. 95/17/0007).
Demnach war die am zur Post gegebene Beschwerde gegen den am zugestellten Bescheid innerhalb der Beschwerdefrist eingebracht und entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht als verspätet zurückzuweisen.
Nach den Bestimmungen über die Pflichten und Befugnisse des Masseverwalters (§ 81 bis 83 KO) und auf Grund der Tatsache, daß durch die Eröffnung des Konkurses das gesamte, der Exekution unterworfene Vermögen, das dem Gemeinschuldner zu dieser Zeit gehört oder das er während des Konkurses erlangt (Konkursmasse), dessen freier Verfügung entzogen ist, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Masseverwalter in bezug auf die Führung des Betriebes des Gemeinschuldners dessen Rechte und Pflichten durch die gesetzlich auf ihn übergegangene Vertretungsbefugnis ausübt, der Masseverwalter also hinsichtlich des Konkursvermögens gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners ist. Der Masseverwalter ist daher den im § 54 Abs. 1 WAO in der jeweils geltenden Fassung angeführten Vertretern zuzurechnen.
Gemäß § 54 Abs. 1 WAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Der Masseverwalter ist daher auf Grund seiner Verwalterstellung verpflichtet, Steuern, die aus dem verwalteten Vermögen zu entrichten sind, nach Maßgabe der Vorschriften der KO aus den Mitteln der Masse zu bezahlen. Aus dem gleichen Grund hat er auch die anderen steuerlichen Obliegenheiten des Gemeinschuldners, z.B. die Entrichtung fälliger Steuern oder die Abgabe von Getränkesteuererklärungen zu erfüllen. Es handelt sich dabei um eine persönliche Verpflichtung des Masseverwalters hinsichtlich des gemeinschuldnerischen Betriebes, die er bei Nichterfüllung strafrechtlich zu verantworten hat (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zlen. 85/17/0104, 0152). Er hat daher die aus dem Betrieb sich ergebenden abgabenrechtlichen Pflichten entweder selbst wahrzunehmen oder die Erfüllung dieser Pflichten zu überwachen. Dies gilt auch in bezug auf abgabenrechtlich maßgebliche Aufzeichnungen, die nicht der Masseverwalter selbst, sondern der Gemeinschuldner oder ein anderer gewillkürter Vertreter desselben (z.B. ein Steuerberater) führt (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/13/0251).
Der Beschwerdeführer hatte somit jedenfalls für den Zeitraum seiner Bestellung als Masseverwalter die Verpflichtung, für den fortgeführten Betrieb des Gemeinschulders - dieser war Inhaber einer Teigwarenerzeugung sowie eines Einzelhandels mit Spirituosen und Weinen - entsprechende Steuererklärungen abzugeben bzw. die Abgaben, soweit der Anspruchsgrund während des Konkursverfahrens verwirklicht wurde (§ 46 Abs. 1 Z. 2 KO), aus den erwirtschafteten Erlösen des Gemeinschuldners zu entrichten oder unter Ausübung entsprechender Kontrollen dafür zu sorgen, daß die Abgaben erklärt und entrichtet werden.
Der Beschwerdeführer wurde schuldig erkannt, als Masseverwalter fahrlässig die jeweils bis zum zehnten Tag des folgenden Monats fällige (nachträglich durch Schätzung von der Abgabenbehörde ermittelte) Getränkesteuer nicht entrichtet zu haben. Diesen Schuldvorwurf bestritt der Beschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen Verfahren aber insbesondere damit, der Gemeinschuldner habe sogenannte "Schwarzverkäufe" getätigt, es sei ihm daher unmöglich bzw. unzumutbar gewesen, davon Kenntnis zu erlangen. Als der Gemeinschuldner trotz Aufforderung keinen Nachweis über die Ordnungsgemäßheit der Buchhaltung und insbesondere einen Nachweis der Bezahlung der Steuern erbringen habe können, habe der Beschwerdeführer mit Schriftsatz an das Handelsgericht Wien vom die Schließung des gemeinschuldnerischen Unternehmens beantragt. Dem hält die belangte Behörde im wesentlichen entgegen, ein einsichtiger und besonnener (also "normgerechter") Masseverwalter hätte die Kontrolltätigkeit so eingerichtet, daß er die "Schwarzverkäufe" aufgedeckt hätte.
Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer über den Verkauf der Getränke auch anläßlich der (wöchentlichen) Besprechungen mit dem Gemeinschuldner nicht informiert war und von diesem keine Erlöse aus Getränkeverkäufen erhalten hat. Um nun den Schuldvorwurf zu rechtfertigen, dem Beschwerdeführer hätten die "Schwarzverkäufe" auffallen müssen und er habe insofern sorglos gehandelt, durfte sich die belangte Behörde jedoch nicht mit der nicht weiter begründeten Behauptung begnügen, ein "normgerechter" Masseverwalter hätte die "Schwarzverkäufe" entdeckt. Sie hätte diese Behauptung vielmehr konkretisiert und schlüssig zu begründen gehabt. Dabei wäre insbesondere auch der Inhalt der im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten getroffenen Vereinbarungen zwischen dem Beschwerdeführer und dem Gemeinschuldner über die Entrichtung der durch den Fortbetrieb fälligen Masseforderungen von Bedeutung gewesen. Ungeklärt blieb etwa, ob die Verkäufe aus dem festgestellten Lagerbestand oder aus Zukäufen erfolgten, sodaß allenfalls auch im Falle einer ständigen Lagerkontrolle die Verkäufe nicht aufgefallen wären. In diesem Zusammenhang wäre auch festzuhalten gewesen, ob und wie individualisiert der Lagerbestand aufgenommen wurde und nach den Umständen des Falles zumutbarerweise aufzunehmen war. Klarzustellen wäre ferner gewesen, ob sich die Betriebsfortführung sowohl auf die Teigwarenerzeugung als auch auf den Einzelhandel mit Spirituosen und Weinen bezogen hat und welche Lokalitäten bzw. Verkaufsmöglichkeiten dem Gemeinschuldner dafür zur Verfügung gestanden haben. Die belangte Behörde hätte festzustellen gehabt, ob, bejahendenfalls aus welchen Gründen, der Beschwerdeführer den Angaben des Gemeinschuldners sofort mißtrauen hätte müssen, und aus welchem Grund die mit dem erwähnten Schriftsatz vom beantragte Schließung des gemeinschuldnerischen Unternehmens bereits erheblich zu spät gekommen ist. Unbegründet blieb weiters, warum dem Beschwerdeführer auch nach dem Schließungsantrag noch ein strafrechtlich relevantes schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden konnte.
Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde die Verantwortung des Beschwerdeführers, es sei ihm unmöglich und unzumutbar gewesen, die "Schwarzverkäufe" des Gemeinschuldners zu einem früheren Zeitpunkt zu erkennen und für die pünktliche Zahlung der auf diese Verkäufe entfallenden (erst später geschätzten) Getränkesteuer zu sorgen, nicht ausreichend überprüft und infolgedessen auch nicht nachvollziehbar begründet widerlegt hat, obwohl der Beschwerdeführer seiner Pflicht zur Glaubhaftmachung nach § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG, die nicht überspannt werden darf, durch sein Vorbringen im gesamten Verwaltungsverfahren Genüge getan hat.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben. Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.