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VwGH vom 22.05.2002, 2002/15/0022

VwGH vom 22.05.2002, 2002/15/0022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karger und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. U. Zehetner, über die Beschwerde der A in L, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom , RV 1250/1-V6/00, betreffend Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der am geborene Rene J. legte im Schuljahr 1997/98 die Matura ab. Am trat er den bis voraussichtlich dauernden Zivildienst an. Am erlitt er in seiner Freizeit einen Unfall, in dessen Folge er seither pflegebedürftig ist. Die Beschwerdeführerin, seine Mutter, beantragte die Gewährung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dieser Antrag abgewiesen. Die belangte Behörde führte aus, § 2 Abs. 1 FLAG zähle die Anspruchsgründe eindeutig abschließend auf. Eine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Beschwerdeführerin bestehe nicht. Die Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin sei nach dessen 21. Lebensjahr eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt habe sich ihr Sohn nicht in Berufsausbildung befunden. Die in Frage kommende Anspruchsgrundlage des § 2 Abs. 1 lit. c leg. cit. verlange klar und unmissverständlich, dass die Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetreten sein müsse. Da sohin die Familienbeihilfe nicht gewährt werden könne, scheide auch der Anspruch auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe aus.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom , B 241/01).

Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin meint, eine taxative Aufzählung der Voraussetzungen für den Familienbeihilfenbezug in § 2 Abs. 1 leg. cit. könne das Vorliegen einer teleologischen oder unechten Lücke nicht ausschließen. Analogie sei möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthalte und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordere. Diese Voraussetzungen seien im Beschwerdefall, auf den zwar nicht der Wortlaut des Gesetzes, wohl aber die ihm zu Grunde liegende Wertung bzw. Zwecksetzung zutreffe, erfüllt. Der Gesetzgeber wolle grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass Personen, die auf Grund einer eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung nicht im Stande seien, in den Erwerbsprozess einzutreten, Familienbeihilfe beziehen können. Die Familienbeihilfengewährung des § 2 Abs. 1 lit. c leg. cit. sei auch per analogiam auf den Fall anzuwenden, in dem die körperliche oder geistige Behinderung nach dem 21., jedoch vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eintrete.

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, dass der unstrittige Sachverhalt expressis verbis nicht von einem der gesetzlichen Tatbestände des § 2 Abs. 1 FLAG erfasst wird. Streit herrscht, ob eine Gesetzeslücke gegeben ist, und daher die im § 2 Abs. 1 lit. c leg. cit. angeordnete Rechtsfolge auf den vorliegenden Sachverhalt zu erstrecken ist.

Bei einer Gesetzeslücke handelt es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung (vgl. Koziol/Welser,

I. 10.Auflage, Seite 23 f, Werndl, ÖJZ 1997, 298, Zur Analogie im Steuerrecht). Eine Lücke ist demnach nur dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Die bloße Meinung, eine Regelung sei wünschenswert, reicht zur Annahme einer Gesetzeslücke nicht hin.

§ 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in der Stammfassung lautete:

"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
für minderjährige Kinder,
b)
für volljährige Kinder, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist,
c) für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."
Anspruch auf Familienbeihilfe bestand demnach für minderjährige Kinder und für volljährige Kinder unter bestimmten weiteren Voraussetzungen. Anspruch für volljährige Kinder bestand während ihrer näher umschriebenen Ausbildung bis längstens zum 27. Lebensjahr und im Falle einer dauernden Erwerbsunfähigkeit, wobei die selbe vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während der näher umschriebenen Ausbildung eingetreten sein musste. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stammfassung des Familienlastenausgleichsgesetzes, BGBl. Nr. 376/1967, trat die Volljährigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres ein. Das bedeutete für die lit. c, dass die Erwerbsunfähigkeit während der Minderjährigkeit, oder aber während der Volljährigkeit längstens bis zum 27. Lebensjahr, allerdings nur während einer näher umschriebenen Ausbildung eingetreten, sein musste. Der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei volljährigen Personen, die sich nicht in einer Ausbildung befunden haben, bewirkte keinesfalls den Anspruch auf Familienbeihilfe. Beim Sohn der Beschwerdeführerin trat die Erwerbsunfähigkeit nach Vollendung seines 21. Lebensjahres ein. Er leistete zu diesem Zeitpunkt den Zivildienst. Darin lag und liegt jedoch keine Ausbildung im Sinne der lit. b. Das Gesetz sieht die Leistung des Präsenz- oder Zivildienstes nicht als Ausbildung an, wie der Wortlaut der nachfolgend angefügten Anspruchsgrundlagen der lit. d bis lit. i unmissverständlich zeigt. Auch nach der Judikatur wurde der Präsenz- oder Zivildienst nicht als Ausbildung angesehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 941/77).
In § 2 Abs. 1 lit. c FLAG wird der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit bis zum 21. Lebensjahr, und zwar unbeschadet einer Ausbildung oder sonstigen Tätigkeit des Kindes, als Anspruch auf Familienbeihilfe normiert. Daraus geht jedoch nicht die Absicht des Gesetzgebers hervor, einen Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Anspruchsgrundlage für die Familienbeihilfe anzuerkennen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann von einer Gesetzeslücke nicht gesprochen werden, weil weder die Unvollständigkeit des Gesetzes evident ist noch aus dem Zweck der angewandten Vorschrift eine Lücke klar zu Tage tritt.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am