VwGH vom 25.01.1999, 98/17/0254
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der A, des R und der G, alle vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. BauR-011890/1-1997/GM/Vi, betreffend Beitrag zu den Kosten der Herstellung der Fahrbahn öffentlicher Verkehrsflächen (mitbeteiligte Partei: Stadt Wels, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrats der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde den Beschwerdeführern die Baubewilligung für einen Umbau des Objekts auf dem Grundstück Nr. 128 und 1482, KG P, sowie die Bauplatzbewilligung für dieses Grundstück erteilt.
Anlässlich der Erteilung der Bauplatzbewilligung wurde den Beschwerdeführern mit Bescheid vom gemäß § 20 Abs. 3 Oö Bauordnung 1976 in der Fassung LGBl. Nr. 33/1988 mit Bescheid des Magistrats der mitbeteiligten Stadtgemeinde ein Fahrbahnkostenbeitrag in der Höhe von S 78.183,-- vorgeschrieben. Die Beschwerdeführer erhoben Berufung, in der sie sich einerseits gegen die Anwendung der Oberösterreichischen Bauordnung 1976 wandten und andererseits für den Fall der Anwendung der Oberösterreichischen Bauordnung 1976 den Befreiungstatbestand gemäß § 20 Abs. 9 lit. c Oö Bauordnung 1976 geltend machten.
Nach einer Berufungsvorentscheidung und einem Vorlageantrag der Beschwerdeführer erging eine Berufungsentscheidung, mit welcher die Berufung als unbegründet abgewiesen wurde. Die Behörde zweiter Instanz begründete die Abweisung der Berufung damit, dass das von ihr durchgeführte Ermittlungsverfahren keinen Hinweis darauf ergeben hätte, dass der ehemalige Verwendungszweck der in Rede stehenden Räumlichkeiten für Wohnungszwecke baubehördlich bewilligt worden wäre. Die Beschwerdeführer hätten im Verwaltungsverfahren über Aufforderung bekanntgegeben, dass der gesamte von der Baubewilligung betroffene Bereich vor dem neuen Bauvorhaben "überwiegend betrieblich und privat nur untergeordnet genutzt worden sei".
Auf Grund der Vorstellung der Beschwerdeführer erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit dem die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet abwies. Begründend führt die belangte Behörde zunächst aus, dass nach dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabentatbeständen nicht die Oberösterreichische Bauordnung 1994, sondern die Oberösterreichische Bauordnung 1976 zur Anwendung zu kommen habe. Auch wenn § 58 Abs. 1 Oö Bauordnung 1994 davon spreche, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bauordnung anhängige individuelle Verwaltungsverfahren nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften weiterzuführen seien, bedeute dies nicht, dass im Umkehrschluss auch in Abgabenverfahren dann, wenn das Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Oberösterreichischen Bauordnung 1994 noch nicht eingeleitet gewesen war, die neue Rechtslage zur Anwendung kommen müsse.
Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 9 lit. c Oberösterreichische Bauordnung 1976 verweist die belangte Behörde auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/17/0291. Darin habe der Verwaltungsgerichtshof § 20 Abs. 9 lit. c Oö BauO 1976 so ausgelegt, dass dem Wort "bzw." die Bedeutung von "und/oder" zukomme, da dort die Wohnnutzung ("Wohnfläche") einer sonstigen Nutzung ("Nutzfläche"), und zwar im Sinn von spezifischer Nutzung wie z.B. für ein Geschäft, gegenübergestellt sei. Mit dem dem Abgabenverfahren zugrundeliegenden Baubewilligungsbescheid des Magistrats der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom sei unter anderem im südöstlichen Bereich des Erdgeschoßes des verfahrensgegenständlichen Gebäudes der Einbau von Zimmern und damit eine Wohnnutzung bewilligt worden. Im Sinn des § 20 Abs. 9 lit. c Oberösterreichische Bauordnung 1976 sei im Beschwerdefall daher zu prüfen, in welchem Umfang es zu einer Vergrößerung der Wohnfläche gekommen sei. Sei diese Fläche nur geringfügig, das heiße um nicht mehr als 50 m2, vergrößert worden, greife der in Rede stehende Ausnahmetatbestand ein. Da nach dem von den Gemeindebehörden durchgeführten Ermittlungsverfahren nunmehr für Wohnzwecke eine Fläche von rund 170 m2 zur Verfügung stünde und die Beschwerdeführer selbst in ihrer Stellungnahme eine "überwiegende betriebliche" Nutzung bis zu der gegenständlichen Bauführung zugestanden hätten, greife § 20 Abs. 9 lit. c Oö Bauordnung 1976 nicht ein.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , B 2064/97-4, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab. Mit weiterem Beschluss vom , B 2064/97-6, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In der über Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf richtige Anwendung der maßgeblichen Vorschriften, insbesondere des § 58 Abs. 1 und 60 Abs. 4 Oö Bauordnung 1994 bzw. des § 20 Abs. 9 lit. c der Oberösterreichischen Bauordnung 1976, verletzt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Stadtgemeinde eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Vorschreibung des Fahrbahnkostenbeitrages - wie die belangte Behörde zutreffend festgestellt hat - nach dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften unabhängig vom Zeitpunkt der Einleitung des Abgabenverfahrens nach jener Rechtslage zu erfolgen hat, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches gegolten hat. Daran hat auch § 58 Abs. 1 Oö Bauordnung 1994 nichts geändert (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/17/0326, und vom , Zl. 97/17/0116).
2. Was die Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 20 Abs. 9 lit. c der Oberösterreichischen Bauordnung 1976 anlangt, so ist auf Folgendes zu verweisen:
§ 20 Abs. 9 O.ö. BauO, LGBl. Nr. 35/1976 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 33/1988, hatte folgenden Wortlaut:
"(9) Der Beitrag zu den Kosten der Herstellung der Fahrbahn öffentlicher Verkehrsflächen entfällt:
a) wenn auf dem Bauplatz der Neu-, Zu- oder Umbau von Gebäuden, die nicht für Wohnzwecke bestimmt sind und baurechtlich nur untergeordnete Bedeutung haben (wie kleine Kapellen, Garten- und Gerätehütten, Boots- und Badehütten, Umspann-, Umform- und Schaltanlagen, mit Schutzdächern versehene Abstellplätze und Garagen im Sinne des § 30 Abs. 6 lit. a) geplant ist,
b) wenn auf dem Bauplatz ein Zubau an ein bestehendes Gebäude bis zu einer Gesamthöhe von höchstens 5 m und einer verbauten Fläche von höchstens 50 m2 geplant ist, oder
c) wenn auf dem Bauplatz ein Umbau eines bestehenden Gebäudes geplant ist, durch den die bisher zur Verfügung stehende Wohn- bzw. Nutzfläche höchstens um 50 m2 vergrößert wird."
In dem von der belangten Behörde genannten Erkenntnis vom , Zl. 92/17/0291, hat der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Bestimmung zunächst darauf hingewiesen, dass die O.ö. BauO eine (Legal-)Definition weder des Begriffes "Wohnfläche" noch des Begriffes "Nutzfläche" kenne.
Wollte man der Auffassung der (damaligen) Beschwerdeführerin folgen, wonach im Ergebnis durch das Wort "Nutzfläche" die gesamte (irgendwie) nutzbare Fläche eines Hauses erfasst wäre, so würde dies dazu führen, dass dieser Ausnahmeregelung weitestgehend ein Anwendungsbereich genommen wäre. § 20 Abs. 9 lit. c O.ö. BauO könne nur dann zur Anwendung kommen, wenn (durch Umbaumaßnahmen) keine Vergrößerung eines Gebäudes der Höhe, der Länge oder der Breite nach eintrete, weil solche Sachverhalte in der lit. b des § 20 Abs. 9 O.ö. BauO abschließend geregelt seien (vgl. die Begriffsbestimmungen für Zubauten und Umbauten in § 41 Abs. 2 lit. d und e O.ö. BauO). Bei der von der damaligen Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung, dass mit "Nutzflächen" die gesamten (irgendwie) nutzbaren Flächen eines Hauses (abgesehen von den "Wohnflächen") erfasst wären, würde eine Überschreitung des 50 m2-Wertes nur in ganz besonders gelagerten Sonderfällen zum Tragen kommen (etwa Beseitigung von Mauern und/oder Verminderung deren Stärken um mehr als 50 m2). Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, die Grenze von 50 m2 solle - bei einer Durchschnittsbetrachtung - ohne Anwendungsfall bleiben. Dies würde auch insoweit zu sachwidrigen Ergebnissen führen, als bei Umbauten fast ausnahmslos die Befreiungsregel des § 20 Abs. 9 lit. c zum Tragen käme, während Zubauten nur bis zu den in der lit. b des § 20 Abs. 9 O.ö. BauO normierten Grenzen von der Beitragspflicht befreit sind.
Es sei vielmehr davon auszugehen, dass unter "Nutzfläche" im Sinne des § 20 Abs. 9 O.ö. BauO nur eine Fläche für einen SPEZIFISCHEN Verwendungszweck zu verstehen sei, und somit nicht ganz allgemein jeder Verwendungszweck, der einer Fläche zukommen kann, genüge. Dafür spreche auch, dass die Wohnnutzung ("Wohnfläche") einer sonstigen Nutzung ("Nutzfläche"), und zwar im Sinne von spezifischer Nutzung, wie z.B. für ein Geschäft, gegenübergestellt sei. Dem Wort "bzw." komme hiebei die Bedeutung von "und/oder" zu; letzteres gerade im Hinblick darauf, dass es einerseits "reine Wohngebäude" sowie "sonstige" bestehende Gebäude (z.B. Büro- oder Geschäftsbauten) gebe, andererseits aber auch "Mischformen" (Gebäude mit sowohl Wohnungen als auch Büros und/oder Geschäften).
Daraus zog der Verwaltungsgerichtshof den Schluss, dass Dachbodenräume (aber etwa auch Kellerräume), soweit sie ihrer Ausstattung nach nicht für Wohn- oder z.B. Geschäftszwecke geeignet seien, nicht unter die "Wohn- bzw. Nutzfläche" nach § 20 Abs. 9 O.ö. BauO fielen.
Aus dem Verwaltungsakt hatte sich in diesem Beschwerdefall ergeben, dass der Dachboden nicht ausgebaut und weder zu Wohn- noch zu anderen (spezifischen) Zwecken bestimmt war. Dafür, dass der Dachboden nicht als solcher, sondern als Wohnraum baubehördlich bewilligt gewesen wäre, hatte sich nach der Aktenlage kein Anhaltspunkt gefunden.
Der belangten Behörde konnte daher in diesem Beschwerdefall im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie die in Frage stehende Fläche als Dachboden nicht dem Tatbestandselement "bisher zur Verfügung stehende Wohn- bzw. Nutzfläche" unterstellte und deshalb wegen Überschreitung der Grenze von "höchstens um 50 m2" das Vorliegen des Befreiungstatbestandes nach § 20 Abs. 9 lit. b, c O.ö. BauO verneinte.
Damit ergibt sich aber, dass das genannte Erkenntnis keinesfalls als Beleg für die von der belangten Behörde vertretene Auffassung herangezogen werden kann, da es sich primär mit der Frage beschäftigt, was als "bisher zur Verfügung stehende Wohn- bzw. Nutzfläche" anzusehen ist (damit aber, wie noch zu zeigen ist, auch die Lösung für den vorliegenden Beschwerdefall aufzeigt). Mit der Problematik, wann § 20 Abs. 9 lit. c Oö. BauO 1976 in Fällen wie dem vorliegenden, in dem es zu einer Änderung des Verwendungszwecks zugunsten der Wohnnutzung gekommen ist, ohne dass festgestellt wäre, dass die Gesamtfläche, die für Wohn- und Betriebszwecke genutzt wurde und wird, sich verändert hätte, musste sich der Verwaltungsgerichtshof in diesem Vorerkenntnis nicht ausdrücklich beschäftigen.
Die belangte Behörde hat aus dem dargestellten Vorerkenntnis offenbar den Schluss gezogen, dass es ausreichend wäre, wenn entweder die betrieblich oder die privat genutzte Fläche um mehr als 50 m2 vergrößert wird.
Dieser Schluss ist aber auch angesichts des von der belangten Behörde genannten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom nicht gerechtfertigt. Auch wenn man das Wort "bzw." im Sinne dieses Erkenntnisses als "und/oder" versteht, folgt daraus nicht, dass § 20 Abs. 9 lit. c Oberösterreichische Bauordnung 1976 bereits dann eingreift, wenn entweder die Wohn- oder die Nutzfläche höchstens um 50 m2 vergrößert wird. "Und/oder" kann nicht im Sinne von "entweder/oder" verstanden werden. Aus dem genannten Vorerkenntnis ist nur ableitbar, dass bis zur Bauführung nicht für Wohn- oder betriebliche Zwecke genutzte Dachböden oder Kellerräume nicht zu den "bisher zur Verfügung stehenden" Wohn- oder Nutzflächen gerechnet werden könnten. Eine bisher betrieblich genutzte Fläche fällt jedoch in die "bisher zur Verfügung stehende Wohn- bzw. Nutzfläche". Daraus folgt aber, dass der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis § 20 Abs. 9 lit. c Oberösterreichische Bauordnung 1976 nicht in dem Sinn verstanden hat, dass es allein darauf ankäme, ob die Wohnfläche allein oder die betrieblich (oder sonst zu einem spezifischen Zweck) genutzte Fläche um mehr als 50 m2 vergrößert wurde, sondern dass es darauf ankommt, ob es gegenüber der bisherigen Wohn- und/oder Nutzfläche zu einer Vergrößerung um mehr als 50 m2 kommt. Wenn - wie die Gemeindebehörden offenbar nicht bezweifelt haben - das von der Baubewilligung betroffene Objekt vor der Baubewilligung vom zu betrieblichen Zwecken genutzt wurde, ist die Änderung des Verwendungszwecks zu Gunsten der Wohnzwecke (die Erhöhung der Wohnfläche um mehr als 50 m2) nicht allein ausschlaggebend dafür, ob § 20 Abs. 9 lit. c Oö Bauordnung 1976 eingreifen kann oder nicht. Eine Erhöhung der bisherigen Wohnund/oder Nutzfläche um mehr als 50 m2 ist vielmehr mit der Feststellung, dass die Wohnfläche um mehr als 50 m2 vergrößert worden sei, nicht getroffen. Eine Vergrößerung der Wohnfläche zu Lasten bisher betrieblich genutzter Flächen bewirkt keine Vergrößerung der "bisher zur Verfügung stehenden Wohn- bzw. Nutzfläche".
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am