VwGH vom 17.12.2002, 2002/14/0113
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde der R M in K, vertreten durch Dr. Günter Medweschek, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Lidmanskygasse 27/I, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat III) vom , Zl. RV896/1-7/2001, betreffend u.a. Umsatzsteuer 1998, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, somit hinsichtlich Umsatzsteuer 1998, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.088 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist selbständig tätige Zahnärztin. Im Gefolge einer abgabenbehördlichen Prüfung erließ das Finanzamt einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1998, mit dem Erwerbsteuer in Höhe von 38.977 S festgesetzt wurde.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung verwies die Beschwerdeführerin auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 99/16/0302. Aus dem genannten Erkenntnis ergebe sich, dass die gegenständliche Vorschreibung von Erwerbsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker sei im Inland steuerbefreit. Da die Lieferung von Zahnersatz durch Zahntechniker an Zahnärzte auch in Deutschland nicht der Mehrwertsteuer unterliege, könne für solche Lieferungen nach Österreich bei gleichem Lieferanten- und Abnehmerkreis nur Gleiches gelten. Nach "Artikel 28c/B/b der Mehrwertsteuerrichtlinien" gelte die Befreiung auch für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, deren Einfuhr gemäß Art. 14 Abs. 1 auf jeden Fall steuerfrei wäre.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung in dem vor dem Verwaltungsgerichtshof strittigen Punkt keine Folge. Nach Art. 1 der Binnenmarktregelung unterliege auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt der Umsatzsteuer. Die Beschwerdeführerin, die mit ihren Umsätzen unecht steuerbefreit sei, habe die in Art. 1 Abs. 4 leg. cit. normierte Bagatellgrenze (Erwerbsschwelle) in Höhe von 150.000 S überschritten, sodass die getätigten Erwerbe mit 20 % zu versteuern seien. An dieser rechtlichen Beurteilung könne "in Anbetracht des Berufungszeitraumes 1998" auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nichts ändern.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wie im Verwaltungsverfahren bringt die Beschwerdeführerin auch vor dem Verwaltungsgerichtshof vor, die Festsetzung von Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht.
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1; im Folgenden kurz RL) bestimmt, dass u.a. die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerbefreit sind.
Dazu verpflichtet Art. 14 Abs. 1 Buchstabe a der RL die Mitgliedstaaten, unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer zu befreien:
"a) die endgültige Einfuhr von Gegenständen, deren Lieferung durch Steuerpflichtige im Inland auf jeden Fall steuerfrei ist."
Weiters verpflichtet Art. 28c Teil B Buchstaben a und b der RL die Mitgliedstaaten, unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festsetzen, von der Steuer zu befreien:
"a) den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, deren Lieferung durch Steuerpflichtige im Inland auf jeden Fall steuerfrei wäre;
b) den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, deren Einfuhr gemäß Artikel 14 Absatz 1 auf jeden Fall steuerfrei wäre."
Diese Steuerbefreiungen bezwecken eine Gleichstellung von innergemeinschaftlichen Erwerben mit steuerfreien Lieferungen von Gegenständen im Inland und Einfuhren.
Das österreichische UStG 1994 stellt in § 6 Abs. 1 Z. 20 die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerfrei. Für den innergemeinschaftlichen Erwerb bzw. die Einfuhr von Zahnersatz sah das UStG 1994 in der für das Streitjahr anzuwendenden Fassung eine entsprechende Steuerbefreiung indes nicht vor (vgl. Art. 6 Abs. 2 BMR, § 6 Abs. 4 UStG 1994).
Im Erkenntnis vom , 99/16/0302, hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer auf die Einfuhr einer Zahnprothese aus Ungarn ausgeführt, dass die nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe e der RL vorgesehene Befreiung für die Lieferung von Zahnersatz nur unvollständig in das inländische Recht umgesetzt worden sei, indem zwar § 6 Abs. 1 Z. 20 UStG 1994 u.a. die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker im Inland von der Steuer befreie, diese Befreiung aber in den für Einfuhren vorgesehenen Befreiungskatalog des § 6 Abs. 4 leg. cit. nicht übernommen worden sei. Der Gerichtshof hat in diesem Erkenntnis die Ansicht der belangten Behörde, bei der Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z. 20 UStG 1994 handle es sich um keine Steuerbefreiung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Buchstabe a der RL, weil die Lieferung von Zahnersatz nicht "in jedem Fall" steuerfrei sei, sondern nur wenn sie durch Zahnärzte und Zahntechniker erfolge, nicht geteilt. Durch die Vorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe e der RL werde eindeutig bestimmt, dass die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker im Inland steuerfrei sei. Diesbezüglich müsse daher auch Steuerfreiheit für entsprechende Einfuhren gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchstabe a der RL bestehen, weil sonst jene Wettbewerbsgleichheit nicht bestünde, die herzustellen Aufgabe der Einfuhrumsatzsteuer sei. Der Einfuhrumsatzsteuer unterliege daher eine Einfuhr von Zahnersatz nur dann, wenn der Zahnersatz im Ausland nicht durch einen Zahnarzt oder einen Zahntechniker geliefert werde, weil auch eine entsprechende im Inland nicht durch Zahnärzte bzw. Zahntechniker, sondern durch andere Unternehmer erbrachte Lieferung nicht der Steuerbefreiung teilhaftig sei. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH könne sich der Einzelne in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umsetze. Für diesen Fall habe der EuGH dem privaten Einzelnen das Recht zuerkannt, sich vor den Gerichten der Mitgliedstaaten gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht auf die durch die Sechste Mehrwertsteuer-Richtlinie normierten Steuerbefreiungen zu berufen. Da im vorliegenden Fall einerseits die Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen der angeführten Richtlinie unzweifelhaft im Sinne der Grundsätze des , C.I.L.F.I.T., sei und es andererseits nur um einen Fall einer ganz offenkundig nicht vollständig erfolgten Umsetzung der angeführten Richtlinie in das österreichische Umsatzsteuerrecht gehe, könne die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens unterbleiben. Der Verwaltungsgerichtshof sei davon überzeugt, dass diesbezüglich für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde. Indem die belangte Behörde die im Art. 14 Abs. 1 Buchstabe a in Verbindung mit Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe e der RL vorgesehene Steuerbefreiung auf die zum Vorsteuerabzug nicht berechtigte damalige Beschwerdeführerin nicht angewendet habe, habe sie den Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2001, BGBl. I Nr. 144, wurden § 6 Abs. 4 Z. 1 und Art. 6 Abs. 2 Z. 1 UStG 1994 insoweit geändert, als nunmehr auch die Einfuhr und der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz bei Lieferung durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerfrei gestellt wurde. In ihrer Gegenschrift verweist die belangte Behörde auf diese erst mit Wirkung ab in Kraft getretene Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Die mit geänderten Umsatzsteuerrichtlinien 2000 würden überdies eine Steuerfreiheit für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz bereits ab vorsehen. Für eine Steuerfreistellung innergemeinschaftlicher Erwerbe des Streitjahres 1998 fehle es demnach - so die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift - an einer gesetzlichen Grundlage. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom beziehe sich auf die Einfuhr von Zahnersatz aus Ungarn und beträfe daher einen anderen Sachverhalt. Aus der Rechtsprechung des EuGH sei lediglich ersichtlich, dass von den nationalen Gerichten interpretationsbedürftige Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Richtlinienvorgaben so auszulegen seien, dass die mit der Richtlinie verfolgten Ziele erreicht werden könnten. Eine Interpretation der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie bzw. der "Gesetzesbestimmungen" sei gegenständlich mangels einer geltenden Bestimmung bezüglich der Befreiung für die Einfuhr bzw. für den innergemeinschaftlichen Erwerb für Zahnersatz vom Zahnarzt oder Zahntechniker im Streitjahr nicht möglich.
Mit diesen Ausführungen verkennt die belangte Behörde die Rechtsprechung des EuGH. Wie schon im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom ausgeführt, kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denen eine Bestimmung einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheint, gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umsetzt. Eine derartige Umsetzung ist im gegenständlichen Falle unterblieben. Erst in Reaktion auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom wurden entsprechende Befreiungsbestimmungen - sowohl in Bezug auf Einfuhren als auch im Hinblick auf die hier strittige Erwerbsteuer - normiert. Somit trifft es wohl zu, dass nach innerstaatlichem Recht für das Streitjahr eine Steuerbefreiung für den gegenständliche innergemeinschaftlichen Erwerb nicht vorgesehen war. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur Einfuhrumsatzsteuer erkannt hat, lag darin eine offenkundig nicht vollständig erfolgte Umsetzung der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie. Für den gegenständlichen innergemeinschaftlichen Erwerb kann auf Grund der gleich lautenden Richtlinienbestimmung nichts anderes gelten.
Indem die belangte Behörde die in Art. 28c Teil B in Verbindung mit Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe e der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung auf die zum Vorsteuerabzug im Streitjahr nicht berechtigte Beschwerdeführerin nicht angewendet hat, hat sie den Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der Bescheid war daher im Umfang der Anfechtung, somit hinsichtlich der Festsetzung von Umsatzsteuer für das Jahr 1998, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am