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VwGH vom 14.12.1994, 93/16/0191

VwGH vom 14.12.1994, 93/16/0191

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 13-1/H-283/1/7/89, betreffend Schmuggel und vorsätzlicher Eingriff in die Rechte des Tabakmonopols, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Erkenntnis vom hat das Zollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz den Beschwerdeführer folgender Finanzvergehen schuldig erkannt:

"Er hat 1.) im Zeitraum April 1983 bis April 1985 im Bereiche

des Zollamtes Wien vorsätzlich

a.) eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich insgesamt

2.585 Stück kubanische Zigarren verschiedener Sorten und 160 Gläser russischen Kaviar a 56,8 g Inhalt unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren entzogen (Eingangsabgaben an Zoll S 21.268,--, an Einfuhrumsatzsteuer S 10.397,--, an AF-Beitrag S 109,-- und an Tabaksteuer S 8.401,--) und

b.) die unter a.) genannten Monopolgegenstände, nämlich

2.585 Stück Havanna-Zigarren, zu seinem Vorteil einem monopolrechtlichen Einfuhrverbot zuwider ins Zollgebiet eingeführt (Bemessungsgrundlage gemäß § 44 Abs. 2 FinStrG S 64.625,--)


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2.)
am S vorsätzlich dazu bestimmt, anläßlich ihrer Einreise nach Österreich über das Zollamt Klingenbach eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich 43,6 kg Gänseleber, unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren zu entziehen zu versuchen (Eingangsabgaben an Zoll S 109,--, an Einfuhrumsatzsteuer S 883,-- und an AF-Beitrag
S 26,--) und
3.)
am U vorsätzlich dazu bestimmt, anläßlich dessen Einreise nach Österreich über das Zollamt Nickelsdorf eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich 55,6 kg Gänseleber, unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren zu entziehen zu versuchen (Eingangsabgaben an Zoll S 139,--, an Einfuhrumsatzsteuer S 737,-- und an AF-Beitrag
S 22,--).

Er hat dadurch das Finanzvergehen zu 1.) a) des Schmuggels gemäß § 35 Abs. 1 FinStrG zu 1.) b) des vorsätzlichen Eingriffes in die Rechte des Tabakmonopols gemäß § 44 Abs. 1 lit. c leg. cit. zu 2.) und 3.) des Schmuggels als Bestimmungstäter nach §§ 11, 35 Abs. 1 FinStrG begangen.

Gemäß §§ 35 Abs. 4, 44 Abs. 2 21 FinStrG wird über ihn eine Geldstrafe in Höhe von S 100.000,-- verhängt; gemäß § 20 FinStrG wird die für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe mit 42 Tagen festgesetzt.

Gemäß §§ 35 Abs. 4, 44 Abs. 3 FinStrG iVm § 17 Abs. 2 lit. a leg. cit. wird auf Verfall von 2.185 Stück kubanische Zigarren (950 Stück Punch Manuel Lopez Coronation, 55 Stück Punch Manuel Lopes, Exquisitos, 200 Stück Partagas, 450 Stück Regalias, 85 Stück Punch Manuel Lopez Souvenirs de Luxe) sowie von insgesamt 99,20 kg Gänseleber erkannt.

Gemäß § 185 FinStrG sind die Kosten des Strafverfahrens in Höhe von S 5.000,-- und die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen. Die Höhe der Kosten des Strafvollzuges wird durch gesonderten Bescheid festgesetzt werden."

In der dagegen erhobenen und mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundenen Berufung - dem Antrag auf Wiedereinsetzung wurde in der Folge stattgegeben - bekämpfte der Beschwerdeführer das genannte Erkenntnis der Finanzstrafbehörde erster Instanz unter anderem mit der Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung durch die erkennende Behörde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und führte zu Punkt 1.) des erstinstanzlichen Erkenntnisspruches als Begründung nachstehendes aus:

"Auf Grund der Ermittlungsergebnisse, insbesondere der

Aussagen des Berufungswerbers vom , die auf überdurchschnittliche Kenntnisse des Zollverfahrens schließen lassen, gelangt die Rechtsmittelbehörde ebenfalls zur Ansicht, daß den anläßlich diverser Ungarnreisen im Rahmen der Reisefreigrenze eingebrachten Waren Zollfreiheit nicht zukommt. Der Berufungswerber nützte vielmehr die Bestimmung über die Reisefreigrenze ca. zwei Jahre lang aus, um sein Lager in der Wohnung in A aufzubauen, bis er sich entschloß die Waren in das Ausland zu verbringen. Mit den Erfahrungen des tatsächlichen Lebens nicht vereinbar wäre die Annahme, der Berufungswerber hätte erst zu diesem (späten) Zeitpunkt auch den Entschluß gefaßt, die Ware nicht widmungsgemäß zu verwenden, da die gehorteten Tabakwaren inzwischen die beachtliche Anzahl von

2.185 Stück Zigarren erreichte. Selbst in diesem Fall - diese Möglichkeit wird jedoch in konkreto als wenig wahrscheinlich ausgeschlossen - hätte sich der Berufungswerber der Hinterziehung gemäß § 35 Abs. 3 FinStrG schuldig gemacht, wobei er aber den gleichen Straffolgen wie denen zu § 35 Abs. 1 FinStrG unterläge.

Sofern der Berufungswerber behauptet, daß entgegen dem Grundsatz "in dubio pro reo" immer zu seinen Lasten entschieden und interpretiert wurde, befindet er sich im Irrtum. Es ist in den Verfahrensgesetzen nicht festgehalten, daß bei jedem Zweifel an dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens mit Einstellung vorgehen zu sei. Dieser Grundsatz greift nur Platz, wenn die für und gegen den Beschuldigten sprechenden Umstände nach der Beweiswürdigung gleiches Gewicht haben."

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der zunächst an ihn erhobenen Beschwerde mit Beschluß vom , B 2017/93-6, ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof wird in der Beschwerde sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Dem gesamten Beschwerdevorbringen nach erachtet sich der Beschwerdeführer durch die vorgenommene Beweiswürdigung sowie durch die Handhabung des bei der Straffestsetzung anzuwendenden Ermessens in seinen Rechten verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 89 Abs. 3 FinStrG in der Fassung BGBl. Nr. 571/1985 hat die Finanzstrafbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Verfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache erwiesen ist oder nicht; bleiben Zweifel bestehen, so darf die Tatsache nicht zum Nachteil des Beschuldigten oder der Nebenbeteiligten als erwiesen angenommen werden.

Nach dem ersten Halbsatz des § 98 Abs. 3 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung des Ergebnisses des Verfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen ob eine Tatsache erwiesen ist oder nicht. In dieser Bestimmung ist der Grundsatz der freien Beweiswürdigung festgelegt. Dieser Grundsatz bedeutet, daß für den Beweis einer Tatsache der "innere Wahrheitsgehalt" der Ergebnisse ausschlaggebend ist. Bei der Feststellung dieses "inneren (materiellen) Wahrheitsgehaltes" hat die Behörde schlüssig im Sinne der Denkgesetze vorzugehen (Fellner, Finanzstrafgesetz, Rz. 14 zu § 98).

"Beweisen" ("Nachweisen") heißt, ein behördliches Urteil über die Gewißheit des Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Tatsache (eben die Überzeugung hievon) herbeiführen (vgl. Erkenntnis vom , Zl. 90/16/0088).

Die Bestimmung des § 98 Abs. 3 FinStrG, wonach die Behörde unter sorgältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen hat, ob eine Tatsache erwiesen ist oder nicht, bedeutet nicht, daß dieser in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Diese Regelung hat nur zur Folge, daß die Würdigung der Beweise keinen anderen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Es obliegt also dem Verwaltungsgerichtshof in den Fällen, in denen die Behörde in Ausübung der freien Beweiswürdigung zu ihrer Erledigung gelangte, insbesondere zu prüfen ob die Tatsachenfeststellungen auf aktenwidrigen Annahmen oder auf logisch unhaltbaren Schlüssen beruhen oder in einem mangelhaften Verfahren zustande gekommen sind. Somit wird also vom Verwaltungsgerichtshof geprüft, ob das Ergebnis der von der Behörde durchgeführten Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und den Erfahrungen des täglichen Lebens in Einklang steht und die Sachverhaltsannahme der Behörde in einem von wesentlichen Mängel freien Verfahren gewonnen wurde (vgl. Erkenntnis vom , Zl. 88/16/0191).

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung schließt dabei nicht aus, Geschehensabläufen, die nach der Lebenserfahrung typisch sind, Gewicht beizumessen (vgl. Erkenntnis vom , Zl. 90/16/0031).

Aus der Verpflichtung zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung und ferner auch aus dem für das Finanzstrafverfahren geltenden Anklageprinzip ergibt sich, daß die Beweislast die Behörde trifft. Allfällige Zweifel daran, ob eine Tatsache als erwiesen angenommen werden kann oder nicht, kommen im Finanzstrafverfahren dem Beschuldigten zugute. Dies ist auch in den Erläuternden Bemerkungen zum zweiten Halbsatz dieser Bestimmung zu entnehmen, die wie folgt lauten:

"Im Abs. 3 soll die in Art. 6 Abs. 2 MRK festgelegte und mit Art. I Z 1 in den § 6 übernommene Unschuldsvermutung auch als Beweisregel in das Finanzstrafgesetz übernommen werden. Die Beweislast soll die Finanzstrafbehörde tragen, jeder Zweifel soll dem Beschuldigten zugute kommen."

Im Widerspruch dazu steht die Feststellung im angefochtenen Bescheid:

"Es ist in den Verfahrensgesetzen nicht festgehalten, daß bei jedem Zweifel an dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens mit Einstellung vorzugehen sei. Dieser Grundsatz greift nur Platz, wenn die für und gegen den Beschuldigten sprechenden Umstände nach der Beweiswürdigung gleiches Gewicht haben."

Eine Beweiswürdigung im Finanzstrafverfahren, die auf solchen Überlegungen beruht, ist völlig verfehlt und verstößt gegen die Grundsätze eines rechtstaatlichen Verfahrens. Der dabei von der belangten Behörde als maßgeblich angenommene Sachverhalt ist somit entgegen § 98 Abs. 3 zweiter Halbsatz FinStrG unter Anwendung rechtsirriger Ansichten zustandegekommen. Da es dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt ist, seine Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung der belangten Behörde zu stellen, und sich die Darstellung der Beweiswürdigung unzulässigerweise sonst nur im Ergebnis der Beweiswürdigung erschöpft, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Sachverhalt und in der Folge zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, zumal die belangte Behörde in der Begründung auf das Berufungsvorbringen in Wahrheit gar nicht eingegangen ist. Dies trifft auch auf die zu den Spruchpunkten

2.) und 3.) des angefochtenen Bescheides vorgenommene Beweiswürdigung zu, weil diese im Ergebnis auf derselben als unschlüssig erkannten Beweiswürdigung wie zu Spruchpunkt 1.) beruht. Der angefochtene Bescheid war daher - ohne auf das Vorbringen betreffend die Straffestsetzung und die weiteren geltend gemachten Verfahrensmängel einzugehen - schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos geworden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.