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VwGH vom 17.09.1998, 98/18/0175

VwGH vom 17.09.1998, 98/18/0175

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des A M, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 771/97, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom wurde der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe seine "(angebliche) Heimat" Iran im Juni 1994 verlassen, sei dann bis Ende 1995 in der "UN-Schutzzone" im Irak gewesen, sei von dort mit einem gefälschten irakischen Reisepaß und einem echten türkischen Visum nach Ankara gereist, habe sich eine Einladung seines in Österreich lebenden Bruders beschafft, habe ein für zwei Monate gültiges Touristenvisum beantragt und erhalten, obwohl er beabsichtigt habe, in Österreich um Asyl anzusuchen, und sei schließlich am auf dem Luftweg nach Österreich eingereist. Unmittelbar nach der Einreise habe er einen Asylantrag gestellt, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom und im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom (rechtswirksam erlassen am ) abgewiesen worden sei. Die dagegen eingebrachte und anhängige Verwaltungsgerichtshofbeschwerde habe dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung verschaffen können. Auch ein Außerkrafttreten des zweitinstanzlichen Asylbescheides vermöge dem Beschwerdeführer keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zu verschaffen, weil der Beschwerdeführer nicht direkt aus dem Gebiet, in dem er behaupte, Verfolgung befürchten zu müssen, eingereist sei, in der Schutzzone im Irak vor Verfolgung sicher gewesen sei und auch nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nicht erlangt habe, zumal auch die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997 nicht vorlägen.

Es stehe daher fest, daß der Beschwerdeführer nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei. In einem solchen Fall sei die Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG gerechtfertigt und notwendig, sofern dem nicht § 37 Abs. 1 FrG entgegenstehe.

Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG ergebe sich daraus, daß dieser bei seinem Bruder in Wien wohne. Der Eingriff sei jedoch zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, dringend geboten. Einem geordneten Fremdenwesen komme ein hoher Stellenwert zu. Der Beschwerdeführer habe sich den besagten Touristensichtvermerk und damit die Einreise in das Bundesgebiet durch unrichtige Angaben über Zweck und Dauer seines Aufenthaltes verschafft und damit sogar die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot geschaffen, und habe in Österreich einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Er könne auch in nächster Zeit eine Berechtigung zum Aufenthalt nicht erhalten.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt gegen den angefochtenen Bescheid - u.a. - vor, daß die belangte Behörde unberücksichtigt gelassen habe, daß "Ausweisungen von nicht aufenthaltsberechtigten Fremden nach § 33 FrG 1997 nicht mehr zwingend vorgesehen sind, sondern solche Fremde seit Inkrafttreten des FrG 1997 mit Bescheid ausgewiesen werden können" (Hervorhebung im Original), und - aus den in der Beschwerde vorgebrachten Gründen - die damit gegebene Ermessensentscheidung der belangten Behörde zugunsten des Beschwerdeführers hätte ausfallen müssen.

Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

2. Der vorliegend maßgebliche § 33 Abs. 1 FrG lautet:

"Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten."

Ihrem Wortlaut nach räumt diese Bestimmung somit insofern Ermessen ein, als sie die Behörde ermächtigt, von der Erlassung einer Ausweisung trotz Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzung des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes abzusehen.

Dieses Verständnis des § 33 Abs. 1 FrG als Ermessensbestimmung wird von den Gesetzesmaterialien gestützt, wenn dort ausgeführt wird, daß die "in § 33 Abs. 1 vorgenommene Abänderung ('können')" - gemeint

im Verhältnis zu § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes BGBl. Nr. 838/1992 - verdeutlichen soll, "daß hier nicht von einer unbedingten Rechtspflicht zur Verhängung einer Ausweisung die Rede ist" (RV 685 Blg NR 20. GP, S 74).

Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. In den Gesetzesmaterialien wird diesbezüglich an der zitierten Stelle auf die "gewichtigen Bindungen" einer Ausweisung an "die in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele im Hinblick auf den Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des § 37" hingewiesen. Wenn auch die damit angesprochenen öffentlichen Interessen bezogen auf den Schutz des Privat- und Familienlebens schon im Rahmen der nach § 37 Abs. 1 FrG vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit einer Ausweisung gemäß des § 33 Abs. 1 FrG zu beurteilen sind, ist es nicht ausgeschlossen, daß diese in Anbetracht besonderer im Einzelfall gegebener Umstände im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 33 Abs. 1 FrG zum Tragen kommen. Die Berücksichtigung solcher öffentlicher Interessen könnte etwa dann zu einem für die beschwerdeführende Partei günstigen Ergebnis führen, wenn deren Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG zwar nicht der Schutz des Privat- und Familienlebens entgegensteht, aber in Ansehung der Umstände des Falles gewichtige - in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte - Interessen eine Abstandnahme von dieser Ausweisung rechtfertigen. Aber auch persönliche, ebenfalls bereits im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 33 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden. Schließlich können auch andere als vom § 37 Abs. 1 FrG erfaßte Interessen in die Handhabung des Ermessens nach § 33 Abs. 1 FrG Eingang finden, wenn dies im Sinne des Gesetzes nach Art. 130 Abs. 2 B-VG gelegen ist.

Die Behörde hat jedenfalls bei ihrer Ermessensentscheidung nach § 33 Abs. 1 FrG in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall im Lichte des Art. 130 Abs. 2 B-VG gegen die Erlassung einer Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG sprechen. Bezüglich ihrer Ermessensentscheidung hat die Behörde den hiefür maßgeblichen Sachverhalt unter Wahrung des Parteiengehörs (§ 45 AVG) festzustellen und in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist. (Vgl. zum Ganzen den hg. Beschluß vom , Zl. 96/21/0490.)

Die vorstehenden Ausführungen - dies sei der Vollständigkeit halber angemerkt - zeigen, daß die mit § 33 Abs. 1 FrG durch die Verwendung des Wortes "können" im Verhältnis zu dem im übrigen mit dieser Norm wortgleichen § 17 Abs. 1 des aus dem Jahr 1992 stammenden Fremdengesetzes, in dem anstelledessen das Wort "sind" verwendet wird, bewirkte Änderung über eine bloße "Klarstellung" - anders als dies in den zitierten Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebracht wird - jedenfalls hinausgeht, zumal § 37 Abs. 1 FrG keine Ermessensbestimmung darstellt, sondern das Verhalten der Behörde - wenn auch durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe - bindend regelt.

3. Die Begründung im angefochtenen Bescheid in Bezug auf die Ermessensübung beschränkt sich auf die Aussage, daß - sofern dem nicht § 37 Abs. 1 FrG entgegenstehe - "die Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 gerechtfertigt und notwendig" sei.

Darin kann im Lichte der - seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 7022(A), ständigen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausmaß der Begründungspflicht bei Ermessensentscheidungen keine ausreichende Begründung erblickt werden. Mit dem zitierten Erkenntnis hob der Gerichtshof ein nach § 3 des Fremdenpolizeigesetzes - einer Ermessensbestimmung - erlassenes Aufenthaltsverbot auf, dessen Begründung sich darauf beschränkte, daß "diese Maßnahme im Hinblick auf die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des Paßgesetzes gerechtfertigt sei".

4. Da es die belangte Behörde unterlassen hat, eine dem Beschwerdeführer die Verfolgung seiner subjektiven Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof einerseits und dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides andererseits ermöglichende Begründung für ihre Ermessensentscheidung im Sinn der vorstehende Erwägungen unter II.2. zu geben, leidet der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am