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VwGH vom 24.09.1993, 93/17/0054

VwGH vom 24.09.1993, 93/17/0054

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Raunig, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. L in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. MD-VfR - K 22/92, betreffend Entlassung aus der Gesamtschuld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Wie aus dem hg. Akt Zl. 92/17/0293 hervorgeht, wurde die Beschwerdeführerin mit Haftungsbescheid des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien vom als Haftpflichtige zur Zahlung der für die Zeit von Jänner 1989 bis Oktober 1989 im Betrieb in W, H-Gasse, entstandenen Getränkesteuerschuld der ehemaligen Pächterin, der N-GesmbH., im Betrag von S 56.905,-- (einschließlich Nebenansprüchen) herangezogen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom als unbegründet abgewiesen.

Bereits mit Schreiben vom hatte die Beschwerdeführerin - erkennbar unter Hinweis auf die drohende Haftungsinanspruchnahme - den Antrag gestellt, von der Einhebung des genannten Betrages abzusehen, weil sie lediglich eine Pension in der Höhe von S 10.000,-- netto erhalte und auf Grund ihrer gesamten wirtschaftlichen Situation unzweifelhaft die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

In der Berufung gegen den oben genannten Haftungsbescheid hatte die Beschwerdeführerin weiters vorgebracht, sie sei in einem Pensionistenheim untergebracht und habe hiefür einen Betrag von S 8.248,-- (monatlich) zu bezahlen. Von ihrem Einkommen von insgesamt S 10.310,-- netto verblieben ihr sohin lediglich S 2.062,--. Gleichzeitig wiederholte sie den Antrag, "es möge mit Bescheid festgestellt werden, daß von der Einhebung der begehrten Getränkesteuer abgesehen wird."

Mit Bescheid vom wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4/7, diese als Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld gewerteten Anträge ab.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung und verwies darin auf ihr Vorbringen in der Berufung gegen den Haftungsbescheid. Ergänzend brachte sie im Berufungsverfahren im wesentlichen vor, das Inventar ihres Betriebes in W, H-Gasse, sei (von ihr) im Juni 1991 um einen Kaufpreis von S 333.333,33 verkauft worden. Hievon hätten folgende Beträge entrichtet werden müssen:

Reparaturen S 26.244,45

Hausverwaltung S 180.000,--

AVA-Bank S 25.000,--

Mietzins Jänner bis Mai 1991 S 36.298,59

Makler S 25.000,--

Zins Juni 1991 S 6.014,--

Steuerberatung S 6.181,50

Sanatorium Rekawinkel S 6.570,--

Den verbleibenden Rest habe die Beschwerdeführerin an ihren Sohn zurückzahlen müssen, da er ihr beträchtliche Beträge vorgestreckt habe.

Zum Beweis für dieses Vorbringen legte die Beschwerdeführerin eine Reihe von Urkunden in Ablichtung vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien die Berufung als unbegründet ab. Dies im wesentlichen mit der Begründung, die belangte Behörde habe in ihrer Sitzung vom (Berufungsbescheid) die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides festgestellt. Somit entspreche die Heranziehung der Beschwerdeführerin dem Gesetz und es sei auch kein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten. Im Hinblick darauf, daß die Beschwerdeführerin nach der Aktenlage das Inventar des Lokales, das die gegenständliche Haftung betreffe, um S 333.333,-- im Juni 1991 verkauft habe, könne ungeachtet der niedrigen Pension nicht davon gesprochen werden, daß die Einbringung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für die Abgabepflichten oder für den Steuergegenstand ergäben. Die Beschwerdeführerin sei bei dem angeführten Verkauf in Kenntnis der sie treffenden Haftschuld gewesen. Sie hätte somit dafür Vorsorge treffen müssen, daß sie aus dem Erlös auch den sie treffenden Haftungsbetrag entrichten könne. Wenn sie dies unterlassen habe, habe sie die finanziellen Schwierigkeiten selbst verschuldet, durch die sie sich belastet erachte. Eine Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld liege daher nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach ihrem Vorbringen erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Entlassung aus der Gesamtschuld verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 183 Abs. 1 WAO kann auf Antrag eines Gesamtschuldners dieser aus der Gesamtschuld ganz oder zum Teil entlassen werden, wenn die Einhebung der Abgabenschuld bei diesem nach der Lage des Falles unbillig wäre. Durch diese Verfügung wird der Abgabenanspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner nicht berührt.

Vorweg ist zu bemerken, daß die gegenständlichen Anträge auf Grund des hiezu erstatteten Vorbringens von den Abgabenbehörden zu Recht als solche nach der zuletzt zitierten Gesetzesstelle gewertet wurden.

Die Frage, ob schon der potentiell Haftende VOR Erlassung des Haftungsbescheides zur Stellung eines solchen Antrages berechtigt ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 2810/F, sowie Stoll, BAO Handbuch, Seite 582, 589), braucht im Beschwerdefall nicht entschieden zu werden, weil die Beschwerdeführerin ihren Antrag in der Berufung gegen den Haftungsbescheid (wie erwähnt) wiederholt hat.

Ohne Bedeutung für den vorliegenden Beschwerdefall ist weiters auch der Umstand, daß der genannte Haftungsbescheid zweiter Instanz vom mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/17/0293, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde. Denn gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt zwar die Rechtssache durch die verwaltungsgerichtliche Aufhebung des angefochtenen Bescheides in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte. Die in dieser Bestimmung normierte "ex-tunc"-Wirkung bedeutet, daß der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung im nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses bedeutet auch, daß allen Rechtsakten und faktischen (Vollzugs-)Akten, die während der Geltung des dann aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, im nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 85/17/0030, vom , Zl. 88/17/0199, und vom , Zl. 88/17/0005).

Dies bedeutet, daß der Berufungsbescheid vom als nicht erlassen zu betrachten ist; dessenungeachtet hat jedoch gemäß § 198 WAO der erstinstanzliche Haftungsbescheid vom weiterhin seine Wirkung behalten. Für den vorliegenden Fall muß daher weiterhin von einer rechtswirksamen Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Haftung ausgegangen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt der Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des Steuerpflichtigen oder des Steuergegenstandes gelegenen Sachverhaltselementes voraus, aus dem sich ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den in jenem subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt. Dies wird insbesondere immer dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährden würde. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können, stellen eine Unbilligkeit dagegen nicht dar. Jedenfalls muß es zu einer ANORMALEN Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem ATYPISCHEN Vermögenseingriff kommen. Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Die Abgabennachsicht bzw. Entlassung aus der Gesamtschuld soll der Abgabenbehörde die Möglichkeit eröffnen, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene, besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern (vgl. hiezu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 88/17/0218, und vom , Zl. 90/17/0403, sowie die dort jeweils angeführte weitere Rechtsprechung).

Insoweit sich die belangte Behörde darauf beruft, daß sie mit Bescheid vom die Berufung gegen den Haftungsbescheid abgewiesen habe, weshalb kein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten sei, verkennt sie - offenbar zufolge eines Mißverständnisses - das Gesetz. Der Unbilligkeitstatbestand stellt auf die EINHEBUNG ab. So wie sich in der Regel aus der materiellen Rechtswidrigkeit eines in Rechtskraft erwachsenen Abgabenbescheides nicht die Unbilligkeit der Einhebung der betreffenden Abgaben nach Lage des Falles ergibt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/17/0143, sowie Stoll, aaO., Seite 585), sagt umgekehrt die allfällige Rechtmäßigkeit der AbgabenFESTSETZUNG noch nichts darüber aus, daß eine Unbilligkeit der EINHEBUNG nach Lage des Falles nicht gegeben sein könnte.

Wenn die belangte Behörde weiters meint, die Beschwerdeführerin hätte den Haftungsbetrag aus dem oben erwähnten Verkaufserlös entrichten können, läßt sie - worauf die Beschwerdeführerin zu Recht verweist - deren gleichfalls bereits wiedergegebenes Vorbringen im Berufungsverfahren außer acht, aus dem sich zusammenfassend ergibt, daß ihr von der Kaufpreissumme per Saldo nichts verblieben sei. Feststellungen hierüber hat die belangte Behörde nicht getroffen, ebensowenig über das der Beschwerdeführerin zur freien Verfügung verbleibende Einkommen. Diese Feststellungen wären jedoch erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob der Tatbestand der Unbilligkeit nach Lage des Falles vorliegt. Sollte dies der Fall sein, hätte die Behörde sodann im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit im Sinne des § 18 WAO zu entscheiden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/13/0003, und vom , Zl. 87/17/0146, sowie die dort jeweils angeführte weitere Rechtsprechung). Im übrigen unterließ es die belangte Behörde auch aufzuzeigen, auf welche Weise die Beschwerdeführerin beim Zutreffen der von ihr aufgestellten Behauptungen für die Entrichtung der Haftsumme hätte Vorsorge treffen können.

Da die belangte Behörde sohin die Rechtslage verkannt hat und der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG), eine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts jedoch einer solchen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren auf Ersatz von Umsatzsteuer war abzuweisen, weil dieser Aufwand bereits im Schriftsatzaufwandpauschale berücksichtigt ist.